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Übersicht

CLOPIDOGREL (ISCOVER, PLAVIX):
FÜR WEN? WIE VIEL? WIE LANGE?

Der Thrombozytenaggregationshemmer Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) ist bei chronischer atherosklerotischer Erkrankung sowie beim akuten Koronarsyndrom einschließlich Herzinfarkt zugelassen1 und wird darüber hinaus routinemäßig nach Einlage koronarer Stents empfohlen.2 Das erst 1998 in den Handel gebrachte extrem teure Clopidogrel ist das Arzneimittel mit dem höchsten Umsatz und konkurriert mit einem der meist erprobten und kostengünstigsten Arzneimittel: Azetylsalizylsäure (ASS, ASPIRIN u.a.). Die Frage, wann die Einnahme von Clopidogrel alternativ oder zusätzlich zu ASS von Vorteil ist, ist daher angesichts der begrenzten Ressourcen auch von gesundheitsökonomischer Bedeutung. Bei Leseranfragen an das arznei-telegramm steht das Thema Clopidogrel seit Jahren an vorderster Stelle. Im Folgenden geben wir einen Überblick über die komplexe Studienlage und erläutern, welche Indikationen gesichert sind und welche nicht.

EIGENSCHAFTEN: Clopidogrel ist wie Ticlopidin (TIKLYD u.a.) ein Thienopyridin. Beide blockieren selektiv und irreversibel Adenosinrezeptoren auf Thrombozyten und hemmen dadurch deren Aggregation. Clopidogrel muss als Prodrug über oxidative Prozesse in der Leber aktiviert werden. Die maximale Aggregationshemmung wird bei Einnahme der üblichen Tagesdosis (75 mg) verzögert erreicht. Die Thrombozytenfunktion normalisiert sich fünf bis sieben Tage nach Absetzen des Mittels durch die Neubildung von Thrombozyten ohne Kontakt mit Clopidogrel.

CLOPIDOGREL STATT ASS BEI CHRONISCHER ATHEROSKLEROSE? Bei chronischen Gefäßerkrankungen hat Clopidogrel in einer Tagesdosis von 75 mg nur marginale Vorteile gegenüber 325 mg ASS pro Tag. Der wichtigste Vergleich ist nach wie vor die vor zehn Jahren veröffentlichte CAPRIE*-Studie. Jeweils etwa 6.300 Patienten nach Herzinfarkt, Insult oder mit symptomatischer peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK) haben daran teilgenommen. Kardiovaskuläre Todesfälle, Infarkte oder Insulte sind unter Clopidogrel jährlich um 0,51% seltener als unter ASS (Number needed to treat [NNT] = 200).3 Vermindert werden nur Herzinfarkte.4 Kardiovaskuläre Todesfälle, Insulte und Gesamtmortalität bleiben jeweils unbeeinflusst.3 Nach zuvor festgelegten Subgruppenauswertungen profitieren nur Patienten mit einer symptomatischen pAVK (absolute Risikoreduktion 1,15%, NNT = 87).5 Die symptomatische pAVK ist im Vergleich zur koronaren Herzkrankheit (KHK) und zerebralen Atherosklerose jedoch selten: Nach Daten aus der CAPRIE-Studie und aktuellen Registerbefunden6 liegt sie isoliert nur bei 6% der über 45 -Jährigen mit Atherosklerose vor. Patienten mit KHK oder Insult haben ebenfalls nur zu 4% bis 9% zusätzlich eine symptomatische pAVK.5 Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) sieht den geringen Zusatznutzen bei symptomatischer pAVK als ausreichend belegt an.5 Aufgrund des marginalen Vorteils und der hohen Kosten kann Clopidogrel aber unseres Erachtens auch bei diesen Patienten nicht allgemein empfohlen werden (a-t 2004; 35: 25-6).

