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Nebenwirkungen

KATARAKT-OP: FLOPPY-IRIS-SYNDROM
UNTER TAMSULOSIN (ALNA, GENERIKA)

Erstmals 2005 beschrieben US-amerikanische Augenärzte eine neuartige Komplikation während einer Kataraktoperation, die sie als intraoperatives Floppy-Iris-Syndrom (IFIS) bezeichneten und die sich mit intraoperativ fortschreitender Miosis, schlaffer undulierender Iris und ausgeprägter Tendenz zum Irisprolaps äußert.1 Die unzureichende Pupillenerweiterung kann die Sicht des Operateurs behindern und dadurch weitere intraoperative Komplikationen wie Verletzung der Iris oder Ruptur der hinteren Linsenkapsel nach sich ziehen.2

IFIS wird bei 2% bis 3% der Kataraktoperationen beobachtet und ist eng mit dem gegen Prostatahyperplasie angebotenen Tamsulosin (ALNA, Generika) assoziiert.1,2 Der Alphablocker bindet an Alpha-1-Rezeptoren der glatten Muskulatur von Prostata und Blasenhals und soll eine besonders hohe Affinität zu den in der Prostata vorherrschenden Alpha-1a-Rezeptoren haben. Dieser Rezeptorsubtyp soll nach tierexperimentellen Daten auch in den glatten Muskelfasern des Musculus dilatator pupillae überwiegen, der die Pupille erweitert.1 Nach prospektiven Beobachtungsdaten entwickeln 50% bis 100% der Tamsulosin-Anwender während einer Kataraktoperation die intraoperative Komplikation. Umgekehrt haben demnach 80% bis 94% der von IFIS Betroffenen Tamsulosin eingenommen.1,3 Die Komplikation wird zwar auch unter den anderen bei Prostatahyperplasie verwendeten Alphablockern Alfuzosin (URION, Generika), Doxazosin (CARDULAR PP URO, Generika) und Terazosin (FLOTRIN, Generika) beobachtet, kommt unter diesen jedoch offenbar deutlich seltener vor. Beispielsweise ist die Inzidenz in einer kleinen retrospektiven Kohortenstudie mit insgesamt 332 männlichen Patienten, die wegen einer Linsentrübung operiert wurden, unter Alfuzosin mit 15,4% (2 von 13 Anwendern) signifikant niedriger als unter Tamsulosin (86,4%; 19 von 22 Patienten).4 Die Risikoabschätzung für die anderen Alphablocker wird dadurch erschwert, dass Tamsulosin hierzulande und auch beispielsweise in den USA der am häufigsten verordnete Wirkstoff bei Prostatahyperplasie ist. In Fallberichten wird IFIS unter anderem auch in Verbindung mit dem 5-Alpha-Reduktasehemmer Finasterid (PROSCAR, Generika), dem Cholinesterasehemmer Donepezil (ARICEPT), dem Antidepressivum Mianserin (TOLVIN, Generika) und pflanzlichem Sägepalmenfruchtextrakt (PROSTAGUTT MONO, Generika) beschrieben.5,6

Nach einer kürzlich publizierten Fallkontrollstudie7 ist Tamsulosin nicht nur mit einem erhöhten Risiko intraoperativer Komplikationen assoziiert, sondern auch innerhalb von zwei Wochen nach der Operation: In einer Kohorte von 100.000 Männern über 65 Jahren, die sich einer Kataraktoperation unterziehen, nehmen 3.550 (3,7%) Tamsulosin ein und 7.426 (7,7%) einen anderen Alphablocker. Bei insgesamt 284 Männern (0,3%) treten innerhalb von 1 bis 14 Tagen nach dem Eingriff schwere postoperative Komplikationen wie Linsendislokation oder -fragmentierung, Netzhautablösung oder Endophthalmitis auf. Einnahme von Tamsulosin innerhalb von zwei Wochen vor dem Eingriff verdoppelt das Risiko gegenüber Nichteinnahme (Odds Ratio [OR] 2,33; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,22-4,43). Für andere Alphablocker lässt sich in dieser Untersuchung keine erhöhte Gefährdung nachweisen.7

Eine mehr als zwei Wochen zurückliegende Anwendung von Tamsulosin erhöht in der aktuellen Untersuchung das Risiko postoperativer Komplikationen nicht.7 Absetzen des Alphablockers vor einer geplanten Kataraktoperation zum Schutz vor intraoperativen Komplikationen wird von den meisten Autoren jedoch als unsicher und unzureichend belegt eingeschätzt, zumal IFIS auch noch Monate nach Einnahmestopp beobachtet wurde.1-3,5,7 Stattdessen wird dazu geraten, vor der Erstverordnung eines Alphablockers die Patienten nach einer geplanten Kataraktoperation zu fragen und die Einnahme gegebenenfalls zu verschieben. Patienten sind darüber aufzuklären, dass sie ihre Augenärzte auf die Anwendung hinweisen müssen. Diese können dem Risiko intraoperativer Komplikationen mit medikamentösen und mechanischen Maßnahmen sowie bestimmten Operationstechniken begegnen.1-3,5

∎  Der gegen Prostatahyperplasie angebotene Alpha-1-Blocker Tamsulosin (ALNA, Generika) ist eng mit einer bei Kataraktoperationen auftretenden Komplikation, dem intraoperativen Floppy-Iris-Syndrom (IFIS), assoziiert. Auch das Risiko schwerer postoperativer Komplikationen steigt nach einer aktuellen Fallkontrollstudie unter Tamsulosin an.

∎  IFIS wird auch unter den anderen bei Prostatahyperplasie verwendeten Alphablockern beobachtet, nach derzeitigem Kenntnisstand aber offenbar deutlich seltener.

∎  Wichtig ist, dass Augenärzte vor einer Kataraktoperation über die frühere oder aktuelle Einnahme eines Alphablockers informiert werden, um auf intraoperative Komplikationen gefasst zu sein und rechtzeitig gegensteuern zu können.

∎  Für Tamsulosin sind weder hinsichtlich des Nutzens noch in der Verträglichkeit Vorteile gegenüber anderen Alphablockern hinreichend belegt.8 Mittel der Wahl ist unseres Erachtens das in der Langzeittherapie besser erprobte Doxazosin (CARDULAR PP URO, Generika).

  1 CHANG, D.F., CAMPBELL, J.R.: J. Cataract Refract. Surg. 2005; 31: 664-73
  2 FRIEDMANN, A.H.: JAMA 2009; 301: 2044-5
  3 CHANG, D.F. et al.: J. Cataract Refract. Surg. 2008; 34: 2153-62
  4 BLOUIN, M.-C. et al.: J. Cataract Refract. Surg. 2007; 33: 1227-34
  5 CANTRELL, M. et al.: Ann. Pharmacother. 2008; 42: 558-63
  6 UGARTE, M. et al. : J. Cataract Refract. Surg. 2007; 33: 170
  7 BELL, C.M. et al.: JAMA 2009; 301: 1991-6
  8 American Urological Association: Guideline on the Management of Benign Prostatic Hyperplasia (BPH), Stand 2003, überarbeitet 2006; zu finden unter:
http://www.auanet.org/content/guidelines-and-quality-care/clinical-guidelines.cfm?sub=bph

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 3. Juli 2009

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