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Nebenwirkungen

FUMARSÄUREESTER (FUMADERM)
…progressive multifokale Leukenzephalopathie

Während der Behandlung einer Psoriasis mit dem Fumarsäureester-Gemisch FUMADERM sind mehrere Patienten an progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) erkrankt. Die potenziell tödliche opportunistische Hirninfektion wird durch das JC-Virus ausgelöst und war lange hauptsächlich bei Patienten mit AIDS und massiv Immunsupprimierten bekannt. Seit einigen Jahren wird sie zunehmend auch unter Therapie mit monoklonalen Antikörpern beobachtet, insbesondere unter dem MS-Mittel Natalizumab (TYSABRI; a-t 2012; 43: 23-4 u.a.). Deutsche Neurologen berichten jetzt über einen 74-Jährigen, bei dem nach dreijähriger Behandlung mit täglich bis zu 430 mg Fumarsäureestern (entsprechend 2 Tabletten FUMADERM, einem Drittel der zugelassenen Tagesdosis) eine PML diagnostiziert wird. Vor Beginn der Fumarattherapie hatte er ein Jahr lang Methotrexat (LANTAREL, Generika) eingenommen.1 Zeitgleich informieren niederländische Neurologen über eine 42-Jährige, die nach fünfjähriger Einnahme von Dimethylfumarat (420 mg täglich als Rezeptur) wegen Psoriasis an PML erkrankt.2 Beide Patienten haben zum Zeitpunkt der Diagnose eine schwere Lymphopenie mit Lymphozytenzahlen unter 500/µl, die sich nach Beginn der Fumarattherapie entwickelt und seitdem fortbestanden hatte. Nach Absetzen der Fumarsäureester kommt es bei beiden zu einem Immunrekonstitutionssyndrom (IRIS**), eine Komplikation, die auch nach Absetzen von Natalizumab wegen PML beobachtet wird (a-t 2010; 41: 24). Andere Ursachen für eine Immunschwäche einschließlich einer HIV-Infektion werden ausgeschlossen.1,2

* Vorversion am 26. April 2013 als blitz-a-t veröffentlicht.
** IRIS = immune reconstitution inflammatory syndrome

Wie das BfArM mit Störwirkungsberichten umgeht

Seit Ende April 2013 sind die beim BfArM dokumentierten Verdachtsberichte unerwünschter Arzneimittelwirkungen öffentlich zugänglich (zu finden unter nebenwir kung.bfarm.de). Eine Recherche zu Meldungen über PML in Verbindung mit FUMADERM am 26. April 2013 ergab zwei Treffer,5 darunter den jetzt aus Deutschland veröffentlichten Fallbericht.1 Wenige Tage später hat die Behörde diese Mitteilung aus der Datenbank entfernt, da publizierte Verdachtsfälle dort nicht eingestellt werden. Jetzt findet sich dort daher nur noch eine Meldung über PML unter FUMADERM.8

Eine solche Informationsreduktion macht die Datenbank insbesondere im Hinblick auf seltene lebensbedrohliche Schadwirkungen wertlos, da diese mit höherer Wahrscheinlichkeit publiziert werden und dann in der BfArM-Datenbank nicht mehr erscheinen. Es ist daher auch davon auszugehen, dass unter den Fumarsäureestern nicht nur ein Kaposi-Sarkom aufgetreten ist, sondern zwei: Eine entsprechende Verdachtsmeldung dokumentiert die neue Datenbank,9 einen weiteren Fallbericht hat die Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) 2009 veröffentlicht. 7

FUMADERM-Anbieter Biogen Idec sind zwei weitere Patienten bekannt, die unter der Einnahme des Mittels an PML erkrankt sind. Beide sollen Risikofaktoren für die bedrohliche Hirninfektion gehabt haben: Ein Patient hatte eine mit Methotrexat und Glukokortikoiden behandelte Sarkoidose in der Vorgeschichte. Der zweite hatte zuvor den Antikörper Efalizumab (früher: RAPTIVA) eingenommen und diesen nach einer Krebsdiagnose abgesetzt.3 Nähere Angaben, beispielsweise zu den zeitlichen Abständen der Vorerkrankungen und -therapien oder zu Blutbildveränderungen, fehlen.