Nachauswertungen der CAPRIE-Studie für Patienten mit Diabetes,7 nach kardialen Operationen8 oder nach früheren Infarkten oder Insulten9, die vor dem zur Aufnahme in die Studie qualifizierenden Indexereignis durchgemacht wurden, können wegen der nachträglichen Bildung dieser Subgruppen nicht als Belege für einen Vorteil von Clopidogrel gewertet werden, zumal nicht prädefinierte und zum Teil nicht einmal validierte Endpunkte ausgewertet werden. Die These, dass Clopidogrel vor allem für Patienten mit hohem Risiko erneuter vaskulärer Komplikationen Vorteile bringt, wird durch Daten der CAPRIE-Studie selbst widerlegt: Patienten mit symptomatischer pAVK profitierten, obwohl bei ihnen das Risiko kardiovaskulärer Todesfälle, Infarkte oder Insulte am geringsten ist.3,5

Von der nach Aufnahme von 1.587 Patienten im Jahr 2004 beendeten WATCH*-Studie liegen nach wie vor nur Protokoll10- und Kongress- Publikationen11 vor. In dem dreiarmigen Vergleich von Warfarin (COUMADIN), ASS und Clopidogrel bei Patienten mit Herzinsuffizienz, die bei etwa 90% der Patienten durch eine KHK bedingt ist, soll der kombinierte Endpunkt aus Tod, Infarkt oder Insult unter Clopidogrel numerisch häufiger aufgetreten sein als unter ASS (21,8% vs. 20,5%).11 Ob die Studie vorzeitig oder regulär beendet wurde, wird von den Autoren widersprüchlich angegeben. Nach Eingang von Nachfragen wurden Eintragungen im Studienregister zur Biometrie der Studie offenbar nachträglich geändert.5

*

CAPRIE = Clopidogrel/Aspirin Prevention of Recurrence of Ischaemic Events

WATCH = Warfarin Antiplatelet Therapy in Chronic Heart Failure

CLOPIDOGREL NACH GEFÄSSKOMPLIKATIONEN UNTER ASS? Nach wie vor existieren keine Belege aus randomisierten Studien, dass Patienten, die unter ASS einen Infarkt oder einen Insult erleiden ("ASS-Versager"), von einer Umstellung auf Clopidogrel profitieren. Die Frage wird derzeit in der ASCET**-Studie untersucht.12 Ergebnisse werden frühestens 2008 erwartet.5 Der Begriff "ASS-Versager" sollte vermieden werden: Im Plazebo-Vergleich ist nur etwa ein Viertel der vaskulären Komplikationen durch ASS zu verhindern.13 Somit wären drei Viertel der betroffenen Patienten per definitionem "ASS-Versager". Nach den Ergebnissen der CAPRIE-Studie wäre von gleich vielen "Clopidogrel-Versagern" auszugehen.

Laborchemische Tests helfen für die Therapieplanung wenig: Je nach Testansatz wird eine verminderte Hemmung der Thrombozytenaggregation unter ASS bei 5% bis 60% der Patienten nachgewiesen.14-16 Bei Clopidogrel liegen die Angaben mit 5% bis 25% meist niedriger,14 jedoch werden auch Raten von 31%17 und 54%18 berichtet. Beide Kollektive zeigen zudem Überlappungen. Die klinische Relevanz der Laborbefunde und ihr Vorhersagewert für das Risiko vaskulärer Ereignisse sind unklar. Bisher ist zudem nicht belegt, dass laborchemisch definierte Non-Responder von einem Wechsel auf einen anderen Aggregationshemmer, von der Kombination mehrerer Mittel oder von höheren Dosierungen profitieren.16 Thrombozytenfunktionstests werden derzeit für die Routine nicht empfohlen.19

