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Neu auf dem Markt

IMATINIB (GLIVEC) GEGEN CHRONISCH MYELOISCHE LEUKÄMIE

Seit November bietet Novartis zur Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie (CML) den Tyrosinkinase-Hemmstoff Imatinib (GLIVEC) an. Nach nur drei Jahren klinischer Forschung hat die US-amerikanische Arzneimittelbehörde FDA das Mittel im Mai dieses Jahres zugelassen,1 kurz darauf auch die europäische Behörde EMEA. Dieser neue Rekord in der Zulassungsgeschwindigkeit wird möglicherweise zur Folge haben, dass Qualitäts- und Sicherheitsstandards in der Therapie untergraben werden, weil die Kenntnisse zu dem Mittel auf der Stufe unkontrollierter Phase-2-Studien, die nur Surrogatparameter prüfen, stehen bleiben.

Bei nahezu allen Patienten mit CML findet sich das so genannte Philadelphia-Chromosom. Es ist nicht nur zytogenetisches Kennzeichen der Erkrankung, sondern ist auch von Bedeutung bei ihrer Entstehung. Das durch Translokation entstandene Chromosom produziert ein Protein mit konstitutiver, das heißt nicht mehr physiologisch regulierter Tyrosinkinaseaktivität. Unter ihrem Einfluss machen die Zellen eine maligne Transformation durch.2

Standardtherapie der CML in der chronischen Phase bei Patienten, für die eine Knoschenmarktransplantation nicht in Betracht kommt, ist Interferon α (INTRON A, ROFERON A).3 IFN α erzielt in Beobachtungsstudien komplette hämatologische bzw. zytogenetische* Ansprechraten von bis zu 80% bzw. bis zu 38%.3,4 In randomisierten kontrollierten Studien leben nach fünf Jahren unter IFN α mit 57% vs. 42% deutlich mehr Patienten als unter den Chemotherapeutika Busulfan (MYLERAN) oder Hydroxycarbamid (LITALIR; vgl. a-t 1995; Nr. 1: 5-6).4 Zusätzliches Cytarabin (ALEXAN, UDICIL) steigert die Ansprechraten, aber auch die Toxizität.3

EIGENSCHAFTEN: Imatinib wird nach Einnahme per os gut absorbiert. Es wird in der Leber primär durch CYP 3A4 verstoffwechselt, weniger auch durch andere CYP-Enzyme, wobei es selbst CYP 3A4, 2C9 und 2D6 hemmt (vgl. a-t 2001; 32: 89-91). Die Eliminationshalbwertszeit der Muttersubstanz beträgt 18 Stunden, die des wichtigsten aktiven Metaboliten 40 Stunden.3 Imatinib wirkt nicht völlig spezifisch, sondern hemmt auch einige andere Tyrosinkinasen, z.B. den Platelet-Derived-Growth-Factor-Rezeptor.

KLINISCHE STUDIEN: Aus der klinischen Prüfung wurden bislang nur die Zwischenergebnisse von zwei kleinen unkontrollierten Phase-1- bzw. Pilotstudien publiziert. Täglich 300 mg Imatinib oder mehr erzielen bei 53 (98%) von 54 Patienten in der chronischen Phase der CML nach Versagen oder Unverträglichkeit von Interferon α eine komplette hämatologische Remission, meist innerhalb von vier Wochen. Zur kompletten zytogenetischen Remission kommt es bei 7 (13%) Patienten. Innerhalb der bisherigen Nachbeobachtung von 265 Tagen im Median hält die hämatologische Remission bei 51 (96%) der 53 Responder an.5 Ob das Mittel nach Erreichen einer anhaltenden Remission abgesetzt werden kann, ist nicht bekannt.3 Die kompletten Ansprechraten bei 38 Patienten mit Blastenschub betragen 11% und 9%. Knapp die Hälfte der Responder mit Blastenschub erleidet aber innerhalb von 6 Monaten einen Rückfall,6 offensichtlich weil sich Resistenzen gegen Imatinib ausbilden.7

Es gibt bisher keine Daten zum Einfluss des Tyrosinkinasehemmers auf die Überlebenszeit. Die einzige derzeit laufende randomisierte kontrollierte Studie vergleicht Imatinib mit Interferon α plus Cytarabin. Viele Patienten haben daran teilgenommen in der Hoffnung, das neue Medikament zu erhalten. Inzwischen soll die Abbruchrate unter den der Kontrollgruppe zugeteilten Patienten so hoch sein, dass die Aussagekraft der Ergebnisse fraglich wird. Ob sich für weitere randomisierte Langzeitstudien noch Patienten finden werden, wird bezweifelt.8

STÖRWIRKUNGEN: Bis zu zwei Drittel der Patienten klagen über Übelkeit und Erbrechen. Ähnlich häufig werden Ödeme beobachtet (52% bis 68%).3 Bei 1% bis 5% kommt es zu schweren Ödemen, darunter Pleura- oder Perikarderguss, Lungenödem und Aszites. Ein Patient in der Blastenkrise stirbt nach Pleuraerguss, Stauungsherzinsuffizienz und Nierenversagen. Häufig sind auch Muskelkrämpfe, Hautausschlag und Durchfall. Bei etwa 5% steigen Transaminasen und/oder Bilirubin deutlich an. Tödliches Leberversagen bei Komedikation mit Parazetamol (BENURON u.a.) ist beschrieben.9 Neutropenie und Thrombozytopenie können Absetzen erfordern. Insgesamt brechen 1% bis 5% der Patienten die Therapie wegen unerwünschter Wirkungen ab.3,9

DOSIS UND KOSTEN: Imatinib wird mit monatlich 6.250 DM für täglich 400 mg auf dem hohen Kostenniveau der Alfa-Interferone angeboten (5.900 DM bis 6.870 DM).

FAZIT: : Im Rekordtempo hat der Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib (GLIVEC) nach nur drei Jahren klinischer Erprobung in den USA und Europa die Marktzulassung zur Behandlung der chronisch myeloischen Leukämie (CML) erhalten. Imatinib könnte einen Fortschritt in der CML-Therapie darstellen. Bislang ist aber nur ein zum Teil kurzfristiger Effekt auf Surrogatparameter (hämatologische und zytogenetische Ansprechrate) belegt. Wie sich das Mittel auf die Überlebenschance auswirkt, ist nicht bekannt.

Durch die vorzeitige Markteinführung werden nicht nur Kosten für die weitere klinische Forschung auf die Krankenkassen verlagert, die Erprobung in randomisierten kontrollierten Studien wird durch diese Entscheidung prinzipiell in Frage gestellt, weil Patienten nicht mehr der Kontrollgruppe zugeteilt werden wollen.

© 2001 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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