In klinischen Studien mit dem FUMADERM-Bestandteil Dimethylfumarat bei Multipler Sklerose (vorgesehener Handelsname: TECFIDERA) soll PML bislang nicht aufgetreten sein.3 Nach Einschätzung von Neurologen muss jedoch auch darunter mit der opportunistischen Hirninfektion gerechnet werden, da bis zu 5% der Anwender eine schwere Lymphopenie entwickelt haben. Bei 3% wurde Dimethylfumarat wegen zu niedriger Leukozytenwerte abgesetzt. Die intensive Überwachung und Betreuung der Patienten im Rahmen der Studien könnte ebenso wie deren Dauer von maximal zwei Jahren dazu beigetragen haben, dass die seltene Störwirkung dort bislang nicht beobachtet wurde. 4

Dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) ist der jetzt aus Deutschland publizierte Fallbericht sowie mindestens eine weitere Meldung zu PML in Verbindung mit FUMADERM seit 2010 bekannt (siehe Kasten).5*** Dennoch wird die bedrohliche Störwirkung bis heute nicht einmal in der Fachinformation6 aufgeführt. Stattdessen wird dort fälschlicherweise behauptet, es gebe bislang keine Hinweise, dass die hämatologischen Veränderungen zu opportunistischen Infektionen führten.

*** Die Behörde sah sich bis Redaktionsschluss nicht in der Lage, unsere am 25. März 2013 erstmals gestellte Frage nach der Zahl der dokumentierten Verdachtsmeldungen zu PML in Verbindung mit FUMADERM zu beantworten.

Die Untätigkeit der deutschen Behörde und des Anbieters unterscheidet sich deutlich vom Vorgehen der europäischen Arzneimittelbehörde EMA bei dem systemischen Antipsoriatikum Efalizumab: Bereits nach Bekanntwerden der ersten PML wurde damals ein Rote-Hand-Brief versendet. Nachdem zwei weitere Anwender an der Hirninfektion erkrankt waren, verfügte die EMA das Ruhen der Zulassung von Efalizumab (a-t 2009; 40: 32 und 2008; 39: 126).

Fumarsäureester sind nur in Deutschland zur Behandlung der Psoriasis zugelassen. Klinische Erfahrungen hinsichtlich Wirksamkeit, aber eben auch in Bezug auf die Sicherheit, werden im Wesentlichen hierzulande gemacht. Das BfArM darf sich nicht länger darauf beschränken, Verdachtsmeldungen schwerwiegender Störwirkungen unter FUMADERM lediglich in seine Datenbank einzuspeisen, sondern die Behörde muss endlich reagieren: Angesichts der jetzt öffentlich bekannt werdenden Risiken und unter Berücksichtigung der unzureichenden Nutzendokumentation (a-t 2013; 44: 35-6) ist die Marktrücknahme des Fumarsäureester-Gemisches die logische Konsequenz. Auf jeden Fall aber müssen die Berichte über PML, aber auch über Kaposi-Sarkom7 endlich als deutliche Warnung in die Fachinformation aufgenommen und die behandelnden Ärzte mit einem Rote-Hand-Brief über das Risiko opportunistischer Infektionen unter dem Mittel informiert werden. Auch vorbeugende Maßnahmen zur Risikominimierung, wie sie beispielsweise für Natalizumab gelten, sind dann dringend erforderlich.

∎  Unter dem Fumarsäureester-Gemisch FUMADERM sind mehrere Patienten an progressiver multifokaler Leukenzephalopathie (PML) erkrankt.

∎  Die Fachinformation spiegelt den Kenntnisstand zu den Risiken des Mittels nicht adäquat wider.

∎  Die jetzt bekannt werdenden Risiken verschlechtern die ohnehin fraglich akzeptable Nutzen-Schaden-Bilanz des systemischen Antipsoriatikums weiter. Beim derzeitigen Kenntnisstand raten wir von der Einnahme ab.

∎  Das BfArM muss seine Aufgaben als Aufsichtsbehörde endlich wahrnehmen und sich nicht länger auf das Sammeln von Verdachtsberichten beschränken.

1 ERMIS, U. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 368: 1657-8
2 VAN OOSTEN, B.W. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 368: 1658-9
3 SWEETSER, M.T. et al. (Biogen Idec): N. Eng. J. Med. 2013; 368: 1659-61
4 Medline Plus: Mitteilung vom 24. April 2013; http://www.nlm.nih.gov/medlineplus/news/fullstory_136220.html
5 BfArM: Nebenwirkungsdatenbank, Abfrage zu FUMADERM und progressive multifokale Leukenzephalopathie vom 26. Apr. 2013
6 Biogen Idec: Fachinformation FUMADERM, Stand Juni 2012
7 AkdÄ: Dtsch. Ärztebl. 2009; 106: A2380
8 BfArM: Nebenwirkungsdatenbank, Abfrage zu FUMADERM und progressive multifokale Leukenzephalopathie vom 2. Mai 2013
9 BfArM: Nebenwirkungsdatenbank, Abfrage zu FUMADERM und Kaposi-Sarkom vom 7. Mai 2013

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 10. Mai 2013

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