ASS PLUS CLOPIDOGREL BEI CHRONISCHER ATHEROSKLEROSE? Die CHARISMA**-Studie20 mit mehr als 15.000 Patienten mit manifester KHK, Insult oder symptomatischer pAVK oder mit mehreren Risikofaktoren für eine Gefäßerkrankung findet keinen signifikanten Vorteil für die Kombination von täglich 75 mg Clopidogrel plus 75 mg bis 162 mg ASS gegenüber ASS allein. Numerisch nehmen unter der Kombination kardiovaskuläre Todesfälle, Infarkte oder Insulte innerhalb von 28 Monaten im gleichen Ausmaß ab (6,8% vs. 7,3%), wie schwerwiegende Blutungen zunehmen (1,7% vs. 1,3%). Kardiovaskuläre Todesfälle sind unter der Kombination eher häufiger (3,1% vs. 2,9%), die Gesamtmortalität ist gleich. Das Ergebnis der Untergruppe der Patienten mit symptomatischer Gefäßerkrankung, die von der Kombination profitieren soll, wird häufig herausgestellt, ist aber ohne Beweiskraft: Die Kollektive der symptomatischen und asymptomatischen Patienten sind in der Studie nicht ausreichend scharf getrennt. Zudem fehlt eine Adjustierung des statistisch grenzwertig signifikanten Ergebnisses, obwohl nahezu 20 Subgruppenanalysen vorgenommen wurden. Eine Indikation für Clopidogrel plus ASS ist damit auch bei manifester Atherosklerose nicht gegeben (a-t 2006; 37: 39).

Bei 7.600 Patienten mit kurz zurückliegender transitorischer ischämischer Attacke oder Insult und mindestens einem weiteren Risikofaktor kommt es in der MATCH**-Studie21 innerhalb von 18 Monaten unter der Kombination von täglich jeweils 75 mg Clopidogrel plus ASS gegenüber Clopidogrel allein zu einer signifikanten Zunahme lebensbedrohlicher (um 1,3%), darunter auch intrakranieller Blutungen (um 0,4%), sowie anderer schwerer Blutungen (um 1,4%), ohne dass erneute thrombotische Ereignisse oder Todesfälle signifikant verhindert werden (numerisch um 1,0%). Bei diesen Patienten muss die Kombination als kontraindiziert erachtet werden (a-t 2004; 35: 62 und 85).

**

ASCET = Aspirin Non-responsiveness and Clopidogrel Endpoint Trial

CHARISMA = Clopidogrel for High Atherothrombotic Risk and Ischaemic Stabilisation Management and Avoidance

MATCH = Management of Atherothrombosis with Clopidogrel in High Risk Patients

ASS PLUS CLOPIDOGREL BEI VORHOFFLIMMERN? Täglich 75 mg Clopidogrel plus 75 mg bis 100 mg ASS ist bei Patienten mit Vorhofflimmern und erhöhtem Schlaganfallrisiko (Insult in der Anamnese, Herzinsuffizienz usw.) einer oralen Antikoagulation (INR 2-3) unterlegen. Die ACTIVE-W***-Studie22 mit 11.700 Patienten muss nach 1,3 Jahren abgebrochen werden, weil Schlaganfälle, Infarkte, andere systemische Embolien oder vaskuläre Todesfälle unter den Aggregationshemmern signifikant häufiger auftreten (jährlich 5,6% vs. 3,9%). Auch Blutungen sind häufiger als unter der Antikoagulation (15,4% vs. 13,2% pro Jahr). Clopidogrel plus ASS sind in dieser Indikation keine Option (a-t 2006; 37: 67).

