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Therapiekritik

BEVACIZUMAB: ALTERNATIVE ZU RANIBIZUMAB BEI MAKULADEGENERATION

Die altersbedingte Makuladegeneration (AMD) ist in unserer Region eine häufige Ursache für Erblindung. Insbesondere die feuchte Form kann mit rascher Sehverschlechterung einhergehen (a-t 2007; 38: 3-4, 13-14 und 19-22). Die intravitreale Injektion von Hemmstoffen des vaskulären endothelialen Wachstumsfaktors (VEGF) hat die Behandlungsmöglichkeiten bei der feuchten AMD deutlich verbessert.1 Kontrovers wird jedoch seit Jahren und nicht nur in der ophthalmologischen Fachwelt diskutiert, ob als VEGF-Inhibitor das für die Indikation zugelassene und in aussagekräftigen Studien2,3 gut dokumentierte Ranibizumab (LUCENTIS) – ein Fragment des humanisierten monoklonalen Antikörpers Bevacizumab (AVASTIN) – oder im Off-label-Gebrauch die nur für bestimmte Tumorerkrankungen zugelassene und bei AMD bisher nur unzureichend geprüfte, jedoch zigfach preiswertere Muttersubstanz Bevacizumab bevorzugt werden soll. Wir erachteten zuletzt Ranibizumab als Mittel der Wahl und hielten die Anwendung von Bevacizumab, trotz der umfangreichen Erfahrungen mit dem Mittel in der Praxis, aufgrund der unklaren Datenlage zu Nutzen und Sicherheit nur im Rahmen von Studien als gerechtfertigt, zumal Vergleichsstudien mit Ranibizumab ausstanden (a-t 2009; 40: 63-5).

Jetzt werden erste Ergebnisse der öffentlich finanzierten US-amerikanischen CATT*-Studie publiziert, die in vier Gruppen nach der Erstinjektion monatliche bzw. bedarfsadaptierte Injektionen von Bevacizumab mit solchen von Ranibizumab vergleicht.4 Die 1.208 Patienten sind mindestens 50 Jahre alt und leiden an einer zuvor unbehandelten AMD mit aktiven choroidalen Neovaskularisationen, die fluoreszenzangiografisch und kohärenztomografisch nachgewiesen sein müssen. Pro Anwendung werden einfachblind und randomisiert 1,25 mg Bevacizumab oder 0,5 mg Ranibizumab intravitreal injiziert, jeweils gelöst in 0,05 ml Medium. Bevacizumab wird aus den zur Tumortherapie kommerziell erhältlichen Präparaten hergestellt. In den Gruppen mit bedarfsadaptierter Anwendung treffen Augenärzte, die gegenüber den Therapien verblindet sind, die Entscheidung zur erneuten Injektion in Abhängigkeit vom Sehschärfeverlauf und apparativ erhobenen Befunden.4

* CATT = Comparison of Age-Related Macular Degeneration Treatment Trials

Primärer Endpunkt ist die Änderung der Sehschärfe nach einem Jahr. Prüfhypothese ist, dass sich keine Therapie einer anderen als unterlegen erweist. Bei nachgewiesener Nichtunterlegenheit kann auf Überlegenheit getestet werden. Die Toleranzgrenze für die Nichtunterlegenheit im Gruppenvergleich ist ein Unterschied im Sehvermögen von fünf Buchstaben auf der ETDRS**-Sehtafel. Weitere prädefinierte Endpunkte sind der Anteil an Patienten mit Änderung der Sehschärfe um 15 Buchstaben oder mehr, die Zahl der Injektionen, die jährlichen Kosten der Prüfpräparate, die Raten systemischer und lokaler Störwirkungen sowie die Foveadicke in der Kohärenztomografie und die Größe der Läsionen in der Fluoreszeinangiografie.4

** ETDRS = Early Treatment Diabetes Retinopathy Study

Nach Ausschluss eines Zentrums mit 23 Patienten wegen schwerer Protokollverletzungen verbleiben 1.185 Patienten. Sie sind im Mittel 79 Jahre alt. 62% sind Frauen. Auffällige Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen bei den Basisdaten, Begleiterkrankungen und ophthalmologischen Ausgangsbefunden finden sich nicht. Bei zentraler Überprüfung erfüllen 97% die Einschlusskriterien, für 95% liegen Befunde zur Sehschärfe nach einem Jahr vor.4

