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Therapiekritik

LETROZOL (FEMARA, GENERIKA) ZUR ADJUVANTEN BRUSTKREBSTHERAPIE
... Hinweis auf Lebensverlängerung

Die Aromatasehemmer Anastrozol (ARIMIDEX, Generika), Letrozol (FEMARA, Generika) und Exemestan (AROMASIN, Generika) haben in der adjuvanten hormonellen Therapie des Brustkrebses bei Frauen nach der Menopause in verschiedenen Studien das krankheitsfreie Überleben gegenüber dem Standard, der fünfjährigen Einnahme des Antiöstrogens Tamoxifen (NOLVADEX, Generika), konsistent verlängert.1-4 Beim krankheitsfreien Überleben handelt es sich um einen Surrogatparameter für den eigentlich wichtigen Endpunkt, das Überleben insgesamt. Der Vorhersagewert des krankheitsfreien Überlebens für das Gesamtüberleben ist beim Mammakarzinom aber fraglich (vgl. a-t 2011; 42: 33-5), unter anderem deshalb, weil der Endpunkt häufig Lokalrezidive und Zweittumoren umfasst, deren Auswirkung auf das Gesamtüberleben minimal sind.5 Ein signifikanter Vorteil eines Aromatasehemmers in Hinblick auf das Überleben nach adjuvanter Brustkrebstherapie ist bislang nicht belegt (a-t 2009; 40: 56-9).

Jetzt wird erstmals aus der BIG*-1-98-Studie nach medianem Follow-up von 8,7 Jahren in der Intention-to-treat-Analyse eine grenzwertig signifikante Senkung der Gesamtsterblichkeit unter der fünfjährigen Einnahme von Letrozol im Vergleich zur fünfjährigen Tamoxifentherapie berichtet (16,6% vs. 18,8%; HR 0,87; 95% CI 0,77-0,999; p = 0,048; Number needed to treat [NNT] = 45). Die BIG-1-98-Studie war zunächst als zweiarmiger Vergleich von Letrozol mit Tamoxifen als Monotherapie ausgelegt und wurde später um zwei Arme zur Sequenztherapie, in denen jeweils zwei Jahre lang eines der beiden Mittel eingenommen und dann auf das andere gewechselt wird, erweitert. Bei der aktuellen Analyse handelt es sich um eines der alle zwei Jahre geplanten Updates in der Nachbeobachtung, die jetzt noch 95% der ursprünglich 4.922 in die Monotherapie-Arme randomisierten Frauen umfasst.6 Im letzten Update vor zwei Jahren ergab sich für die Gesamtsterblichkeit nur ein Trend zu Gunsten von Letrozol (12,3% vs. 13,9%; p = 0,08).7

* BIG = Breast International Group

Die Interpretation des aktuellen Befundes ist nicht leicht. Einerseits ist es biologisch plausibel, dass die signifikante Minderung der prognostisch bedeutsamen Fernmetastasen unter Letrozol in BIG 1-982,6,8 mit Verzögerung auch eine Minderung der Gesamtsterblichkeit nach sich zieht, sofern dieser Effekt nicht durch unerwünschte Wirkungen auf das Überleben an anderer Stelle zunichte gemacht wird. Bei Tamoxifen zeichnete sich der volle Umfang des lebensverlängernden Effekts gegenüber Plazebo erst nach mindestens zehnjähriger Nachbeobachtung ab. Die Entwicklung der Sterblichkeitsunterschiede in BIG-1-98 von 0,7% in der ersten Publikation 2005 bis hin zu 2,2% in der aktuellen Analyse könnte dafür sprechen, dass es sich um einen realen Effekt handelt. Andererseits bietet ein knapp signifikanter, nicht adjustierter p-Wert in einem von vielen Tests nicht die Ergebnissicherheit, die man für einen Beleg benötigt. Die Möglichkeit, dass es sich um eine zufällige Schwankung unter die Signifikanzgrenze handelt, die im nächsten Update schon wieder verschwunden ist, ist nicht auszuschließen.

Erschwert wird die Interpretation auch durch das hohe Cross over aus der Tamoxifengruppe hin zu Letrozol (25%), nachdem die ersten Ergebnisse zum krankheitsfreien Überleben bereits nach medianer Nachbeobachtung von nur 2,2 Jahren publiziert worden waren (a-t 2006; 37: 19-21).2 Die Annahme der Autoren, dass der Vorteil von Letrozol durch den Wechsel bei einer Intention-to-treat-Analyse eher unterschätzt wird,6 ist plausibel, aber nicht gesichert.**

** Im später gestarteten vierarmigen Studienteil hat sogar mehr als ein Drittel der Frauen den Tamoxifenarm verlassen. Ein Vergleich der Sequenzschemata mit Tamoxifen allein wird daher schon nicht mehr als sinnvoll erachtet.9 Von Letrozol allein unterscheiden sie sich hinsichtlich krankheitsfreiem und Gesamtüberleben nicht signifikant.6