ASS PLUS CLOPIDOGREL BEI UNBESCHICHTETEN STENTS: Nach Koronarangioplastie (PTCA) mit Einlage unbeschichteter Stents ist die Kombination von Clopidogrel plus ASS für drei bis vier Wochen seit Jahren etabliert.2 Der Vorteil einer doppelten Aggregationshemmung gegenüber ASS allein23,25-27 oder gegenüber ASS in Kombination mit oraler Antikoagulation25-27 wurde ursprünglich für Ticlopidin plus ASS gezeigt. Restenosen oder kardiale Komplikationen werden relativ um etwa 50% bis 80% reduziert. Clopidogrel plus ASS ist bei Stents dagegen nie mit ASS allein verglichen worden. In direkten, auf Sicherheitskriterien ausgelegten Vergleichen treten unter der Kombination von ASS mit Clopidogrel weniger Neutropenien und Allergien auf als unter ASS plus Ticlopidin. Restenosen und kardiale Ereignisse sind numerisch gleich häufig.28,29 Metaanalysen, die auch Registerdaten berücksichtigen, errechnen für Clopidogrel weniger Infarkte und Todesfälle (a-t 2003; 34: 67-8).30,31 Clopidogrel wird deshalb in Leitlinien gegenüber Ticlopidin bevorzugt.2,32 Beide sind zwar für die Indikation nicht zugelassen, aber als "Behandlungsstandard" dennoch zu Lasten der gesetzlichen Kassen verordnungsfähig.

Bei PTCA mit Stenteinlage sollte mit einer "loading-dose" von mindestens 300 mg Clopidogrel begonnen werden. Nach der CREDO***-Studie33 (a-t 2002; 33: 124-5) ist für die Effektivität der "loading-dose" bei Patienten mit dringlicher PTCA-Indikation (darunter 53% mit instabiler Angina) ein Minimalabstand von sechs Stunden bis zum Eingriff notwendig. Nur dann werden Todesfälle, Infarkte oder Revaskularisationen des Zielgefäßes bis 28 Tage nach Stenteinlage vermindert (grenzwertig signifikant um relativ 39%). Das Wirkmaximum von Clopidogrel wird mit 600 mg schneller erreicht. Nach Ergebnissen der ARMYDA***-2-Studie34 ist diese Dosierung ausreichend sicher; sie vermindert gegenüber der niedrigeren Erstdosis Infarkte um 50%, wenn sie vier bis acht Stunden vor dem Eingriff eingenommen wird. Wenn wegen Dringlichkeit (akuter Infarkt, akutes Koronarsyndrom) oder logistisch (ad-hoc Stenteinlage etc.) ein Intervall von sechs Stunden nicht einzuhalten ist, wird eine frühestmögliche "loading-dose" von 600 mg angeraten.32,35 Höhere Erstdosierungen werden kontrovers beurteilt und derzeit nicht empfohlen.

Patienten mit akutem Koronarsyndrom oder ST-Hebungsinfarkt, die nach der akuten Phase eine PTCA mit Stent erhalten, profitieren von einer zwei- bis dreitägigen Vortherapie mit Clopidogrel.36,37 Im Vergleich mit ASS allein werden in der PCI-CURE***-Studie36 beim akuten Koronarsyndrom innerhalb von sechs Tagen bis zur PTCA Infarkte oder refraktäre Ischämien reduziert (12,1% vs. 15,3%), in der PCI-CLARITY***- Studie38 bei ST-Hebungsinfarkt innerhalb von drei Tagen Reinfarkte oder Insulte (4,0% vs. 6,2%). Auch während der vierwöchigen Nachbehandlung mit ASS plus Clopidogrel für alle Studienpatienten hält der Effekt der Vorbehandlung weiter an: In PCI-CURE werden kardiovaskuläre Todesfälle oder Infarkte von 4,4% auf 2,9% und in PCI-CLARITY von 5,4% auf 3,3% vermindert (a-t 2001; 32: 91 und 2002; 33: 124; vgl. a-t 2005; 36: 42-3).