Die Sehschärfe nimmt in allen Behandlungsgruppen nach einem Jahr gegenüber den Ausgangswerten zu: um durchschnittlich 8,0 bzw. 8,5 Buchstaben (BS) auf der Sehtafel unter monatlicher Anwendung von Bevacizumab bzw. Ranibizumab und um 5,9 bzw. 6,8 BS bei bedarfsadaptierter Therapie. 70% bis 90% der Zunahme werden in den ersten drei Monaten erreicht. Die Sehschärfenzunahme unter Bevacizumab ist äquivalent mit der unter Ranibizumab, und zwar sowohl bei monatlicher (-0,5 BS; 99% Vertrauensbereich [CI] -3,9 bis 2,9) als auch bei bedarfsadaptierter Anwendung (-0,8 BS; 99% CI -4,1 bis 2,4) beider Mittel. Zudem führt bedarfsadaptiertes Ranibizumab zu äquivalenten Ergebnissen wie monatliches Bevacizumab (-1,2 BS; 99% CI -4,5 bis 2,1) oder monatliches Ranibizumab (-1,7 BS; 99% CI -4,7 bis 1,3). Anders fallen die Ergebnisse für bedarfsadaptierte Gaben von Bevacizumab aus: Die Nichtunterlegenheit gegenüber monatlichen Injektionen von Bevacizumab (-2,1 BS; 99% CI -5,7 bis 1,6) oder Ranibizumab (-2,6 BS; 99% CI -5,9 bis 0,8) kann nicht bewiesen werden, jedoch auch nicht die Unterlegenheit. Adjustierungen für verschiedene mögliche Einflussfaktoren haben keinen Einfluss auf die Ergebnisse.4

Der Anteil an Patienten mit einer Sehschärfenzunahme um mindestens 15 Buchstaben (zwischen 25% und 34% in den Gruppen) oder einer Abnahme um mindestens 15 Buchstaben (zwischen 4,6% und 8,5%) unterscheidet sich zwischen den Therapien nicht signifikant (p = 0,09 bzw. p = 0,29). Bei bedarfsadaptierter Therapie sind im Mittel signifikant mehr Injektionen von Bevacizumab als von Ranibizumab nötig (7,7 vs. 6,9; p = 0,003). Die Kosten für Ranibizumab sind unter beiden Dosisregimen fast 40-fach höher als die für Bevacizumab.4

In den Bevacizumabgruppen versterben 15, in den Ranibizumabgruppen 9 Patienten (p = 0,22). Unterschiede in der Häufigkeit arterieller (p = 0,85) oder venöser thrombotischer Ereignisse (p = 0,28) finden sich nicht. Schwerwiegende systemische Störwirkungen, zu 80% wegen stationärer Behandlungsbedürftigkeit so klassifiziert, treten insgesamt in den Bevacizumabgruppen häufiger auf als in den Ranibizumabgruppen (24,1% vs. 19,0%; p = 0,04); einem Organsystem lässt sich die Häufung nicht zuordnen. Lokale Störwirkungen wie beispielsweise Endophthalmitis, Uveitis, Retinaablösungen oder -risse und Embolien der Augengefäße sind selten (< 1%) und zwischen den Mitteln ähnlich häufig.4

Die CATT-Studie erscheint methodisch valide durchgeführt zu sein. Ein gewisser Mangel könnte darin gesehen werden, dass die behandelnden und auswertenden Augenärzte, nicht aber die Patienten verblindet sind. Eine mögliche Verzerrung der Ergebnisse wäre jedoch eher zu Ungunsten von Bevacizumab zur erwarten. Nach den Ergebnissen der Studie können Bevacizumab und Ranibizumab in der Therapie der feuchten AMD von der Substanz her als klinisch gleich effektiv angesehen werden. Die Hintergründe für die häufigeren systemischen Störwirkungen unter Bevacizumab bleiben unklar, da sie nicht in das Spektrum der aus der systemischen Therapie bekannten eingeordnet werden können. Auch zur verlässlichen Bewertung der lokalen Sicherheit im Vergleich zu Ranibizumab wird man wegen der insgesamt geringen Inzidenz der Ereignisse die Ergebnisse aus dem weiteren Verlauf der Studie und die anderer Vergleichsstudien zwischen Bevacizumab und Ranibizumab abwarten müssen.5 Acht solcher Studien, allesamt öffentlich finanziert, werden aktuell durchgeführt: in Deutschland,6 Frankreich,7 Großbritannien,8 Holland,9,10 Österreich,11 Norwegen12 und Brasilien13.

