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Im Blickpunkt

DPP-4-HEMMER - KLINISCHER NUTZEN WEITER UNBEWIESEN

Dipeptidylpeptidase (DPP)-4-Hemmer wie Sitagliptin (JANUVIA, XELEVIA; a-t 2007; 38: 43-5) senken in der Monotherapie die HbA1c-Werte bei Patienten mit Typ-2-Diabetes geringer als Metformin (GLUCOPHAGE, Generika), in Kombination mit Metformin aber ähnlich wie Sulfonylharnstoffe oder andere orale Antidiabetika. Sie führen nicht zur Gewichtszunahme und nur selten zu symptomatischen oder schweren Hypoglykämien.1 Post-hoc-Analysen Plazebo- und aktiv kontrollierter Studien sollen einen günstigen Effekt auf kardiovaskuläre Ereignisse zeigen,2,3 der Einfluss der DPP-4-Hemmer auf makrovaskuläre Folgeerkrankungen beim Typ-2-Diabetes ist bisher aber nicht gezielt untersucht. Gleichzeitig mit ihrer Präsentation auf dem europäischen Kardiologen-Kongress sind jetzt die von den Herstellern finanzierten Studien SAVOR-TIMI* 53 und EXAMINE* veröffentlicht worden, die im Vergleich zu Plazebo den Einfluss von Saxagliptin (ONGLYZA; a-t 2009; 40: 105-6) bzw. Alogliptin (in Deutschland nicht im Handel) primär auf Herzinfarkte, Schlaganfälle und kardiovaskuläre Todesfälle bei vorbehandelten Patienten mit Typ-2-Diabetes prüfen.4,5

Erste Ergebnisse der SAVOR-Studie wurden vor kurzem vorveröffentlicht (a-t 2013; 44: 62). Es nehmen 16.492 im Mittel 65-jährige Patienten teil, die seit zehn Jahren an Diabetes leiden und gleichzeitig kardiovaskuläre Vorerkrankungen oder entsprechende Risiken aufweisen. 96% sind medikamentös vorbehandelt, 70% mit Metformin, 41% mit Insulin und 40% mit Sulfonylharnstoffen. Wie häufig und wie die Mittel kombiniert wurden, ist unklar. Die Patienten behalten ihre antidiabetische Grundmedikation über die mediane Beobachtungszeit von 2,1 Jahren weitgehend bei. Zu Beginn liegen die HbA1c-Werte im Mittel bei 8,0%, nach zwei Jahren unter zusätzlich 5 mg Saxagliptin pro Tag bei 7,5% und unter Plazebo bei 7,8%. Der primäre Endpunkt (Hazard Ratio [HR] 1,00; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,89-1,12) und ein um Krankenhausaufnahmen wegen instabiler Angina, koronarer Revaskularisation oder Herzinsuffizienz erweiterter sekundärer Endpunkt (HR 1,03; 95% CI 0,91-1,17) bleiben unter Saxagliptin unbeeinflusst. Krankenhausaufnahmen wegen Herzinsuffizienz (3,5% versus 2,8%), Hypoglykämien insgesamt (15,3% vs. 13,4%) und schwere Hypoglykämien mit der Notwendigkeit von Fremdhilfe (2,1% vs. 1,7%) treten unter Verum signifikant häufiger auf, numerisch auch Todesfälle jeder Genese (4,9% vs. 4,2%). Die Zahl gesicherter akuter Pankreatitiden (vgl. a-t 2013; 44: 40) ist zwar gering, unter Saxagliptin aber numerisch doppelt so hoch wie unter Plazebo (0,2% vs. 0,1%).4

