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Korrespondenz

PALMITOYLETHANOLAMID (NORMAST) GEGEN SCHMERZEN?

Wie bewerten Sie Palmitoylethanolamid (NORMAST)? Von Patienten wird die Frage an mich herangetragen, was es mit diesem neuen „Wunderanalgetikum” auf sich hat.

K. WEISS (Facharzt für Allgemeinmedizin, klassische Homöopathie)
D-32756 Detmold
Interessenkonflikt: keiner

Palmitoylethanolamid, ein endogenes Fettsäureamid, wird unter dem Handelsnamen NORMAST nicht als Arzneimittel, sondern als „diätetisches Lebensmittel für besondere medizinische Zwecke” von einer niederländischen Firma auch hierzulande vermarktet. Dennoch propagiert es der Pharmakologe Jan M. KEPPEL HESSELINK wie ein Arzneimittel als Analgetikum für neuropathische Schmerzen. Hierzu nutzt er ein „open access”-Fachjournal,1 Auftritte auf Symposien und intensive Internetpräsenz2. Via YouTube3 werden Patienten präsentiert, die angeblich auf die Behandlung mit NORMAST gut angesprochen haben. Der Duktus der Ausführungen auf der für Laien konzipierten Webseite seines niederländischen Instituts2 stimmt uns ebenso wie die Darstellungen auf YouTube3 skeptisch: Das Mittel sei an mehreren tausend Patienten getestet worden, die Schmerzlinderung

„manchmal sogar besser als durch bekannte Schmerzmittel... Mit NORMAST ist endlich ein Schmerzmittel (Supplement) der neuen Generation auf dem Markt und die soweit beobachteten Nebenwirkungen sind minimal. Auch alte Menschen können dieses Mittel ohne Probleme einnehmen; Nebenwirkungen oder problematische Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln bestehen nicht...”2

Interessenkonflikte benennt KEPPEL HESSELINK trotz mehrerer direkter Verweise inklusive Verlinkung von seiner Webseite zum Hersteller nicht. In den Niederlanden geht inzwischen offenbar die Gesundheitsbehörde den fragwürdigen Aktivitäten im Zusammenhang mit NORMAST nach.4

Das z.B. in Sojabohnen, Erdnüssen und Eigelb vorkommende Palmitoylethanolamid soll antiinflammatorische und neuroprotektive Eigenschaften besitzen. Gemäß einer Übersicht1 existieren nur vier verblindete randomisierte kontrollierte Studien zu verschiedenen Schmerzzuständen. Die einzige größere veröffentlichte Studie,6 von italienischen Autoren lediglich auf Spanisch publiziert, wird von KEPPEL HESSELINK in einem Symposiumvortrag7 als „pivotale” Studie vorgestellt: In ihr nehmen 636 Patienten mit Lumboischialgien unterschiedlicher Genese drei Wochen lang täglich 300 mg NORMAST, 600 mg NORMAST oder Plazebo ein. Als primärer Endpunkt wird das Schmerzempfinden gemessen, auf einer visuellen Analogskala von 1 bis 10. Nach 21 Tagen soll das Schmerzempfinden unter Plazebo von 6,6 auf 4,6, unter 300 mg NORMAST von 6,5 auf 2,9 und unter 600 mg NORMAST von 7,1 auf 2,1 gefallen sein, ein statistisch signifikantes und – wenn glaubhaft – klinisch relevantes Ergebnis. Ob die Randomisierung verdeckt durchgeführt wurde („Concealment of allocation”, vgl. a-t 2012; 43: 57), die verblindete Einnahme funktionierte und die Endpunkte verblindet erhoben wurden, ist jedoch unklar. Angaben zu Begleittherapien fehlen. Das Risiko für eine systematische Verzerrung ist hoch. Ein Beweis für die Wirksamkeit lässt sich allein aus dieser Arbeit ohnehin nicht ableiten.

∎  Ob das diätetische Lebensmittel Palmitoylethanolamid (NORMAST) ein wirksames Präparat gegen neuropathische Schmerzen darstellt, lässt sich mit den vorhandenen Daten nicht belegen.

∎  Die intensive Bewerbung des Mittels in der Indikation neuropathischer Schmerz durch den niederländischen Pharmakologen KEPPEL HESSELINK erachten wir als nicht seriös.

∎  Auf jeden Fall müsste NORMAST, wenn es als Schmerzmittel vermarktet und eingenommen werden soll, den Zulassungsprozess eines Arzneimittels inklusive Durchführung zulassungsrelevanter präklinischer und klinischer Studien durchlaufen, bevor überhaupt eine Empfehlung für eine gezielte therapeutische Anwendung infrage käme.

  (R =randomisierte Studie)
1 KEPPEL HESSELINK, J.M.: The Open Pain Journal 2012, 5: 12-23
2 Instituut voor Neuropathische Pijn: http://www.neuropathie.nu/deutsch/palmitoylethanolamin-normast-was-es-ist-und-wie-man-es-anwe.html
3 KEPPEL HESSELINK, J.M.: http://www.youtube.com/watch?v=_ivosYlp4jc und http://www.youtube.com/user/Neuropathyinfo4u/videos?sort=dd&view=0&page=33
4 SCHMITZ, M.: Westd. Allg. Ztg. vom 16. März 2012; http://www.derwesten.de/region/westfalen/wissenschaft-auf-neuen-wegen-id6465659.html
5 http://www.painkillernormast.com/references/
R  6 GUIDA, G. et al.: Dolor 2010; 25: 35-42
7 KEPPEL HESSELINK, J. M. : http://www.youtube.com/watch?v=3wgdwcijCt0

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 9. November 2012

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