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Therapiekritik

ACE-HEMMER UND AT-II-ANTAGONISTEN: ABSETZEN OHNE EINFLUSS AUF VERLAUF VON COVID-19-INFEKTIONEN

Gleich zu Beginn der SARS-CoV-2-Pandemie kamen Bedenken auf, dass ACE-Hemmer wie Ramipril (DELIX, Generika) und AT-II-Antagonisten wie Losartan (LORZAAR, Generika) das Infektionsrisiko steigern und auch den Krankheitsverlauf ungünstig beeinflussen könnten. Als möglicher Pathomechanismus wurde angeführt, dass die Renin-Angiotensin-System (RAS)-Inhibitoren das so genannte ACE2, ein mit dem Angiotensin-Converting-Enzym (ACE) verwandtes Enzym, das als Rezeptor die Eintrittspforte des Virus in die Zelle bildet, heraufregulieren. Der Effekt wird allerdings nur in einem Teil der dazu vorliegenden Tierversuche und klinischen Studien beobachtet.1 Eine gegenteilige Hypothese wurde ebenfalls aufgestellt: So könnten die RAS-Blocker bei COVID-19 auch von Nutzen sein, etwa indem sie durch Suppression von Angiotensin-II die infektionsbedingten Lungenschäden mindern (a-t 2020; 51: 17-8).1,2

Die Hypothesen, die, sollte eine von ihnen zutreffen, angesichts der breiten Verordnung der Mittel von großer Bedeutung wären, haben eine umfangreiche Forschungstätigkeit ausgelöst (vgl. a-t 2020; 51: 39-40). Autoren eines regelmäßig aktualisierten systematischen Reviews finden in ihrem siebten und letzten Update bis Mitte November 2020 mehr als 80 Beobachtungsstudien zum Thema, die ihren Einschlusskriterien entsprechen. Dabei spricht die Evidenz insgesamt weder für ein erhöhtes Risiko einer SARS-CoV-2-Infektion noch für einen schwereren Krankheitsverlauf unter Einnahme von ACE-Hemmern oder AT-II-Blockern.2,3 Andere systematische Übersichten kommen zu gleich lautenden Ergebnissen.z.B.4,5

Aktuell werden zwei offen durchgeführte randomisierte kontrollierte Studien publiziert, in denen geprüft wird, ob Absetzen von zuvor eingenommenen ACE-Hemmern oder AT-II-Antagonisten bei hospitalisierten Patienten mit COVID-19 den weiteren Verlauf beeinflusst. An der kleineren multinationalen Studie (REPLACE COVID)6 nehmen 152 im Mittel 62 Jahre alte Patienten, an der größeren brasilianischen (BRACE CORONA)7 659 im Median 55 Jahre alte Patienten teil. Bei allen Teilnehmern besteht ein Bluthochdruck.6,7 Herzinsuffizienz mit reduzierter Auswurffraktion, eine Indikation, in der für ACE-Hemmer Lebensverlängerung nachgewiesen ist (a-t 1990; Nr. 8: 71-3; 1992; Nr. 3: 29), gehört in REPLACE COVID zu den Ausschlusskriterien.6 In BRACE CORONA sind Patienten mit Herzinsuffizienz im Wesentlichen nur dann ausgeschlossen, wenn sie deswegen im vorangegangenen Jahr stationär behandelt wurden oder Sacubitril plus Valsartan (ENTRESTO; a-t 2016; 47: 1-4) einnehmen. Es haben aber auch in dieser Studie nur wenige Herzinsuffizienzpatienten teilgenommen.7 Beide Untersuchungen finden weder in ihren jeweiligen primären Endpunkten* noch in sekundären, darunter die Gesamtsterblichkeit (REPLACE COVID: Absetzen [A] 13% versus Beibehalten [B] 15%; BRACE CORONA: A 2,7% vs. B 2,8%), oder in Subgruppen signifikante Unterschiede zwischen den Strategien oder Nachteile durch das Beibehalten der RAS-Inhibitoren.6,7

*REPLACE COVID: Gesamteinstufung („global rank score“) aller Patienten für die Dauer der stationären Therapie mit einem Punktwert zwischen 1 und 152 (je höher desto besser das Ergebnis), in den eingeht, 1. ob und wann sie verstorben sind, 2. wie lange mechanisch beatmet, 3. wie lange an der Dialyse oder unter inotroper oder Vasopressor-Therapie sowie 4. ein modifizierter SOFA (= Sequential Organ Failure Assessment)-Score; Ergebnis: Unter Absetzen der RAS-Hemmer im Median 81 Punkte vs. 73 unter Beibehalten (Beta-Koeffizient 8; 95% Konfidenzintervall [CI] -13 bis +29)
BRACE CORONA: Zahl der Tage am Leben und außerhalb des Krankenhauses innerhalb von insgesamt 30 Tagen; unter Absetzen im Mittel 21,9 Tage vs. 22,9 Tage unter Beibehalten (Mean Ratio 0,95; 95% CI 0,90-1,01).

Es spricht somit derzeit nichts dafür, aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie ACE-Hemmer oder AT-II-Antagonisten vorbeugend oder bei Infektion abzusetzen, wenn nicht andere klinische Gründe vorliegen. Ob die Mittel zur Therapie von COVID-19 einen Nutzen haben, wird in derzeit noch laufenden Studien untersucht, –Red.

(R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1SPARKS, M. et al.: ACE2 and Hypertension, Blog, Stand 4. Okt. 2020; http://www.a-turl.de/?k=arwi
M2MACKEY, K. et al.: Ann. Intern. Med. 2020; 173: 195-203
M3MACKEY, K. et al.: Ann. Intern. Med., online publ. am 5. Jan. 2021; http://www.a-turl.de/?k=ierl (5 Seiten)
M4KOSHY, A.N. et al.: Intern. Med. J. 2020; 50: 1468-74
M5BAVISHI, C. et al.: J. Hypertens., online publ. am 3. Febr. 2021; doi:10.1097/HJH.0000000000002784 (11 Seiten)
R6COHEN, J.B. et al.: Lancet Respir. Med., online publ. am 7. Jan. 2021; https://doi.org/10.1016/S2213-2600(20)30558-0 (10 Seiten)
R7LOPES, R.D. et al.: JAMA 2021; 325: 254-64

© 2021 arznei-telegramm, publiziert am 19. Februar 2021

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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