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Kurz und bündig

Plazebo verweigert - wie unabhängige Forschung ausgebremst wird

Da öffentliche Gelder knapp sind, werden immer mehr Studien von Arzneimittelherstellern finanziert. Nach einer 2006 publizierten Auswertung der meistzitierten Studien der Jahre 1994 bis 2003 waren 84% (65 von 77) der therapiebezogenen randomisierten klinischen Studien mit Firmengeldern entstanden, zwischen 1999 und 2003 sogar 97% (31 von 32, vgl. a-t 2006; 37: 45-6). Die Folgen sind bekannt: Die Hersteller nutzen ihren Einfluss, indem häufig bereits das Design einer Studie so gewählt wird, dass es das Ergebnis in die gewünschte Richtung lenkt. Auch selektives Veröffentlichen - Negativstudien werden unterdrückt, Positivstudien hingegen zum Teil mehrfach publiziert - trägt dazu bei, das Firmenpräparat in möglichst günstigem Licht erscheinen zu lassen (a-t 2010; 41: 1-3). Therapeutisch oder ökonomisch wichtige Fragestellungen bleiben dabei häufig unberücksichtigt. Große Meilensteinstudien wie ALLHAT* zum Stellenwert verschiedener Antihypertensiva (a-t 2003; 34: 1-2), CATIE* zum Vergleich von atypischen Neuroleptika mit einem klassischen Phenothiazin (a-t 2005; 36: 98-100) oder die WHI*-Studie, erste randomisierte Studie zur kardiovaskulären Primärprävention mit postmenopausaler Hormontherapie (a-t 2002; 33: 81-3), wurden alle industrieunabhängig durchgeführt. Einfluss können Firmen dennoch nehmen: Für eine firmenunabhängig finanzierte Diabetesstudie wurde der Hersteller des untersuchten Präparates** gebeten, das Scheinmedikament zur Verfügung zu stellen, in einem speziellen Injektionspen. Dieser verzögerte den Studienbeginn um mehrere Monate, verlangte erst Einsicht in das Protokoll und dann Änderungen daran. Zudem setzte die Firma durch, das Manuskript einsehen zu dürfen, bevor es zur Publikation eingereicht wurde. Den berichtenden dänischen Forschern sind zwei weitere Beispiele bekannt, in denen Studien sogar daran gescheitert sind, dass die Hersteller das Plazebo gar nicht oder nur zu horrenden Preisen abgeben wollten (CHRISTENSEN, M., KNOP, F.K.: Lancet 2012; 379: 30). Das Vorgehen ist nicht neu: Auch die Durchführung der mit öffentlichen Geldern finanzierten Langzeitstudie AD2000 zu Donepezil (ARICEPT, Generika) bei Morbus ALZHEIMER wurde dadurch beeinträchtigt, dass die Anbieter Pfizer und Eisai die Bereitstellung der Scheinmedikamente zunächst verweigerten (a-t 2004; 35: 67-8). Plazebokontrollierte Studien sind zur Klärung vieler therapierelevanter Fragen unverzichtbar. Firmen müssen zur Bereitstellung der Scheinmedikamente gesetzlich verpflichtet werden - ohne Vorbedingungen, -Red.

* ALLHAT = The Antihypertensive and Lipid-Lowering Treatment to Prevent Heart Attack Trial
CATIE = Clinical Antipsychotic Trials of Intervention Effectiveness
WHI = Women's Health Initiative
** Name des Herstellers und des Präparates werden nicht genannt.

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 10. Februar 2012

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