***

ACTIVE-W = Atrial Fibrillation Clopidogrel Trial with Irbesartan for Prevention of Vascular Events

CREDO = Clopidogrel for Reduction of Events During Extended Observation

ARMYDA = Atorvastatin for Reduction of Myocardial Damage during Angioplasty

PCI-CURE = Percutaneous Coronary Intervention - Clopidogrel in Unstable Angina to Prevent Recurrent Ischemic Events

PCI-CLARITY = Percutaneous Coronary Intervention - Clopidogrel as Adjunctive Reperfusion Therapy

Dauer der Kombinationstherapie bei unbeschichteten Stents: Unter Verweis auf Daten der CREDO- und der PCI-CURE-Studie wird von Experten und in Leitlinien empfohlen, die Kombination ASS plus Clopidogrel bei Stenteinlage im Rahmen einer instabilen Angina, eines akuten Koronarsyndroms oder eines Infarktes neun bis zwölf Monate lang zu verordnen.2,32,39 Den Nutzen dieser verlängerten Clopidogreleinnahme können die Studien wegen methodischer Mängel aber nicht belegen.

Zwar werden Todesfälle, Infarkte und Insulte in CREDO in der Zeit zwischen Tag 29 (nach der vierwöchigen Routineeinnahme von Clopidogrel plus ASS) und dem Studienende nach einem Jahr durch Clopidogrel reduziert (8.5% vs. 11,5% unter ASS allein); der Endpunkt wurde jedoch erst nachträglich definiert. Daten zum prädefinierten kombinierten Endpunkt für die Langzeiteffekte (Tod, Infarkt oder Revaskularisation) finden sich in der Publikation dagegen nicht; die einzelnen Endpunkte bleiben unbeeinflusst. Zudem fehlen für eine beträchtliche Zahl von Patienten die Verlaufsdaten.

Auch im publizierten Protokoll zu PCI-CURE wird ein Endpunkt für die Langzeiteffekte definiert (kardiovaskulärer Tod, Infarkt oder refraktäre Ischämie ab dem vierten Monat bis zur Abschlussuntersuchung), über den in der Studie nicht berichtet wird.40 Als Endpunkt für Langzeiteffekte werden dagegen kardiovaskuläre Todesfälle oder Infarkte von der PTCA bis zum Studienende (6,0% vs. 8,0% unter ASS allein) angegeben. Deren Reduktion geht aber allein auf eine Verminderung der Infarktrate in der Phase der ersten vier Wochen nach PTCA zurück (2,1% vs. 3,8%), während der alle Patienten Clopidogrel plus ASS bekommen; kardiovaskuläre Todesfälle treten nach PTCA bis zum Studienende numerisch gleich häufig auf.

Auch für Stents nach akutem ST-Hebungsinfarkt gibt es keine Belege, dass ASS länger als einen Monat nach PTCA mit Clopidogrel kombiniert werden muss. Die einzige hierfür relevante Studie (PCI-CLARITY) ist lediglich über vier Wochen durchgeführt worden.38 Somit ist nach PTCA mit unbeschichteten Stents generell der Nutzen nur für eine vierwöchige Einnahme von Clopidogrel zusätzlich zu ASS belegt.

ASS PLUS CLOPIDOGREL BEI BESCHICHTETEN STENTS: Die erforderliche Dauer der Kombination von ASS mit Clopidogrel bei beschichteten Stents ist weiterhin unklar. Amerikanische Leitlinien empfehlen drei Monate nach Sirolimus (CYPHER)- und sechs Monate nach Paclitaxel (TAXUS)-Stents,2 deutsche und europäische raten zu sechs bis zwölf Monaten unabhängig von der Art der Beschichtung.32,35 Die amerikanische Empfehlung basiert auf Vorgaben zur Anwendung von Clopidogrel in randomisierten Studien zur Prüfung der Stents. Solange die erforderliche Therapiedauer nicht durch adäquate Studien geklärt ist, erscheinen diese Empfehlungen am besten begründet (a-t 2005; 36: 30-1). Nach Register- und Beobachtungsdaten besteht die Gefahr bedrohlicher Stentthrombosen mit 40%- bis 50%iger Mortalität dann, wenn Clopidogrel vor dem dritten (Sirolimus) oder sechsten Monat (Paclitaxel) nach Stentimplantation abgesetzt wird.41,42 Ob es auch zu gehäuften Stentthrombosen kommt, wenn Clopidogrel danach nicht weiter eingenommen wird, ist ungeklärt und bedarf dringend einer systematischen Überprüfung.

