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PHOSPHODIESTERASE-4-HEMMER ROFLUMILAST (DAXAS) BEI COPD

Für Patienten mit schwerer oder sehr schwerer chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung (COPD; Einsekundenkapazität [FEV1] < 50% vom erwarteten Wert) und rezidivierenden Exazerbationen wird in Leitlinien Dauertherapie mit inhalativen Glukokortikoiden zusätzlich zu langwirkenden Bronchodilatatoren empfohlen.1,2 Nach Metaanalysen mindert die Kombination gegenüber alleinigen Bronchodilatatoren die Exazerbationsrate, steigert die FEV1 und verbessert die Lebensqualität,3 gegenüber Plazebo wird auch die Sterblichkeit gesenkt.4,5 Inhalative Glukokortikoide erhöhen jedoch das Pneumonierisiko bei COPD-Patienten (vgl. a-t 2007; 38: 37-9).3,5

Seit Anfang August ist für Patienten mit schwerer COPD (FEV1 < 50%) und häufigen Exazerbationen, bei denen Symptome einer chronischen Bronchitis im Vordergrund stehen, mit dem Phosphodiesterase (PDE)-4-Hemmer Roflumilast (DAXAS) ein neues Wirkprinzip im Handel. Roflumilast soll als Zusatz zu Bronchodilatatoren eingenommen werden.6 Der europäischen Zulassung geht eine ungewöhnlich lange, nämlich etwa 15-jährige klinische Erprobung auch in anderen Indikationen voraus, während der der Lizenzinhaber mehrfach gewechselt hat.7 In den USA ist Roflumilast bislang nicht zugelassen. Die dortige Arzneimittelbehörde FDA fordert mehr Daten.8

EIGENSCHAFTEN: Roflumilast soll antientzündlich wirken. Es hat keine akuten bronchodilatatorischen Effekte.9 Die von Roflumilast gehemmte Phosphodiesterase (PDE) 4 gehört zu einer Superfamilie von Enzymen, die die intrazellulären sekundären Botenstoffe cAMP* und cGMP* abbauen und somit eine Schlüsselrolle in der Regulierung der Zellfunktion haben. Die elf bekannten Phosphodiesterasen unterscheiden sich in ihrer Gewebsverteilung und Substratspezifität. PDE 4 ist das vorherrschende Isoenzym in der Mehrzahl der Entzündungszellen. Es findet sich außerdem unter anderem in Lunge, Gehirn, Leber und Nieren. Hemmung der PDE 4 soll die Aktivierung verschiedener Entzündungszellen wie neutrophiler und eosinophiler Leukozyten oder Makrophagen unterdrücken.10,11 In einer Cross-over-Studie mit 38 COPD-Patienten mindert die Einnahme von täglich 500 µg Roflumilast in vier Wochen Neutrophile und Eosinophile im Sputum um 36% bzw. 50%.12 Ein unspezifischer PDE-Hemmer, der in der Indikation verwendet wird, ist das Altarzneimittel Theophyllin (SOLOSIN, Generika).7

* cAMP = zyklisches Adenosinmonophosphat
cGMP = zyklisches Guanosinmonophosphat

KLINISCHE WIRKSAMKEIT: An den beiden zulassungsrelevanten zwölfmonatigen Phase-III-Studien nehmen insgesamt 3.091 COPD-Patienten teil. Sie müssen älter als 40 Jahre sein, ihre FEV1 darf höchsten 50% vom Soll betragen, und sie müssen außerdem an chronischer Bronchitis mit produktivem Husten leiden und im Jahr vor Studienbeginn mindestens eine Exazerbation durchgemacht haben. Nach randomisierter Zuteilung nehmen sie täglich 500 µg Roflumilast oder Plazebo ein. Die Patienten dürfen neben der Studienmedikation eine vorbestehende Therapie mit langwirkenden Betamimetika beibehalten (50%), aber kein Tiotropium und keine inhalativen Kortikosteroide verwenden, die für diese schwerkranken Patienten Standard sind.7,14 Auch eine Teilnahme an pneumologischen Rehabilitationsprogrammen ist Ausschlussgrund. Die Patienten sind im Mittel 64 Jahre alt. 76% sind Männer, 41% rauchen, die übrigen haben geraucht. 63% haben eine schwere COPD (FEV1 zwischen 30% und 50%), 29% eine sehr schwere. 42% sind mit inhalativen Kortikosteroiden vorbehandelt. In beiden Studien werden sowohl Lungenfunktion als auch Exazerbationsraten signifikant beeinflusst. Nach gepoolter Analyse nimmt die FEV1 unter Roflumilast im Vergleich zu Plazebo im Mittel um 48 ml zu (95% Konfidenzintervall [CI] 35 ml bis 62 ml). Exazerbationen, die systemische Glukokortikoide oder stationäre Behandlung erfordern oder zum Tod führen, gehen im Mittel von 1,37 pro Patient und Jahr unter Scheinmedikament auf 1,14 unter Verum zurück (relative Risikoreduktion [RR] 0,83; 95% CI 0,75-0,92). Die Sterblichkeit unterscheidet sich nicht (jeweils 2,7%).14

