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Die Information für medizinische Fachkreise
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                            a-t 2003; 34: 89-90nächster Artikel
Im Blickpunkt

BRAUCHEN WIR PHARMAREFERENTEN?

Der Wunsch der Patienten ist eindeutig: 96% wollen über finanzielle Verbindungen ihres Arztes zur Pharmaindustrie Bescheid wissen. Die Ärzte sollen zudem keine Pharmareferenten empfangen und sich stattdessen über eher unabhängige Informationsquellen informieren. Dafür sprechen sich 79% von 1.479 Personen bei einer Umfrage auf der Internetseite des British Medical Journal aus.1 Warum erlauben dann aber noch 80% bis 95% der Ärzte - trotz Arbeitsbelastung und Kostendruck -, dass Pharmareferenten ihnen ihre Zeit mit fachlich und inhaltlich fragwürdiger Produktpromotion stehlen? Und dies, obwohl belegt ist, dass diese Informationen produktbezogen positiv gefärbt sind.2-4 "Sie fallen ein, verändern die Verschreibungsgewohnheiten des Arztes (eingreifender als jeder Zeitschriftenartikel oder Hochschullehrer) und verschwinden dann wieder".5 Apotheker kennen das. Wenn Ärzte von einem Tag auf den anderen ihre Verschreibungsgewohnheiten umkrempeln und plötzlich die Lagerhaltung nicht mehr stimmt, hat ein Ärztebesucher seine Hauptaufgabe erfüllt und die Verordnung von Präparaten seines Hauses angekurbelt. Das wird durch industriefinanzierte Ausforschungsstellen wie IMS erfasst, die Verkaufszahlen der Apotheken sowie Verordnungsdaten sammeln. Die Firmen wissen so über die Effektivität ihrer Ärztebesucher und die Beeinflussbarkeit der Ärzte genau Bescheid (a-t 1999; Nr. 10: 109- 10).

Der Ruf der rund 15.500 Ärztebesucher6 ist nicht gerade gut. Sie kosten mit 1,4 Milliarden Euro6 in Deutschland etwa so viel wie die gesamten Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen der Pharmaindustrie. Die Gesprächsführung der Ärztebesucher ist gut trainiert (Beispiel in a-t 1989; Nr. 9: 87). Ihre Angaben lassen sich für den Arzt während des Besuchs nicht überprüfen, Therapierelevantes nicht von Marketingaussagen trennen. Bei einer Analyse solcher Gespräche erweist sich jede neunte Aussage als falsch, überwiegend zu Gunsten von Produkten, die der Pharmareferent bewirbt (a-t 1996; Nr. 6: 56). Eine typische Gefahr der Vertretergespräche ist die Strategie der Desinformation. Die bisherige Therapie des Arztes wird als veraltet dargestellt und der Arzt durch den Verweis auf den "Experten" XYZ in seinen therapeutischen Entscheidungen verunsichert, um eine Bresche für die Verbreitung eines neuen Präparates, meist einer Scheininnovation, zu schlagen. Viele Ärzte halten sich hingegen für immun gegen Marketingeinflüsse - und dies sogar "dosisabhängig": Je mehr Zuwendungen sie von Firmen erhalten, desto häufiger geben sie an, dass Pharmareferenten keinen Einfluss auf ihr Verordnungsverhalten nehmen.4

Dennoch sehen viele Ärzte die "Mustermänner" als nützliche und bequeme Informationsquelle an. Dabei gehen sie nicht davon aus, dass Angaben der Firmenvertreter sogar von denen des Beipackzettels oder der Fachliteratur abweichen können.7 Je mehr sich Ärzte jedoch auf Informationen von Pharmareferenten bzw. Herstellern verlassen, desto eher verordnen sie entgegen den Qualitätsstandards der Therapie und zu teuer, desto häufiger behandeln sie mit neuen Arzneimitteln und umso weniger mit Generika.4,8

Hersteller behaupten bisweilen, dass ihre Referenten Informationen schneller verbreiten können als andere Quellen.9 Im Sinne einer evidenzbasierten Medizin ist dies falsch und kontraproduktiv. Zum Zeitpunkt der Einführung neuer Arzneimittel gibt es oft keine Vergleichsuntersuchungen mit Standardtherapien, manchmal sogar keine einzige veröffentlichte Studie, wie bei Eprosartan (TEVETEN; a-t 1997; Nr. 8: 82). Fehlt die Möglichkeit, sich durch nachvollziehbare Veröffentlichungen zu informieren, erachten wir es für verantwortungslos, ein Arzneimittel auf der Basis mündlicher Informationen von Pharmareferenten bzw. von Werbung zu verordnen.

Die Zeiten, in denen Pharmareferenten wichtige Lieferanten von Informationen waren, weil firmenunabhängige Informationsquellen praktisch nicht zur Verfügung standen, sind längst vorbei. Vieles spricht dafür, Besuche von Pharmareferenten drastisch einzuschränken oder sogar generell zu unterbinden. Dies schützt vor offener oder subtiler interessengesteuerter Beeinflussung, gezielter Desinformation und spart Zeit.

© 2003 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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