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VORSICHT DESINFORMATION: UNGEBETENE RATSCHLÄGE ZUR KOPFLAUSTHERAPIE

Kinderärzte in Deutschland erhielten unlängst ungebeten Post von der Deutschen Gesellschaft für angewandte Humanparasitologie (DGAH), einer angeblich unabhängigen Vereinigung von "Experten aus Medizin, Psychologie und Rechtswissenschaften", die Fragen zur Kopflaustherapie stellt und auch gleich selbst beantwortet (1). Dominiert wird das Schreiben von der einseitigen Empfehlung eines "neuartigen 2-Stufen-Dimeticons", das zudem als einziges Präparat mit Handelsnamen genannt wird: NYDA L.* Unklar bleibt jedoch, welche Expertise in der Kopflaustherapie die Mitglieder der Gesellschaft eigentlich haben. Auf unsere entsprechende Anfrage erhalten wir weder von der DGAH noch von ihrem Vorsitzenden eine Antwort. Abgesehen von einem Kinderarzt und einem Allgemeinmediziner finden sich unter den neun Gründungsmitgliedern überwiegend fachfremde Hochschulprofessoren (z.B. für Anatomie oder medizinische Psychologie und Soziologie), Geschäftsleute und ein Rechtsanwalt (2), die alle bislang nicht durch besondere Sachkenntnis zu diesem Thema aufgefallen sind. Eine Ausnahme bildet der zweite Vizevorsitzende der Gesellschaft, der Zoologe W. BÖCKELER: Er gilt als Entdecker des Wirkmechanismus von NYDA (3).

Als Nutzenbeleg für das Dimeticon-Präparat führen die "Experten" einen randomisierten Vergleich mit einer hierzulande nicht zugelassenen 1%igen Permethrinzubereitung an, an dem 145 brasilianische Kinder mit ausgeprägtem Kopflausbefall teilgenommen haben, die während der neuntägigen Prüfperiode in einem Ferienlager untergebracht wurden (4). Auf hiesige Verhältnisse ist die Studie daher nicht übertragbar. Auch ein zitierter In-vitro-Vergleich (5) mit mehreren Kopflausmitteln, von denen lediglich ein weiteres Dimeticon-haltiges Präparat hierzulande unter dem Namen ETOPRIL angeboten wird, bleibt ohne Aussagekraft, da die Läuse lediglich für drei Minuten in die jeweiligen Prüflösungen getaucht und nach weiteren 20 Minuten abgespült werden. Empfohlen wird aber, die klinische Anwendung möglichst genau zu simulieren, indem das fertige Produkt in der vorgesehenen Anwendungsweise (z.B. Spray) getestet wird, wobei die in der Gebrauchsinformation angegebenen Anweisungen hinsichtlich Einwirkzeit, Ausspülen etc. genau eingehalten werden müssen (6). Mit den Angaben in der Gebrauchsinformation nehmen es auch die "Experten" der DGAH nicht so genau: In dem Schreiben heißt es, das Dimeticon-Präparat solle "mindestens 30 Minuten einwirken" (1). Der NYDA-Beipackzettel gibt dagegen mindestens 8 Stunden Einwirkzeit an (7).

Angesichts der nach wie vor unbefriedigenden Datenlage für alle hierzulande angebotenen Produkte bei Kopflausbefall raten wir weiterhin, vom Umweltbundesamt geprüfte und in der so genannten Entwesungsmittelliste (8) aufgeführte Mittel zu verwenden (a-t 2006; 37: 79-83). Genannt werden dort derzeit GOLDGEIST FORTE (Pyrethrum plus Piperonylbutoxid), INFECTOPEDICUL (Permethrin), MOSQUITO Läuseshampoo (Sojaöl plus Kokosölderivate) und JACUTIN PEDICUL Fluid (Dimeticon). Von den ebenfalls gelisteten Sprayzubereitungen JACUTIN PEDICUL Spray (Allethrin plus Piperonylbutoxid) und NYDA raten wir hingegen ab, da sie das Risiko einer Aufnahme der Inhaltstoffe über die Lunge und die Gefahr von Verpuffungen mit der möglichen Folge schwerer Verbrennungen bergen, -Red.

   
(R = randomisierte Studie)
  1Deutsche Gesellschaft für angewandte Humanparasitologie: Schreiben vom Juni 2009
  2http://www.humanparasitologie.de/index.php?view=1
  3Pohl Boskamp: ÄP Pädiatrie 2009; Nr. 2: 21
R  4HEUKELBACH, J. et al.: BMC Infectious Diseases 2008; 8: 115 (10 Seiten)
  5OLIVEIRA, F.A.S. et al.: J. Eur. Acad. Dermatol. Venereol. 2007; 21: 1325-9
  6BURKHART, C.G., BURKHART, C.N.: Expert. Opin. Drug Saf. 2006; 5: 169-79
  7Pohl Boskamp: Gebrauchsinformation NYDA, Stand Febr. 2009
  8Bundesamt für Verbraucherschutz u. Lebensmittelsicherheit: Bundesgesundheitsbl.-Gesundheitsforsch.-Gesundheitsschutz 2008, 51: 1220-38
   *Gemeint ist NYDA - offenbar ist den Autoren entgangen, dass der Name 2008 geändert wurde, -Red.

© Redaktion arznei-telegramm, blitz-a-t 8. Juli 2009

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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