An vier weiteren sechs- bzw. zwölfmonatigen Phase-III-Studien nehmen insgesamt 4.362 COPD-Patienten teil. Wegen anderer Einschlusskriterien entsprechen sie nicht der durch die Zulassung definierten Zielgruppe. Auch in diesen Studien wird nicht gemäß heutigen Standards therapiert. Roflumilast erhöht die FEV1 im Vergleich zu Plazebo im Mittel um 40 ml bis 80 ml, hat hier aber keinen signifikanten Einfluss auf die primär oder als vorrangige sekundäre Endpunkte geprüften mittleren Exazerbationsraten.7,13,15

Der Einfluss von Roflumilast auf Lungenfunktion und Exazerbationsrate in den Zulassungsstudien entspricht bei indirektem Vergleich im Ausmaß in etwa dem etablierter COPD-Mittel wie Fluticason (FLUTIDE u.a.) oder Salmeterol (SEREVENT u.a.) bei schweren COPD-Stadien.16 Da jedoch Studien fehlen, in denen der PDE-4-Hemmer als Zusatz oder im direkten Vergleich mit der Standardtherapie geprüft wird, bleibt sein therapeutischer Stellenwert offen. Es fehlen außerdem jegliche Erfahrungen mit Roflumilast über mehr als zwölf Monate.

UNERWÜNSCHTE WIRKUNGEN: Unter Roflumilast brechen insgesamt mehr Patienten die Therapie ab als unter Plazebo (28% versus 23%). Auch der Abbruch wegen unerwünschter Effekte ist häufiger (14% vs. 9%).7 Häufigste unerwünschte Wirkungen sind Magen-Darm-Beschwerden (22% vs. 11%), vor allem Durchfall (10% vs. 3%) und Übelkeit (5% vs. 1%). Bedenklich ist der durch Roflumilast ausgelöste Gewichtsverlust, der nicht nur bei Patienten mit Durchfall oder Übelkeit auftritt. Gewichtsverlust geht bei COPD-Patienten mit ungünstiger Prognose einher. In den beiden Zulassungsstudien, in denen die Patienten regelmäßig gewogen werden, verlieren unter Verum 62% an Gewicht (Plazebo 38%), im Mittel 2,1 kg (Plazebo + 0,1 kg). Prozentual ist der Gewichtsverlust im Plazebovergleich bei den ohnehin schon untergewichtigen sowie bei den am schwersten erkrankten Patienten am höchsten.7,9

Häufig sind Störungen des Nervensystems (11% vs. 6%), vor allem Kopfschmerzen (5% vs. 2%) und Schwindel (2% vs. 1%). Roflumilast ruft zudem psychiatrische Störwirkungen hervor (7% vs. 3,5%), insbesondere Schlafstörungen (3% vs. 1%), Angst (1,4% vs. 0,8%) und Depression (1,4% vs. 0,9%). Drei Verumanwender im COPD-Programm ohne bekannte Depression in der Vorgeschichte begehen Suizid, davon zwei etwa drei Wochen nach Absetzen von Roflumilast, zwei weitere einen Selbstmordversuch (insgesamt 0,08%). Unter Plazebo werden nur bei einem Patienten Suizidgedanken erfasst (0,02%).7,9 Roflumilast darf nach Vorgaben der europäischen Arzneimittelbehörde EMA nur mit speziellem Schulungsmaterial für die verordnenden Ärzte und einer Informationskarte für Patienten vermarktet werden, die unter anderem die Aufmerksamkeit für mögliche Suizidalität erhöhen sollen.13

Die numerisch höheren Raten von Vorhofflimmern (0,42% vs. 0,16%) und Tod nach Herzstillstand (0,12% vs. 0,02%) unter Roflumilast könnten auf ein mögliches arrhythmogenes Potenzial hindeuten. Das Störwirkungsspektrum von Roflumilast erinnert an das der Altsubstanz Theophyllin.

Im Tierversuch mit Hamstern nehmen unter Roflumilast Karzinome der Nasenhöhle zu. Die FDA sieht darin ein Signal für ein karzinogenes Risiko auch bei Menschen. Experten der FDA machen bestimmte Stoffwechselprodukte des PDE-4-Hemmers beim Hamster für die Tumoren verantwortlich, die zum Teil inzwischen auch bei Menschen aufgefunden wurden, über die zum anderen Teil aber noch Unklarheit herrscht.7,9 Auch in klinischen Studien kommen maligne Tumoren unter der zugelassenen Dosis tendenziell häufiger vor als unter Plazebo. Beim Bronchial-, Prostata- und kolorektalen Karzinom sind die Unterschiede nominell signifikant. Ein potenzieller Wirkmechanismus für die zum Teil früh im Studienverlauf beobachteten Malignome ist nicht bekannt.9,16 In der hiesigen Fachinformation wird das potenzielle Risiko verschwiegen, selbst die Nasentumoren bei Hamstern bleiben unerwähnt.6 Andererseits fordert die EMA, dass das begleitende Schulungsmaterial die verordnenden Ärzte über das potenzielle Krebsrisiko informiert. Krebspatienten dürfen kein Roflumilast einnehmen.13

