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Korrespondenz

UKPDS-FOLGESTUDIE – WAS FOLGT FÜR DIE DIABETESTHERAPIE?

Nach den ernüchternden Ergebnissen der ADVANCE*- und ACCORD*-Studie: Wie beurteilt das a-t die Resultate der so genannten UKPDS*-Folgestudie¹?

M.F. KÜPPER (Assistenzarzt)
D-52070 Aachen
Interessenkonflikt: keiner
1   HOLMAN, R.R.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 1577-89

* ACCORD = Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes;
ADVANCE = Action in Diabetes and Vascular Disease: Preterax and Diamicron Modified-Release Controlled Evaluation;

Die Nachfolgeauswertung1 kommt zehn Jahre nach Erstveröffentlichung der UKPDS**2,3 und dokumentiert den Verlauf nach Abschluss der Studie im September 1997 bis September 2007. 95% der überlebenden ursprünglich 4.209 randomisierten Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes, die im Mittel zehn Jahre lang primär mit Diät oder von Anfang an zusätzlich mit Sulfonylharnstoff, in erster Linie Glibenclamid (EUGLUCON, Generika), Insulin oder - bei Übergewicht - Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) behandelt worden waren, nehmen daran teil. Allen war nach Studienende geraten worden, Blutzucker und Blutdruck so weit wie möglich zu senken. Für die Therapie waren jedoch wieder die jeweils behandelnden Ärzte zuständig. Potenzielle Endpunkte wurden in jährlichen Visiten oder mittels Fragebögen erfasst und anhand von Krankenhaus- und Arztunterlagen verblindet beurteilt. Die Daten zur Sterblichkeit aller nicht ausgewanderten Patienten wurden vom britischen nationalen Statistikamt eingeholt. Endpunkte sind "jeder diabetesbedingte Endpunkt", diabetesbedingter Tod, Gesamtsterblichkeit, Herzinfarkt (nichttödlich oder tödlich einschließlich plötzlicher Tod), Schlaganfall, periphere arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) und mikrovaskuläre Komplikationen.1

** UKPDS = UK Prospective Diabetes Study

Die mediane Nachbeobachtungsdauer einschließlich der Interventionsphase beträgt jetzt 17 bis 18 Jahre. Bei Abschluss der Nachbeobachtung fehlen die Morbiditätsdaten von etwa 20% der Teilnehmer. Die Daten zur Sterblichkeit sollen weniger lückenhaft sein, fehlen einer Grafik zufolge jedoch für etwa 7% bis 11% der Patienten und somit nicht nur bei den ausgewanderten Patienten (insgesamt 3,5%).*** Die zu Beginn der Nach-Interventionsphase bestehenden Unterschiede in der Blutzuckertherapie sollen sich innerhalb von fünf Jahren angeglichen haben. Einzelheiten dazu wie auch zur weiteren Therapie der Patienten in dieser Zeit erfährt man nicht. Unterschiede im HbA1c gleichen sich innerhalb eines Jahres an. Die HbA1c-Werte nehmen dann innerhalb der nächsten vier Jahre in allen Gruppen weiter ab. Auch der Blutdruck sowie Nierenfunktionswerte unterscheiden sich nicht signifikant, mit einer Ausnahme: Die Kreatininwerte sind im ursprünglichen Metforminarm deutlich höher.1

