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Nebenwirkungen

ERHÖHEN EPOETINE (ERYPO U.A.) DIE MORTALITÄT VON KREBSPATIENTEN?

Erythropoese-stimulierende Substanzen (ESA*) wie Epoetin alfa (ERYPO u.a.) und beta (NEORECORMON) sowie Darbepoetin alfa (ARANESP) sollen die Hämoglobinwerte nicht nur bei renaler Anämie, sondern auch bei der Anämie von Tumorpatienten erhöhen. Die Zulassung ist dabei auf chemotherapeutisch behandelte Patienten beschränkt. Thrombotische Komplikationen sind unter ESA jedoch häufig. Zudem gibt es Hinweise auf direkte wachstumsfördernde Effekte auf Tumorzellen.

Soeben berichtet die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA über Ergebnisse zweier Studien zur Anwendung von ESA bei Krebspatienten.1 In der PREPARE**-Studie erhalten 733 Patientinnen mit Mammakarzinom Darbepoetin parallel zu einer präoperativen Chemotherapie oder nur Chemotherapie. Unter der Epoetinvariante ist die Mortalität nach drei Jahren deutlich höher (14% versus 9,8%). In einer weiteren Studie erhalten Frauen mit Zervixkarzinom (geplante Patientenzahl: 460) entweder nur Radiochemotherapie oder zusätzlich wöchentlich Epoetin. Nach drei Jahren sind 42% der Patientinnen im Epoetin- und 34% im Kontrollarm verstorben. Statistische Signifikanzberechnungen werden von der FDA nicht mitgeteilt.1

Damit verdichten sich Hinweise, dass ESA zwar den Transfusionsbedarf von Krebspatienten verringern, die Lebenserwartung jedoch verschlechtern. Bereits 2003 wies eine Studie mit Patienten, die an Karzinomen im Mund- und Rachenraum sowie des Kehlkopfes erkrankt sind, auf eine Zunahme der Mortalität unter Therapie mit Epoetin hin (a-t 2003; 34: 98-9).2 Danach fallen weitere Studien mit ESA bei verschiedenen Krebserkrankungen negativ aus: Entweder steigt darunter die Mortalität oder die Progression der Erkrankung wird beschleunigt.3 Zwar werden in den Arbeiten zum Teil relativ hohe Hämoglobinwerte angestrebt (12-15 g/dl) - unter der Vorstellung, dass sich hohe Werte günstig auf die Progression der Erkrankung auswirken. Diese entsprechen aber nicht den aktuell laut Fachinformation empfohlenen Zielwerten (12 g/dl), werden jedoch - sofern Daten verfügbar sind - in den Arbeiten zum Teil gar nicht erreicht.4 In der größten Studie, in der die Anwendung von ESA bei etwa 1.000 nicht chemotherapeutisch behandelten anämischen Krebspatienten geprüft wird, steigt trotz effektiv erreichtem mittleren Hämoglobin von 10,6 g/dl die Mortalität gegenüber Nichtbehandlung deutlich an (Hazard Ratio [HR] 1,30; 95% Konfidenzintervall 1,07-1,57 ).4

Systematische Auswertungen der Datenlage - noch ohne Einschluss der jüngsten Studien - bekräftigen die Risikosignale. Eine Übersicht der Cochrane Collaboration errechnet im Juli 2006 unter Berücksichtigung von Mortalitätsdaten aus 40 randomisierten kontrollierten Studien einen deutlichen Trend zu erhöhter Mortalität (HR 1,08, 95% Konfidenzintervall 0,99-1,18).5

Behördliche Maßnahmen erscheinen angesichts der Datenlage unzureichend:

Die FDA weist in einer im November 2007 eingeführten "black box warning" darauf hin, dass auch niedrige Hämoglobinzielwerte unter 12 g/dl riskant sein können, schränkt die Anwendung jedoch nur zeitlich auf die Dauer der Chemotherapie ein.4

Die deutsche Arzneimittelbehörde BfArM verweist lediglich auf ein laufendes europäisches Bewertungsverfahren und empfiehlt, Epoetine ausschließlich in den zugelassenen Indikationen (chemotherapeutisch behandelte Krebspatienten) anzuwenden mit niedrigster Dosierung und Einhaltung der Hämoglobinzielwerte.6

Das britische NICE*** befürwortet demgegenüber in seiner Empfehlung bereits 2006 die Anwendung von ESA bei Krebspatienten nur im Rahmen klinischer Studien7 - eine Forderung, die auch wir im Jahr 2003 geäußert haben (a-t 2003; 34: 98-9).

Die Datenlage weist zunehmend auf eine Verminderung der Lebenserwartung bei Krebspatienten hin, die mit Eryhropoese-stimulierenden Mitteln wie Epoetin (ERYPO u.a.) oder Darbepoetin (ARANESP) behandelt werden. Risikosignale ergeben sich auch bei relativ niedrigen Hämoglobinwerten unter 12 g/dl.

Erythropoese-stimulierende Mittel sollten bei Krebspatienten - wenn überhaupt - nur im Rahmen klinischer Studien angewendet werden.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1FDA: Communication about an Ongoing Safety Review, Erythropoiesis-Stimulating Agents, 3. Jan. 2008 http://www.fda.gov/cder/drug/early_comm/ESA.htm
R2HENKE, M. et al.: Lancet 2003; 362: 1255-60
 3FDA Briefing Document vom 10. Mai 2007: http://www.fda.gov/ohrms/dockets/ac/07/briefing/2007-4301b2-02-FDA.pdf
 4FDA: Epogen/Procrit Label, Stand Nov. 2007 http://www.fda.gov/cder/foi/label/2007/103234s5158lbl.pdf
M5BOHLIUS, J. et al.: Erythropoietin or Darbepoetin for patients with cancer, The Cochrane Database of Systematic Rev. 2007, Issue 4; Stand Mai 2006
 6BfArM Risikoinformation vom 3.April 2007; zu finden unter: http://www.bfarm.de –> Pharmakovigilanz
–> Risikoinformationen
 7NICE: Erythropoietin for anaemia induced by cancer treatment (final appraisal determination) vom 17. März 2006 http://www.nice.org.uk/nicemedia/pdf/EPO_FAD.pdf
* ESA = Erythropoiesis Stimulating Agents
** PREPARE = Preoperative Epirubicin Paclitaxel Aranesp Study
*** NICE = National Institute for Health and Clinical Excellence

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 18. Januar 2008

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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