KOSTEN: Als Zusatz zu Salmeterol (SEREVENT, monatlich 56 € für täglich 100 µg) verteuert Roflumilast (DAXAS) mit monatlichen Kosten von 57 € für täglich 500 µg (zusammen 113 €) die Therapiekosten für die Behandlung der COPD gegenüber einer freien Kombination aus Salmeterol und Fluticason (FLUTIDE, monatlich 33 € für täglich 1 mg; zusammen 89 €) um mehr als 25%. Im Vergleich zur Salmeterol-Fluticason-Fixkombination VIANI (monatlich 122 €) kostet Roflumilast plus Salmeterol 9 € (7%) weniger.

∎  Der Phosphodiesterase (PDE)-4-Hemmer Roflumilast (DAXAS), ein pharmakologischer Verwandter des unspezifischen PDE-Hemmers Theophyllin (SOLOSIN, Generika), bessert bei Patienten mit schwerer chronisch obstruktiver Lungenerkrankung (COPD) und chronischer Bronchitis, die zudem ein erhöhtes Exazerbationsrisiko haben, die aber nicht standardgemäß behandelt werden, die Lungenfunktion und senkt die Exazerbationsrate.

∎  Der therapeutische Stellenwert lässt sich mit den vorliegenden Daten nicht definieren: Da den Studienpatienten die Standardtherapie vorenthalten wurde, bleibt unklar, ob Roflumilast insbesondere gegenüber der bei schweren COPD-Stadien standardgemäßen Kombination aus langwirkenden Bronchodilatatoren plus inhalativen Kortikosteroiden einen Zusatznutzen hat.

∎  Roflumilast wird schlecht vertragen, mit sehr häufigen Magen-Darm-Störungen, vor allem Durchfall, und mit Gewichtsverlust bei der Mehrzahl der Anwender.

∎  Bedenklich ist zudem eine Zunahme psychiatrischer Störwirkungen wie Angst und Depression einschließlich Suizidalität.

∎  Aus Tierversuchen ergibt sich der Hinweis auf ein karzinogenes Potenzial, das nach Einschätzung der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA auch für Menschen relevant sein kann.

∎  Wir sehen beim gegenwärtigen Kenntnisstand keine Indikation für Roflumilast und raten auch wegen der Sicherheitsbedenken von der Anwendung ab.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1Bundesärztekammer et al.: Nationale Versorgungsleitlinie COPD, Stand Febr. 2010
http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/copd/pdf/nvl_copd_lang.pdf
 2Global Initiative for Chronic Obstructive Lung Disease: Global Strategy for the Diagnosis, Management, and Prevention of Chronic Obstructive Pulmonary Disease, Stand Juni 2009; zu finden unter:
http://www.goldcopd.org

M

3NANNINI, L.J. et al.: Combined corticosteroid and long-acting beta-agonist in one inhaler versus long-acting beta-agonists for chronic obstructive pulmonary disease. The Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Aug. 2007; Zugriff Aug. 2010
M4WILT, T.J. et al.: Ann. Intern. Med. 2007; 147: 639-53

M

5NANNINI, L.J. et al.: Combined corticosteroid and long-acting beta-agonist in one inhaler versus placebo for chronic obstructive pulmonary disease. The Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Aug. 2007; Zugriff Aug. 2010
 6Nycomed: Fachinformation DAXAS, Stand Juli 2010
 7FDA: Briefing Document Pulmonary-Allergy Drugs Advisory Committee Meeting, 7. April 2010;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/CommitteesMeetingMaterials/Drugs/Pulmonary-AllergyDrugsAdvisoryCommittee/UCM207377.pdf
 8Scrip vom 28. Mai 2010; S. 15
 9FDA: Transcript Pulmonary-Allergy Drugs Advisory Committee Meeting, 7. April 2010;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/CommitteesMeetingMaterials/Drugs/Pulmonary-AllergyDrugsAdvisoryCommittee/UCM212606.pdf
 10O'BYRNE, P.M., GAUVREAU, G.: Lancet 2009; 374: 665-7
 11BOSWELL-SMITH, V. et al.: Brit. J. Pharmacol. 2006; 147: S252-7
R12GROOTENDORST, D.C. et al.: Thorax 2007; 62: 1081-7
 13EMA: Europ. Beurteilungsbericht DAXAS, Stand Apr. 2010;
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library/EPAR_-_Public_assessment_report/human/001179/WC500095213.pdf
R14CALVERLEY, P.M. et al.: Lancet 2009; 374: 685-94
R15FABBRI, L.M. et al.: Lancet 2009; 374: 695-703
R16CALVERLEY, P.M. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 775-89
 17FDA: Backup Presentation Pulmonary-Allergy Drugs Advisory Committee Meeting, 7. April 2010;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/CommitteesMeetingMaterials/Drugs/Pulmonary-AllergyDrugsAdvisoryCommittee/UCM208710.pdf

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 20. August 2010

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