*** Wir haben den Erstautor der Arbeit um Stellungnahme gebeten, jedoch keine klärende Antwort erhalten.

Während bei Abschluss der Interventionsphase unter intensiver Blutzuckertherapie mit Sulfonylharnstoff oder Insulin nur der primäre große Sammelendpunkt ("jeder diabetesbedingte Endpunkt") signifikant vermindert war, und zwar hauptsächlich bedingt durch die Minderung von Laserkoagulationen der Netzhaut, ergibt sich zehn Jahre später zusätzlich eine signifikante Minderung der Herzinfarktrate von 28% auf 24,8% (Risk Ratio [RR] 0,85; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,74-0,97; Number needed to treat [NNT] = 31 in 17 Jahren) sowie der Gesamtsterblichkeit von 47,2% auf 42,6% (RR 0,87; 95% CI 0,79-0,96; p = 0,007; NNT = 22 in 17 Jahren). Das Risiko "mikrovaskulärer Komplikationen" (Glaskörperblutung, Laserkoagulation der Netzhaut oder Nierenversagen) wird - wie schon zehn Jahre zuvor, als der Sammelendpunkt allerdings nur für den Vergleich zwischen den einzelnen Antidiabetika vorgesehen war, - signifikant gesenkt (15,7% versus 19,5%; RR 0,76; 95% CI 0,64-0,89; NNT = 26 in 17 Jahren). Wie sich die Therapie auf die einzelnen Komponenten dieses Endpunkts auswirkt, wird nicht mitgeteilt.1

Die in der Interventionsphase der UKPDS unter Therapie mit Metformin bei Übergewichtigen beobachtete Senkung des Herzinfarkt- und Sterblichkeitsrisikos bleibt in der Nachfolgestudie bestehen (Herzinfarktrate: 23,7% vs. 30,7%; RR 0,67; 95% CI 0,51-0,89; NNT = 14 in 18 Jahren; Sterblichkeit: 44,4% vs. 52,8%; RR 0,73; 95% CI 0,59-0,89; NNT = 12 in 18 Jahren). Auf mikrovaskuläre Komplikationen hat die Metformintherapie keinen signifikanten Effekt. Das Schlaganfall- und das pAVK-Risiko werden durch keine der Interventionen signifikant beeinflusst.1

Wir vermissen in der aktuellen Publikation Daten zum weiteren Verlauf der Substudie der UKPDS, in der unter Kombination von Metformin plus Sulfonylharnstoff im Vergleich zu Sulfonylharnstofftherapie allein ein signifikanter Anstieg der Sterblichkeit beobachtet wurde.1 Die Sicherheitsbedenken gegenüber dieser Kombination sind bis heute nicht ausgeräumt.4

Die aktuellen Daten der UKPDS sind mit Vorsicht zu interpretieren, da ein verhältnismäßig großer Teil der Patienten in der Nachbeobachtung verloren gegangen ist und außer groben Anhalten über die Therapie in der Nach-Interventionsphase nichts bekannt ist. Bereits für die ursprüngliche, offen durchgeführte Studie fehlen Daten, inwieweit die Begleittherapie in den Vergleichsgruppen ähnlich oder unterschiedlich war. Es bleibt daher eine Unsicherheit, worauf die beobachteten Effekte, und insbesondere die während der Nachbeobachtung, zurückzuführen sind. Wir sehen in den Ergebnissen einen Hinweis auf einen möglichen Späteffekt der frühen intensiveren Blutzuckertherapie bei neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes, jedoch aus den oben genannten Gründen keinen Beleg.