Eine Bestätigung für diesen Befund aus anderen (validen) Studien mit Aromatasehemmern gibt es derzeit nicht. Ein signifikanter Effekt auf die Sterblichkeit wurde bisher nur aus der relativ kleinen ARNO***-95-Studie10 zur Sequenztherapie mit Anastrozol berichtet, in der aber nach einem Jahr bereits etwa 20% der Patientinnen in der Nachbeobachtung fehlen und die durch Ungereimtheiten wenig glaubwürdig ist. In einer gut zwei Jahre später publizierten Metaanalyse11 dieser Studie mit drei anderen Studien zur Sequenztherapie (2-3 Jahre Tamoxifen, dann Umstellung auf Aromatasehemmer oder Fortsetzung von Tamoxifen) ist der Effekt in ARNO 95 zudem schon nicht mehr vorhanden. Die in der Metaanalyse selbst ermittelte signifikante Mortalitätssenkung unter Aromatasehemmern erscheint uns ebenfalls wenig aussagekräftig, da neben ARNO 95 zwei weitere mangelhafte, offen durchgeführte Studien (ABCSG*** 8 und ITA***; vgl. a-t 2009; 40: 56-9) ausgewertet werden und das Intention-to-treat-Prinzip verletzt wird: Analysiert werden jeweils nur Ereignisse nach dem Switch. In der ABCSG-8-Studie wurden die Frauen aber bereits bei Diagnose randomisiert. Dies führt zum Ausschluss aller Frauen, die in ABCSG 8 während der zweijährigen Tamoxifeneinnahme ein Rezidiv hatten, gestorben oder verloren gegangen sind.11 Die bereits 1996 gestartete ABCSG-8-Studie12 ist zudem nach wie vor nicht vollständig publiziert und somit nicht überprüfbar. In der zweiten großen Studie zum Vergleich von Tamoxifen mit einem Aromatasehemmer als fünfjährige Monotherapie, der ATAC***-Studie mit Anastrozol,1 lässt sich auch nach medianer Nachbeobachtung von zehn Jahren kein Vorteil in der Sterblichkeit erkennen (23,5% versus 24%; Hazard Ratio [HR] 0,97; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,88-1,08).13

*** ABCSG = Austrian Breast and Colorectal Cancer Study Group, ARNO = Arimidex-Nolvadex, ATAC = Arimidex, Tamoxifen Alone or in Combination, ITA = Italian Tamoxifen Anastrozole

Die Diskrepanz zwischen Letrozol in BIG 1-98 und Anastrozol in ATAC kann durch Zufall oder durch unterschiedliche Studienpopulationen bedingt sein, kann aber auch reale Unterschiede von Nutzen und Sicherheit der beiden Aromatasehemmer anzeigen. Wir sehen beim derzeitigen Kenntnisstand einen Hinweis auf einen lebensverlängernden Effekt von Letrozol, wenn es in der adjuvanten Therapie des Brustkrebses fünf Jahre lang statt Tamoxifen eingenommen wird. Letrozol ist mittlerweile als Generikum verfügbar. Für ein günstiges Letrozolgenerikum ist mit Jahreskosten von 365 € für täglich 2,5 mg aber immer noch fünfmal so viel wie für ein günstiges Tamoxifengenerikum aufzuwenden (74 € für täglich 20 mg). Ein verhinderter Todesfall durch Einnahme von Letrozol - vorausgesetzt der Befund ist real -, würde beim derzeitigen Preisstand rund 65.000 € kosten.

∎  In der neuesten Auswertung der BIG-1-98-Studie ergibt sich für die fünfjährige Einnahme des Aromatasehemmers Letrozol (FEMARA, Generika) statt Tamoxifen (NOLVADEX, Generika) in der adjuvanten hormonellen Therapie des Brustkrebses bei Frauen nach der Menopause eine grenzwertig signifikante Mortalitätssenkung.

∎  Wir sehen aus methodischen Gründen in diesem Ergebnis keinen Beleg, aber einen Hinweis auf einen lebensverlängernden Effekt durch Letrozol im Vergleich zu Tamoxifen.

∎  Betroffene Frauen sollen über den Kenntnisstand einschließlich der Unsicherheiten in der Datenlage aufgeklärt werden und auf dieser Basis entscheiden.

∎  Wenn in der adjuvanten Therapie bei Brustkrebs in der Postmenopause ein Aromatasehemmer verordnet werden soll, ist unseres Erachtens beim derzeitigen Kenntnisstand Letrozol zu bevorzugen.

∎  Die fünfjährige Einnahme von Letrozol verteuert die adjuvante Brustkrebstherapie gegenüber Tamoxifen auf das Fünffache.

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R    1 The ATAC Trialists' Group: Lancet 2002; 359: 2131-9
R    2 The BIG 1-98 Collaborative Group: N. Engl. J. Med. 2005; 353: 2747-57
R    3 COOMBES, R.C. et al.: N. Engl. J. Med. 2004; 350: 1081-92
R    4 GOSS, P.E. et al.: N. Engl. J. Med. 2003; 349: 1793-802
5 SERUGA, B., TANNOCK, I.F.: J. Clin. Oncol. 2009; 27: 840-2
R    6 REGAN, M.M. et al.: Lancet Oncology 2011; 12: 1101-8
R    7 The BIG 1-98 Collaborative Group: N. Engl. J. Med. 2009; 361: 766-76
R    8 COATES, A.S. et al.: J. Clin. Oncol. 2007; 25: 486-92
9 GIOBBIE-HURDER, A. et al.: Clin. Trials 2009; 6: 272-86
R  10 KAUFMANN, M. et al.: J. Clin. Oncol. 2007; 25: 2664-70
M  11 DOWSETT, M. et al.: J. Clin. Oncol. 2010; 28: 509-18
12 AstraZeneca: ABCSG 8 - Adjuvant Treatment in Patients with Hormone Receptor-Positive Breast Cancer with Good to Moderate Differentiation, Clin.Trials.gov, Stand Febr. 2007
http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00291759
R  13 CUZICK, J. et al.: Lancet Oncology 2010; 11: 1135-41

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 2. Dezember 2011

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