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Korrespondenz

DEUTSCHE BKK UND DAS LIFESTYLEMITTEL RIMONABANT (ACOMPLIA)

Seit Monaten liegt mir ein Schreiben der Deutschen BKK vor mit der Aufforderung an die Ärzte, doch bitte ACOMPLIA zu rezeptieren...

Dr. med. J. SEFFRIN (Facharzt für Allgemeinmedizin)
D-64331 Weiterstadt
Interessenkonflikt: keiner

Der hierzulande seit September 2006 angebotene Cannabinoid-1-Rezeptorantagonist Rimonabant (ACOMPLIA) ist für die Behandlung von Patienten mit Adipositas (Body Mass Index [BMI] 30 kg/m2 und mehr) zugelassen sowie für Übergewichtige (BMI über 27 kg/m2), die zusätzlich mindestens einen weiteren kardiovaskulären Risikofaktor wie Typ-2-Diabetes oder Fettstoffwechselstörung aufweisen. Nach metaanalytischer Auswertung der vier zulassungsrelevanten RIO*-Studien1-4 senken täglich 20 mg Rimonabant das Körpergewicht innerhalb eines Jahres gegenüber Plazebo um 4,7 kg (95% Konfidenzintervall [CI] 4,1-5,3 kg).5 Nach Absetzen verliert sich die Wirkung rasch. Für den Cannabinoid-Rezeptorantagonisten ist außerdem eine positive Beeinflussung verschiedener Laborparameter wie Erhöhung des HDL-Cholesterins und Senkung des HbA1c beschrieben (a-t 2006; 37: 77-8). Studien mit klinischen Endpunkten fehlen nach wie vor. Auch in der gerade erschienenen STRADIVARIUS*-Studie zum Einfluss von Rimonabant auf das Fortschreiten einer Atherosklerose wird primär ein Surrogatparameter untersucht, die Änderung des mit intravaskulärem Ultraschall gemessenen prozentualen Atheromvolumens. Das Ziel wird verfehlt: Nach 18-monatiger Behandlung lässt sich kein Unterschied zu Plazebo nachweisen.6

In den USA scheiterte die Zulassung von Rimonabant vergangenes Jahr an Sicherheitsbedenken, nachdem eine Auswertung der Rohdaten von 13 abgeschlossenen Studien in verschiedenen Indikationen ein erhöhtes Risiko für Suizidalität sowie andere psychiatrische und neurologische Störwirkungen wie Angst, Depression oder Schwindel ergeben hatte (a-t 2007; 38: 72). Aus dem gleichen Grund schränkte die europäische Arzneimittelbehörde im Juli 2007 die Anwendung ein: Für Patienten, die an schwerer Depression leiden oder Antidepressiva einnehmen, ist Rimonabant seither kontraindiziert. Aktuell bestehende oder anamnestisch bekannte leichtere depressive Erkrankungen erfordern eine strenge Nutzen-Risiko-Abwägung (a-t 2007; 38: 78-9). Wie sehr Patienten tatsächlich gefährdet sein könnten, lässt die STRADIVARIUS-Studie erkennen, in der - im Gegensatz zu den RIO-Studien5 - Personen mit psychiatrischen Vorerkrankungen nicht ausgeschlossen wurden: Psychiatrische Störwirkungen, insbesondere wiederum Ängstlichkeit und Depression, treten unter Rimonabant bei 43% der Anwender auf und damit deutlich häufiger als unter Plazebo (28%).6 Auch gastrointestinale Störwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfall kommen fast doppelt so häufig vor (34% versus 18%).6

Vor diesem Hintergrund - fehlende klinische Nutzenbelege bei deutlichen Hinweisen auf schwerwiegende Risiken - erachten wir es als Skandal, dass die Deutsche BKK mit dem Rimonabant-Anbieter Sanofi-Aventis im September 2007 einen Kooperationsvertrag über ein Bonusprogramm zur Reduktion des "kardiometabolischen Risikofaktors Übergewicht" abgeschlossen hat, in dessen Rahmen beide in einem gemeinsamen Schreiben an Ärzte für Rimonabant werben ("...ACOMPLIA hat einen umfassenden Wirkansatz und wirkt direkt an multiplen Wirkorten... So dient ACOMPLIA der umfassenden Senkung kardiometabolischer Risikofaktoren..." [Hervorhebungen wie im Original, -Red.]).7,8

Die Ärzte sollen den Cannabinoid-Rezeptorantagonisten verordnen (und/oder ein Ernährungs- und Beratungsprogramm), Sanofi-Aventis liefert Informationsmaterial und ein "Erfolgstagebuch" für den Patienten, in dem die persönlichen Gesundheitsziele und Kontrollwerte dokumentiert werden sollen. Erreicht der Patient sein Ziel, erhält er von der Kasse einen Bonus: 30 € für drei Monate Therapie sowie weitere 60 € nach insgesamt neun Monaten.8 Auf mehrfache konkrete Nachfrage, ob das Geld aus den Mitgliedsbeiträgen der Versicherten stammt oder von Sanofi-Aventis, weicht die Deutsche BKK aus: Die Bonusregelung sei "Bestandteil der Kooperationsvereinbarung und damit nicht öffentlich".9

Möglicherweise soll der "finanzielle Anreiz"9 den Patienten den Schritt zu einer medikamentösen Behandlung des Übergewichts erleichtern. Die Arzneimittelkosten müssen sie selbst tragen,7 immerhin rund 900 € für neun Monate ACOMPLIA. Denn Mittel zur Gewichtsreduktion zählen zu den so genannten Lifestyle-Arzneimitteln, und diese dürfen nicht zu Lasten der Gesetzlichen Krankenversicherung verordnet werden. Das gilt auch für Rimonabant. Das Landessozialgericht Berlin hat vergangenen Monat eine Beschwerde des Herstellers zurückgewiesen und den Verordnungsausschluss des Mittels durch den Gemeinsamen Bundesausschuss in zweiter Instanz bestätigt,10 -Red.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R1DESPRÉS, J.-P. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 353: 2121-34
R2VAN GAAL, L.F. et al.: Lancet 2005; 365: 1389-97
R3PI-SUNYER, F.X. et al.: JAMA 2006; 295: 761-75
R4SCHEEN, A.J. et al.: Lancet 2006; 368: 1660-72
M5CHRISTENSEN, R. et al.: Lancet 2007; 370: 1706-13
R6NISSEN, S.E. et al.: JAMA 2008; 299: 1547-60
 7Deutsche BKK: E-Mail vom 2. April 2008
 8Deutsche BKK:/Sanofi-Aventis: undatiertes Schreiben an Ärzte
 9Deutsche BKK: E-Mail vom 4. April 2008
 10Gemeinsamer Bundesausschuss: Pressemitteilung vom 4. März 2008

 *RIO = Rimonabant in Obesity
 **STRADIVARIUS = Strategy to Reduce Atherosclerosis Development Involving Administration of Rimonabant - The Intravascular Ultrasound Study

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 18. April 2008

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