Ein weiteres wichtiges Ergebnis der CATT-Studie ist, dass monatliche Anwendungen von Ranibizumab und bedarfsadaptierte Injektionen gemäß Augenbefund klinisch gleich effektiv sind. Ein Beleg durch eine adäquat gepowerte Studie stand hierfür bisher aus. Indirekt findet die von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA zugelassene, bisher aber nie geprüfte Dosierstrategie – monatliche Injektionen in den ersten drei Monaten, dann bedarfsadaptiert14 – hierdurch eine gewisse nachträgliche Begründung. Bevacizumab sollte dagegen, wenn es verwendet wird, regelmäßig einmal pro Monat injiziert werden, da für die bedarfsadaptierte Anwendung die Nichtunterlegenheit weder gegenüber der monatlichen Gabe belegt ist noch gegenüber dem bisherigen Standard der monatlichen Injektion von Ranibizumab oder dem hier zugelassenen Dosierregime für Ranibizumab. Nach den Daten der CATT-Studie erhöht sich dadurch die Zahl der Injektionen pro Jahr von etwa acht auf zwölf, was unter Kostenaspekten, aber auch hinsichtlich der Zumutbarkeit für die Patienten als vertretbar erscheint. Wie lange Bevacizumab monatlich gegeben werden sollte, bleibt zunächst unklar. Zur Klärung wird möglicherweise die zweite Phase der CATT-Studie beitragen, für die die Patienten mit monatlichen Injektionen von Bevacizumab und Ranibizumab rerandomisiert werden und ein weiteres Jahr lang entweder monatlich oder bedarfsadaptiert behandelt werden.

∎  In der ersten publizierten, öffentlich finanzierten Vergleichsstudie sind Bevacizumab (AVASTIN) und Ranibizumab (LUCENTIS) in der Therapie der feuchten altersbedingten Makuladegeneration bei gleicher Dosierstrategie auch gleich effektiv.

∎  Schwerwiegende systemische unerwünschte Wirkungen insgesamt scheinen unter Bevacizumab häufiger aufzutreten, ohne dass bisher für einzelne Störwirkungen eine Häufung erkennbar ist. Auf unerwünschte Effekte ist in weiteren Studien jedoch sorgfältig zu achten.

∎  Die Rate lokaler Störwirkungen unter den beiden Mitteln erscheint vergleichbar. Wegen ihrer geringen Inzidenz sind die Daten jedoch vorläufig.

∎  Für die bedarfsadaptierte Anwendung von Bevacizumab bleibt die Nichtunterlegenheit gegenüber der monatlichen Injektion, vor allem aber gegenüber der am besten geprüften monatlichen Anwendung von Ranibizumab unbewiesen.

∎  Ranibizumab kann ohne relevante Einbuße an klinischer Effektivität bedarfsadaptiert angewendet werden und sehr wahrscheinlich auch gemäß dem hierzulande zugelassenen Regime.

∎  Bei monatlicher Anwendung erachten wir nach diesen neuen Daten Bevacizumab als eine vertretbare und vor allem kostengünstige Alternative zu Ranibizumab bei der feuchten altersbedingten Makuladegeneration. Über den Off-Label-Gebrauch muss sorgfältig aufgeklärt werden.

  (R =randomisierte Studie)
1 JOUSSEN, A.M., BORNFELD N.: Dtsch. Arztebl. Int. 2009; 106: 312-7
R  2 ROSENFELD, P.J. et al.: N. Engl. J. Med. 2006; 355: 1419-31
R  3 BROWN, D.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2006; 355: 1432-44
R  4 MARTIN, D.F. for The CATT Research Group: N. Engl. J. Med. 2011, online publ. 28. Apr. 2011
5 ROSENFELD, P.J.: N. Engl. J. Med. 2011, online publ. 28. Apr. 2011
6 VIBERA: http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00559715
7 GEFAL: http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01170767
8 IVAN: http://www.controlled-trials.com/isrctn/search.html?srch=ISRCTN92166560
9 http://apps.who.int/trialsearch/Trial.aspx?TrialID=NTR1704
10 http://apps.who.int/trialsearch/Trial.aspx?TrialID=NTR1331
11 MANTA: http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00710229
12 LUCAS: http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00559715
13 AxL-2009: http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT01014468
14 Novartis Pharma: Fachinformation LUCENTIS, Stand Dez. 2010

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 6. Mai 2011

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