Die Ergebnisse der EXAMINE-Studie stellen sich ähnlich dar. Es nehmen 5.380 Patienten mit Typ-2-Diabetes teil, die drei bis zwölf Wochen zuvor wegen eines Herzinfarktes oder einer instabilen Angina stationär aufgenommen wurden. 99% sind medikamentös vorbehandelt, 66% mit Metformin, 47% mit Sulfonylharnstoffen und 30% mit Insulin. HbA1c-Werte betragen anfangs im Mittel 8,0% und liegen nach der medianen Beobachtungszeit von 18 Monaten unter Alogliptin um 0,36% niedriger als unter Plazebo. Ein Einfluss des DPP-4-Hemmers auf die Rate an Herzinfarkten, Schlaganfällen und kardiovaskulären Todesfällen ist nicht nachweisbar (HR 0,96, Obergrenze 99% CI 1,16). Unter Alogliptin sind Transaminasenanstiege numerisch häufiger (2,4% vs. 1,7%). Anders als in SAVOR ergeben sich sonst aber keine belastbaren Hinweise auf negative Effekte.5

Von den Herstellern wird der Ausgang der Studien positiv bewertet.6 Dies ist allenfalls vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass sie Auflagen der amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA erfüllen: Nach den Erfahrungen mit Rosiglitazon (außer Handel: AVANDIA; a-t 2007; 38: 61-2) fordert die FDA seit 2008, dass für neu zugelassene Antidiabetika eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos ausgeschlossen wird.7,8 Schon dies verwundert, ist doch die Senkung des kardiovaskulären Risikos eines der Hauptziele jeder Therapie mit Antidiabetika. Die FDA toleriert aber bei - ggf. gepoolt ausgewerteten - Zulassungsstudien sogar eine Obergrenze von 1,8 für das 95%ige Konfidenzintervall der Hazard Ratio für kardiovaskuläre Ereignisse. Es muss also mit der üblichen Irrtumswahrscheinlichkeit von 5% für die Zulassung lediglich sichergestellt sein, dass die Antidiabetika das kardiovaskuläre Risiko nicht um 80% oder mehr erhöhen. Nur wenn die Obergrenze des 95% Konfidenzintervalls für die Hazard Ratio in den Zulassungsstudien zwischen 1,3 und 1,8 liegt, wird nach der Zulassung eine Sicherheitsstudie gefordert, mit der dann eine Erhöhung des kardiovaskulären Risikos um 30% oder mehr ausgeschlossen werden muss.7 So betrachtet, wären die Ergebnisse von SAVOR und EXAMINE in der Tat positiv zu sehen…

Die Krankheitslast und das Überleben der Patienten mit Typ-2-Diabetes wird in erster Linie durch kardiovaskuläre Komplikationen bestimmt.9 Für die DPP-4-Hemmer sind deshalb dringend Nutzenbelege vor allem hinsichtlich kardiovaskulärer Folgeerkrankungen zu fordern. Studien mit Laufzeiten über zwei Jahre wie in SAVOR und EXAMINE reichen hierfür nicht aus. Notwendig sind Langzeitstudien über mindestens fünf bis zehn Jahre, nach den Ergebnissen der UKPDS**-Studien möglicherweise sogar länger.10 Für die DPP-4-Hemmer würden solche Studien endlich auch Klarheit bringen, ob und in welchem Ausmaß sie das Risiko für Pankreatitiden und Pankreaskarzinome erhöhen.11-13

Der Gemeinsame Bundesausschuss unterzieht derzeit den Bestandsmarkt der DPP-4-Hemmer einer Nutzenbewertung nach dem AMNOG. Das IQWiG findet auf Basis der von den Herstellern eingereichten Dossiers weder für Saxagliptin noch für Vildagliptin (GALVUS, JALRA; a-t 2008; 39: 66-7) in den zugelassenen Indikationen einen Zusatznutzen gegenüber den jeweils zweckmäßigen Vergleichstherapien.14,15 Dagegen erkennt es für Sitagliptin zumindest in der Kombination mit Metformin Anhaltspunkte für einen geringen Zusatznutzen gegenüber Glimepirid (AMARYL, Generika) plus Metformin und für einen erheblichen Zusatznutzen gegenüber Glipizid (außer Handel: GLIBENESE) plus Metformin.16

