Die einzige Intervention mit nachgewiesener Verzögerung des Fortschreitens einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) ist der
Verzicht auf das Rauchen.1 Arzneimittel wie Bronchodilatatoren gelten lediglich als symptomlindernd. Der Nutzen von Expektoranzien wie Azetylzystein
(FLUIMUCIL u.a.) oder Ambroxol (MUCOSOLVAN u.a.) wird kontrovers beurteilt. Während sie in einer deutschen S2*-Leitlinie bei Patienten mit COPD und
gehäuft auftretenden Exazerbationen prophylaktisch in den Herbst- und Wintermonaten empfohlen werden,2 haben sie im angelsächsischen
Bereich keine Bedeutung und gelten als nutzlos.3
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Die Leitlinie wurde in einem formellen Konsensverfahren beschlossen, beinhaltet jedoch nicht alle Elemente evidenzbasierter
Literaturanalyse.
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In mehreren Metaanalysen zu Azetylzystein3,4 oder zur Gesamtgruppe der Expektoranzien5 wird zwar bei Dauergebrauch eine Reduktion von
Exazerbationen errechnet. Das Ausmaß des Nutzens erscheint jedoch gering: Nach einer COCHRANE-Übersicht5 soll die Einnahme von Expektoranzien
die Zahl akuter Verschlechterungen im Durchschnitt pro Patient von jährlich 2,7 auf 1,9 reduzieren. Eine internationale Leitlinie spricht sich wegen dieses
geringen klinischen Nutzens, aber auch wegen der kurzen Beobachtungszeiten gegen eine routinemäßige Anwendung aus.3 Auch für
Azetylzystein, das neben mukolytischen auch antioxidative Eigenschaften mit günstigen Auswirkungen auf das Krankheitsgeschehen besitzen soll, wird auf den
Abschluss weiterer Studien gewartet. Die Qualität der derzeitigen Daten ist mangelhaft, sodass selbst der behauptete geringe Nutzen infrage steht: Die bisher
vorliegenden Studien zu Azetylzystein, die einen Großteil der in das COCHRANE-Review eingeflossenen Daten ausmachen, werden von der
französischen Bundesbehörde Agence française sämtlich negativ beurteilt.6
Eine der zur Klärung erwarteten Langzeitstudien mit Azetylzystein wurde in diesem Jahr veröffentlicht:7 523 Patienten mit mittelschwerer (75%) bis
schwerer (25%) COPD nehmen neben ihrer üblichen Behandlung randomisiert und verblindet drei Jahre lang täglich 600 mg Azetylzystein oder Plazebo
ein. Als primäre Endpunkte werden die Zahl der Exazerbationen sowie eine Verschlechterung der Lungenfunktion (FEV1**) gemessen. Ein Vorteil für
Verum ergibt sich in keinem dieser Endpunkte: Die FEV1 nimmt in beiden Gruppen etwa gleich ab (Plazebo: -47 ml, Azetylzystein -54 ml, 95% Konfidenzintervall [CI]
-25 ml bis +10 ml). Die Häufigkeit der jährlich pro Patient aufgetretenen COPD-Exazerbationen unterscheidet sich mit 1,31 unter Plazebo und 1,25 unter
Azetylzystein ebenfalls nicht (relatives Risiko 0,99; 95% CI 0,89-1,10). Auch die Lebensqualität ist gleich. Lediglich in der Subgruppe der Patienten, die zu
Beginn keine inhalativen Steroide verwenden, verringert sich die Zahl von COPD-Exazerbationen leicht (0,96 versus 1,29). Beweisend für einen Nutzen ist
dieses Ergebnis einer Subgruppe jedoch nicht. Es müsste in einer entsprechend konzipierten Untersuchung abgesichert werden. Problematisch in dieser
ansonsten methodisch sorgfältig durchgeführten Studie ist die hohe Abbruchrate von über 30%, die von den Studienautoren allerdings in
dieser Größenordnung erwartet wurde.
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FEV1 = Forciertes exspiratorisches Volumen innerhalb einer Sekunde
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Das Expektorans Azetylzystein (FLUIMUCIL u.a.) beeinflusst in einer
Dreijahresstudie im Vergleich zu Plazebo weder die Lungenfunktion, gemessen anhand der FEV1, noch die Rate von Exazerbationen bei chronisch obstruktiver
Lungenerkrankung (COPD).
Nach wie vor ist Verzicht auf Rauchen die einzige gesicherte Intervention zur
Beeinflussung der Krankheitsprogression bei COPD. Für Mukolytika wie Ambroxol (MUCOSOLVAN u.a.) oder Azetylzystein lässt sich kein Nutzen
erkennen.
| | (R = randomisierte Studie, M =
Metaanalyse)
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| 1 | Global Initiative for Chronic Obstructive
Lung Disease: Global Strategy for the Diagnosis, Management and Prevention of Chronic Obstructive Pulmonary Disease; updated 2005, zu finden unter: http://www.goldcopd.com |
| 2 | Deutsche Gesellschaft für
Pneumologie/Deutsche Atemwegsliga: Diagnostik und Therapie von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis und Lungenemphysem (COPD); zu finden unter
http://www.leitlinien.net |
M | 3 | STEY, C. et al.: Eur.
Respir. J. 2000; 16: 253-62 |
M | 4 | GRANDJEAN, E.M. et
al.: Clin. Ther. 2000; 22: 209-21 |
M | 5 | POOLE,
P.J., BLACK, P.N.: Mucolytic agents for chronic bronchitis or chronic obstructive pulmonary disease. The COCHRANE Database of Systematic Reviews 2003; Issue
1 |
| 6 | LEMMER, B. in: SCHWABE, U.,
PAFFRATH, D. (Hrsg.): "Arzneiverordnungs-Report 2004", Springer, Berlin 2004, Seite 412-33 |
R | 7 | DECRAMER, M. et al.:
Lancet 2005; 365: 1552-60 |
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