ASS PLUS CLOPIDOGREL BEI AKUTEM KORONARSYNDROM: Der Nutzen von Clopidogrel (initial 300 mg, dann 75 mg/Tag) zusätzlich zu 75 mg ASS beim akuten Koronarsyndrom wird in der CURE****-Studie mit mehr als 12.500 Patienten über durchschnittlich neun Monate geprüft43 (a-t 2001; 32: 91-2). Unter der Kombination liegt die Rate kardiovaskulärer Todesfälle, Infarkte und Insulte niedriger als unter ASS allein: 9,3% versus 11,4%. Auch der zweite primäre kombinierte Endpunkt, der refraktäre Ischämien mitberücksichtigt, wird günstig beeinflusst (16,5% vs. 18,8%). Unter den Einzelkomponenten sind nur Infarkte signifikant seltener (5,2% vs. 6,7%). Allerdings nehmen schwerwiegende Blutungen unter der Kombination signifikant zu (3,7% vs. 2,7%). Eine aktuelle dänische Fallkontroll-Studie findet unter Clopidogrel plus ASS gegenüber ASS allein in der alltäglichen Anwendung einen Anstieg des Risikos für schwere obere gastrointestinale Blutungen um den Faktor 7.44

****  CURE = Clopidogrel in Unstable Angina to Prevent Recurrent Events

Gemäß einer graphischen Darstellung in einer Nachauswertung der CURE-Studie ist zwischen dem dritten und neunten Monat der Nutzenzuwachs unter der Kombination (etwa zwei verhinderte kardiovaskuläre Todesfälle, Infarkte oder Insulte pro 1.000 Patienten) nicht größer als die Zunahme der Blutungskomplikationen (etwa drei zusätzliche lebensbedrohliche Blutungen pro 1.000 Patienten).45 Somit fehlen ausreichende Belege, dass Clopidogrel bei akutem Koronarsyndrom - wie in Leitlinien empfohlen - länger als drei Monate zusätzlich zu ASS eingenommen werden muss.

Auch die CREDO-Studie schließt Patienten mit instabiler Angina ein (53%). Jedoch werden Kriterien für die Erkrankung nicht definiert und Ergebnisse nicht präsentiert. Die Studie kann somit nicht zur Beurteilung der Wirksamkeit von Clopidogrel beim akuten Koronarsyndrom herangezogen werden. Gleiches gilt für die COMMIT*****-Studie,46 in der Clopidogrel plus ASS gegenüber ASS allein beim akuten Infarkt geprüft wird. Zwar leiden 3.000 (6,9%) der knapp 46.000 Patienten an einem Nicht-ST-Hebungsinfarkt. Diese Subgruppe wird aber nicht gesondert ausgewertet.

ASS PLUS CLOPIDOGREL BEI ST-HEBUNGSINFARKT? Der Nutzen von Clopidogrel zusätzlich zu ASS ist beim ST-Hebungsinfarkt in zwei Studien untersucht worden. In der chinesischen COMMIT-Studie46 mit fast 46.000 Patienten senkt die Kombination im Vergleich zu ASS allein in zwei Wochen die Mortalität geringfügig, aber signifikant von 8,1% auf 7,5%. Todesfälle, Infarkte und Insulte werden signifikant von 11,1% auf 9,2% vermindert. Die Übertragbarkeit der Ergebnisse ist unklar: Interventionell behandelte Patienten werden nicht aufgenommen; nur gut 50% erhalten eine Lysetherapie - überwiegend mit der hierzulande wenig gebräuchlichen Urokinase (UROKINASE MEDAC u.a.; a-t 2005; 36: 110-1).