Die IQWiG-Bewertung von Sitagliptin erscheint uns aus mehreren Gründen fragwürdig. Der Anhalt für einen "erheblichen Zusatznutzen" im Vergleich zu Glipizid wird mit den Ergebnissen einer zweijährigen, auf den HbA1c-Wert angelegten Einzelstudie17 begründet, an der 1.172 Patienten teilnehmen und in der schwere Hypoglykämien mit Notwendigkeit medizinischer Fremdhilfe (0,2% vs. 1,5%) und Todesfälle (0,2% vs. 1,4%) unter Sitagliptin seltener sind.16,17 Ursache von fünf der acht Todesfälle unter Glipizid sind jedoch Tumorerkrankungen, Sepsis oder Suizid, und die Autoren selbst sehen keinen Zusammenhang mit der Medikation.17 Beim Vergleich mit Glimepirid beruht der "geringe Zusatznutzen" einzig auf dem Nachweis einer geringeren Rate symptomatischer (0,6% vs. 6,4%), nicht aber schwerer Hypoglykämien in einer ähnlich großen 30-wöchigen Studie.18 In beiden Studien wird die Dosis der Sulfonylharnstoffe in der Anfangsphase forciert gesteigert mit dem Ziel einer normnahen Blutzuckereinstellung (Nüchtern-Blutzucker < 110 mg%17 bzw. HbA1c-Werte ≤ 6,5%18). Allein hierdurch könnten die höheren Hypoglykämieraten bedingt sein. Eine normnahe Blutzuckereinstellung wird zudem als generelles Therapieziel nach aktuellen Leitlinien ohnehin nicht mehr empfohlen,19,20 was die Aussagekraft beider Studien erheblich einschränkt. Des Weiteren ist Glipizid unseres Wissens seit 2007 in Deutschland nicht mehr zugelassen, und weder für Glipizid noch für Glimepirid liegen Belege für einen patientenrelevanten Nutzen vor. Ob diese Sulfonylharnstoffe eine zweckmäßige Vergleichstherapie darstellen, muss deshalb bezweifelt werden.21

Beim derzeitigen Verfahren der Nutzenbewertung nach AMNOG werden patientenrelevante Nutzen- und Schadensaspekte parallel betrachtet und Arzneimittel können einen Zusatznutzen gegenüber der zweckmäßigen Vergleichstherapie in der zusammenfassenden Bewertung durch ein Mehr an Nutzen und/oder ein Weniger an Schaden erbringen.22 Grundsätzlich ist es also möglich, dass ein Zusatznutzen lediglich aufgrund eines geringeren Schadens attestiert wird, ohne dass ein patientenrelevanter Nutzen für ein Mittel überhaupt nachgewiesen ist. Deutlich wird dies am Beispiel der Bewertung von Sitagliptin durch das IQWiG: Der Zusatznutzen von Sitagliptin gegenüber Glimepirid basiert einzig auf der geringeren Rate an symptomatischen Hypoglykämien, ohne dass bisher ein positiver Effekt auf diabetische Folgeerkrankungen für Sitagliptin dokumentiert ist.16 Zu fordern wäre dagegen ein sequenzielles Vorgehen, bei dem vor Betrachtung der Schadensaspekte zunächst der grundsätzliche Nutzen des Mittels nachgewiesen werden müsste. Dabei ist ein geringerer Schaden durchaus patientenrelevant - sofern der Nutzen eines Mittels, beispielsweise Gleichwertigkeit gegenüber einer nachweislich nützlichen Vergleichstherapie, gesichert ist.

∎  Der Dipeptidylpeptidase (DPP)-4-Hemmer Saxagliptin (ONGLYZA) hat nach Ergebnissen der SAVOR-TIMI-53-Studie als Zusatztherapie über zwei Jahre bei Typ-2-Diabetikern mit erhöhtem kardiovaskulären Risiko keinen günstigen Einfluss auf die Rate an Herzinfarkten, Schlaganfällen oder kardiovaskulären Todesfällen.

∎  Ähnliche Daten liefert die EXAMINE-Studie für Alogliptin (in Deutschland nicht zugelassen).

∎  Unter Saxagliptin sind Hypoglykämien und stationäre Aufnahmen wegen Herzinsuffizienz häufiger als unter Plazebo. Numerisch steigen auch die Mortalität und die Rate an Pankreatitiden.

∎  Beide als Sicherheitsstudien konzipierte Studien erbringen somit keine Hinweise auf einen patientenrelevanten Nutzen. Bei Saxagliptin überwiegt der Schaden gegenüber Plazebo.

