logo
logo
Die Information für medizinische Fachkreise
Neutral, unabhängig und anzeigenfrei
vorheriger Artikelblitz-a-t 03.07.2009nächster Artikel
blitz-a-t

VORSICHT DESINFORMATION: KREBSVERDACHT ZU INSULIN GLARGIN (LANTUS) DURCH SICHERHEITSSTUDIE ENTKRÄFTET?

Eine Ende letzter Woche publizierte retrospektive Beobachtungsstudie mit Versichertendaten der AOK stützt den schon seit Markteinführung bestehenden Verdacht, dass das langwirksame Insulinanalog Glargin (LANTUS) das Krebsrisiko steigern könnte (1). Auch zwei weitere aktuelle Beobachtungsstudien deuten in diese Richtung (2,3; blitz-a-t vom 27. Juni 2009; a-t 2009; 40: 67-8).

Glargin-Hersteller Sanofi-Aventis erweckt jetzt in Pressemitteilungen und Aussendungen an Ärzte und Apotheker den Eindruck, als gäbe es keine Zweifel an der Unbedenklichkeit seines Insulinanalogs. Sanofi-Aventis beruft sich dabei vor allem auf die Ergebnisse einer "5-Jahres-Sicherheitsstudie" zu Glargin (4,5). Dabei handelt es sich um eine randomisierte kontrollierte Studie mit Glargin im Vergleich zu NPH-Insulin, in der der Einfluss der Insuline auf die Progression einer diabetischen Retinopathie bei Typ-2-Diabetes geprüft werden sollte (6). Weil in einer der Phase-3-Studien, die der Zulassung von Glargin zugrunde lagen, eine erhöhte Progressionsrate unter Glargin aufgetreten war, hatte die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA diese Phase-4-Studie zur Auflage gemacht (a-t 2004; 35: 123 und 2008; 39: 50-1). Auf Untersuchung der Krebsentwicklung war die Studie nicht angelegt. Gutartige und bösartige Tumoren wurden lediglich unter den unerwünschten Wirkungen erfasst. Die Gesamtrate unterscheidet sich nicht (11,1% vs. 12,3% unter NPH-Insulin) (6-8). In der Publikation der Studie (6), die offen durchgeführt wurde, wird eine verblindete Überprüfung nur für den primären Endpunkt beschrieben, nicht aber für andere Endpunkte oder die unerwünschten Wirkungen. Damit können die Daten zur Krebshäufigkeit entsprechenden Verzerrungen unterliegen. Vor allem aber ist diese Studie mit rund 1.000 Patienten, von denen knapp 30% vorzeitig ausscheiden, deutlich zu klein, um einen relevanten Anstieg des Krebsrisikos erkennen zu können. Nach Berechnung von Sanofi-Aventis selbst hätte die Studie eine Power von 85% für den Nachweis eines Anstiegs des relativen Krebsrisikos auf 2 (7)*, also für eine Verdoppelung des Risikos oder eine Zunahme um 100%. Als relevant sind aber bereits Zunahmen um 20% bis 30% anzusehen. Um einen solchen Anstieg erkennen zu können, würden nach unseren Schätzungen mehrere tausend Patienten benötigt. Das unauffällige Ergebnis der Retinopathiestudie kann den Verdacht auf erhöhtes Krebsrisiko unter Glargin daher nicht entkräften. Wenn Sanofi-Aventis den Eindruck erweckt, die Studie habe für die Frage des Krebsrisikos unter Glargin "methodischen Goldstandard" und einen "wissenschaftlich höheren Beweiswert" als die in Diabetologia veröffentlichten Beobachtungsstudien (4), handelt es sich um Desinformation des Firmenmarketings, -Red.

*Die Berechnung findet sich in einer zusammen mit den Beobachtungsstudien auf der Homepage der Zeitschrift Diabetologia veröffentlichten Stellungnahme von Sanofi-Aventis ("Statement from sanofi-aventis") (7). Der Link wurde inzwischen entfernt. In leicht veränderter Form findet sich die Stellungnahme jetzt als Brief der Studienautoren an die Herausgeber von Diabetologia (8). Die zitierte Powerberechnung fehlt in dieser Version.
1HEMKENS, L.G. et al.: Diabetologia 2009; online publ. am 26. Juni 2009
http://www.diabetologia-journal.org/cancer_files/081131Hemkenscorrectedproofs.pdf
2JONASSON, J.M. et al.: Diabetologia 2009; online publ. am 26. Juni 2009
http://www.diabetologia-journal.org/cancer_files/090776Jonassonacceptedpaper.pdf
3SDRN Epidemiology Group: Diabetologia 2009; online publ. am 26. Juni 2009
http://www.diabetologia-journal.org/cancer_files/090818Colhounacceptedpaper.pdf
4Sanofi-Aventis: Pressemitteilung vom 27. Juni 2009
5Sanofi-Aventis: IQWiG verunsichert Patienten in unvertretbarer Weise, undatierte Aussendung
6ROSENSTOCK, J. et al.: Diabetologia 2009; online publ. am 13. Juni 2009
http://webcast.easd.org/press/glargine/download/081539Rosenstock.pdf
7Sanofi-Aventis: Diabetologia 2009; Zugriff am 27. Juni 2009
http://www.diabetologia-journal.org/cancer_files/Statementfromsanofi-aventis.pdf
8ROSENSTOCK, J. et al.: Diabetologia; online publ. frühestens am 29. Juni 2009
http://webcast.easd.org/press/glargine/download/090940Rosenstockedited.pdf

© Redaktion arznei-telegramm, blitz-a-t 3. Juli 2009

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

Diese Publikation ist urheberrechtlich geschützt. Vervielfältigung sowie Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ist nur mit Genehmigung des arznei-telegramm® gestattet.

vorheriger Artikelblitz-a-t 03.07.2009nächster Artikel