In der CLARITY*****-Studie47 liegt die Mortalität unter Clopidogrel plus ASS bei knapp 3.500 Infarktpatienten, die nur fibrinolytisch behandelt werden, nach zwei Wochen numerisch höher als unter ASS allein (2,6% vs. 2,2%). Reinfarkte nehmen dagegen numerisch ab (2,5% vs. 3,6%). Verwertbare Aussagen lässt die auch methodisch angreifbare Studie nicht zu. Wie in COMMIT sind Blutungen unter der Kombination nicht häufiger (a-t 2005; 36: 42-3). Insgesamt ist der Nutzen von zusätzlichem Clopidogrel bei ST-Hebungsinfarkt unter hiesigen Versorgungsbedingungen nicht belegt.

*****

CLARITY = Clopidogrel as Adjunctive Reperfusion Therapy

COMMIT = Clopidogrel and Metoprolol in Myocardial Infarction Trial

STÖRWIRKUNGEN: Die Verträglichkeit von Clopidogrel ist mit der von ASS vergleichbar. In CAPRIE sind im Verlauf von knapp zwei Jahren Störwirkungen an Magen und Darm unter Clopidogrel um 2,7% (mit Abbruch der Therapie um 0,8%) seltener, Störwirkungen an der Haut um 2,7% (0,8%) häufiger als unter ASS.48 Die Abbruchraten wegen Störwirkungen und die Häufigkeit der Krankenhausaufnahmen insgesamt unterscheiden sich nicht.48,49 In CAPRIE treten unter Clopidogrel zwar seltener neue Ulzera (0,7% vs. 1,2%) und Blutungen an Magen und Darm (2,0% vs. 2,7%) auf; ASS ist mit 325 mg pro Tag für hiesige Verhältnisse jedoch hoch dosiert. Schwere Blutungen insgesamt, an Magen und Darm oder aus Ulzera unterscheiden sich nicht. Gleiches gilt für Blutbildungsstörungen.48

Blutungsrezidive aus peptischen Ulzera sind bei Patienten, die unter Low-dose-ASS (bis 325 mg pro Tag) eine Ulkusblutung erleiden, bei Fortsetzung von ASS in Dosierungen von 80 mg bis 100 mg pro Tag und Kombination mit einem Protonenpumpenhemmer wie täglich 20 mg bis 40 mg Esomeprazol (NEXIUM) im Folgejahr deutlich seltener als bei Wechsel auf Clopidogrel (<1% vs. 8,6-13,6%; a-t 2006; 37: 92-3).50,51 Ulzera unter niedrig dosierter ASS heilen bei fortgesetzter Einnahme von ASS in einer Tagesdosis von 75 mg zusammen mit 20 mg Omeprazol (ANTRA u.a.) genauso sicher ab wie unter Clopidogrel plus Omeprazol.52 Somit stellen Ulzera oder Ulkusblutungen unter niedrig dosierter ASS keine Indikation für Clopidogrel dar.

KOSTEN: Pro vier Wochen ist die Einnahme von täglich 100 mg Azetylsalizylsäure mit 1 € (ASS 100 HEXAL u.a.) oder mit 1,40 € für ASPIRIN 100 N sehr preisgünstig. Die Tagesdosis von 300 mg ASS ist mit 1,50 € bis 2,10 € für vier Wochen nur unwesentlich teurer. Clopidogrel (PLAVIX, täglich 75 mg) kostet mit 70 €/4 Wochen bis zu 70-mal mehr.

  • Bei chronischem Gefäßleiden sehen wir eine sichere Indikation für Clopidogrel (ISCOVER, PLAVIX) nur, wenn Kontraindikationen gegen Azetylsalizylsäure (ASS; ASPIRIN u.a.) wie Asthma oder Allergien vorliegen. Beim akuten Koronarsyndrom ist der Nutzen von Clopidogrel plus ASS für eine Einnahmedauer von drei Monaten belegt, bei unbeschichteten Stents für vier Wochen. Bei beschichteten Stents ist die optimale Dauer für die Kombination weiter unklar. Zu empfehlen sind drei (Sirolimus) bzw. sechs (Paclitaxel) Monate.
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