∎  Im Rahmen der Bewertung des Bestandsmarktes der DPP-4-Hemmer erkennt das IQWiG weder für Saxagliptin noch für Vildagliptin (GALVUS, JALRA) einen Zusatznutzen. Der attestierte Zusatznutzen von Sitagliptin (JANUVIA, XELEVIA) gegenüber Sulfonylharnstoffen bei Kombination mit Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) ist in unseren Augen nicht nachvollziehbar.

∎  Wir raten beim gegenwärtigen Kenntnisstand von der Verwendung der DPP-4-Hemmer ab.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 KARAGIANNIS, T. et al.: BMJ 2012; 344: e1369 (15 Seiten)
M  2 MONAMI, M. et al.: Diabetes Obes. Metab. 2013; 15: 112-20
3 SCHEEN, A.J.: Nat. Rev. Cardiol. 2013: 10: 73-84
R  4 SCIRICA, B. M. et al.: N. Engl. J. Med., online publ. am 2. Sept. 2013
R  5 WHITE, W. B. et al.: N. Engl. J. Med., online publ. am 2. Sept. 2013 doi: 10.1056/NEJMoa1305889
6 Bristol-Myers Squibb: Presseerklärung vom 2. Sept. 2013
http://news.bms.com/press-release/onglyza-saxagliptin-achieves-primary-safety-endpoint-demonstrating-no-increased-risk-c
7 FDA: Guidance for Industry. Diabetes Mellitus - Evaluating Cardiovascular Risk in New Antidiabetic Therapies to Treat Type 2 Diabetes, Dez. 2008
http://www.fda.gov/downloads/Drugs/GuidanceComplianceRegulatoryInformation/ Guidances/ucm071627.pdf
8 HIATT, W. R. et al.: N. Engl. J. Med., online publ. am 2. Sept. 2013 doi: 10.1056/NEJMp1309610
9 Robert Koch-Institut (Hrsg.): Gesundheitsberichterstattung des Bundes 2005; Heft 24;
http://www.rki.de/DE/ Content/Gesundheitsmonitoring/ Gesundheitsberichterstattung/GBEDownloadsT/ diabetes_mellitus.pdf?__blob=publicationFile
R  10 HOLMAN, R. R. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 1577-89
11 COHEN, D.: BMJ 2013; 346: f3680 (7 Seiten)
12 SINGH, S. et al.: JAMA Intern. Med. 2013; 173: 534-9
13 BUTLER, A.E. et al.: Diabetes 2013; 62: 2595-604
14 IQWiG-Bericht Nr. 174: Saxagliptin-Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V vom 27.6.2013
15 IQWiG-Bericht Nr. 178: Vildagliptin-Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V vom 27.6.2013
16 IQWiG-Bericht Nr. 175: Sitagliptin-Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V vom 27.6.2013
R  17 SECK, T. et al.: Int. J. Clin. Pract. 2010; 64: 562-76
R  18 ARECHAVALETA, R. et al.: Diabetes Obes. Metab. 2011; 13: 160-8
19 Nationale Versorgungsleitlinie: Therapie des Typ-2-Diabetes, Aug. 2013
http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/ diabetes2/dm2_therapie/ pdf/ NVL-DM2-Ther-lang_130820.pdf
20 IZUCCHI, S. E. et al.: Diabetes Care 2012; 35: 1364-79
21 AKDÄ: Stellungnahme vom 22.7.2013 zur Nutzenbewertung von Sitagliptin
http://www.akdae.de/Stellungnahmen/AMNOG/A-Z/Sitagliptin/index.html
22 IQWiG: Allgemeine Methoden, Version 4.0 vom 23. Sept. 2011
https://www.iqwig.de/download/IQWiG_Methoden_Version_4_0.pdf

* EXAMINE = Examination of Cardiovascular Outcomes with Alogliptin versus Standard of Care
SAVOR-TIMI = Saxagliptin Assessment of Vascular Outcomes Recorded in
Patients with Diabetes Mellitus -Thrombolysis in Myocardial Infarction
** UKPDS = United Kingdom Prospective Diabetes Study

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 13. September 2013

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