Keineswegs lässt sich mit den Daten der UKPDS ein HbA1c-Wert beispielsweise von unter 6,5% als allgemeines Therapieziel begründen, wie es die Deutsche Diabetesgesellschaft formuliert.5 Schon aus dem Vorgehen in der Studie lässt sich dieses Therapieziel nicht ableiten. Im Unterschied zur intensivierten Insulintherapie bei Typ-1-Diabetes in der DCCT****-Studie6 wurde in den Interventionsgruppen der UKPDS kein definierter HbA1c-Wert angestrebt, sondern ein normnaher Nüchternblutzucker von unter 108 mg/dl (in der Insulingruppe auch ein normnaher präprandialer Glukosewert).1 Eine flache Verlaufskurve der HbA1c-Werte um oder unter 7%, wie sie in der DCCT, aber auch in jeder der drei aktuell publizierten Studien zum Typ-2-Diabetes ACCORD, ADVANCE und VADT****7-9 durch die straffe Intervention erzielt wurde, wurde in der UKPDS zudem gar nicht erreicht. Die HbA1c-Werte steigen hier in der Interventionsgruppe parallel zu denen in der Kontrollgruppe im Studienverlauf stetig an. Bei der Hälfte der Patienten unter intensivierter Therapie liegen sie bereits nach sechs Jahren bei mindestens 7%, nach 12 Jahren bei mindestens 8%. Dies dürfte unter den oralen Antidiabetika vor allem dadurch bedingt sein, dass zumindest in den ersten zwölf Studienjahren durch das Protokoll eine möglichst lange Monotherapie vorgeschrieben war, die erst ergänzt werden durfte, wenn hyperglykämische Symptome oder ein Nüchternblutzucker über 270 mg/dl auftraten - also durch ein sehr weites therapeutisches Fenster. Aber auch mit der vorgegebenen Insulintherapie wird bei der Mehrzahl der Patienten schon nach wenigen Jahren keine normnahe Stoffwechseleinstellung mehr erzielt.2

**** DCCT = Diabetes Control and Complications Trial;
VADT = Veterans Affairs Diabetes Trial

Die Daten sind nicht übertragbar auf ältere Patienten, auf Patienten mit länger bestehendem Typ-2-Diabetes oder mit kardiovaskulären Vorerkrankungen. Für diese Patienten ist die Nutzen-Risiko-Bilanz der straffen Blutzuckereinstellung mit den bislang geprüften Therapieverfahren negativ. Sie können durch Übersterblichkeit geschädigt werden (a-t 2008; 39: 73-6 und 2009; 40: 4, 13; vgl. Seite 73).

∎  Aus der Nachfolgestudie der UKPDS ergibt sich ein Hinweis, jedoch kein Beleg, dass die frühe strengere Blutzuckereinstellung bei relativ jungen Patienten mit neu diagnostiziertem Typ-2-Diabetes langfristig lebensverlängernd wirken könnte.
∎  Das Interventionsschema in der UKPDS, das zwar einen monotherapeutisch zu erzielenden strengen Nüchternblutzuckerzielwert vorsah, gleichzeitig jedoch vor weiteren Therapieschritten sehr hohe Glukosewerte erlaubte, dürfte nicht in die Praxis umsetzbar sein. Aus dem Vorgehen resultiert jedoch eine vergleichsweise gemäßigte blutzuckersenkende Intervention.
∎  Ein bestimmter HbA1c-Zielwert lässt sich mit der Studie nicht begründen.
∎  Dokumentiert sind Nutzen und Sicherheit nur für die Monotherapie mit Glibenclamid (EUGLUCON N, Generika), Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) oder Insulin.
∎  Auf ältere Patienten, auf Patienten mit länger bestehendem Typ-2-Diabetes oder mit kardiovaskulären Vorerkrankungen sind die Daten nicht übertragbar.
∎  Jüngere Patienten mit Typ-2-Diabetes können von strengerer Blutzuckereinstellung profitieren. HbA1c-Zielwerte sind individuell nach persönlichen Umständen, Begleiterkrankungen und Präferenzen der Patienten festzulegen.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R1 HOLMAN, R.R. et al.: N. Engl. J. Med. 2008; 359: 1577-89
R2 UK Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 837-53
R3 UK Prospective Diabetes Study Group: Lancet 1998; 352: 854-65
M4 RAO, A.D. et al.: Diabetes Care 2008; 31: 1672-8
 5 Deutsche Diabetes Gesellschaft, zit. nach Ärzte Ztg. vom 20. Mai 2009
R6 Diabetes Control and Complications Trial Research Group: N. Engl. J. Med. 1993; 329: 977-86
R7 The Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes Study Group: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 2545-59
R8 The ADVANCE Collaborative Group: N. Engl. J. Med. 2008; 358: 2560-72
R9 DUCKWORTH, W. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 360: 129-39

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 1. August 2009

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