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KUNSTINSULIN ASPART (NOVORAPID):
"SCHNELLER IST BESSER"1?

Rasch wirkende Insulinanaloga sollen schneller bioverfügbar sein als Normalinsulin, weil sie weniger zur Bildung von Molekülverbänden neigen. Sie sollen so die Kinetik der physiologischen Insulinsekretion bei einer Mahlzeit besser imitieren. Mit dem Kunstinsulin Aspart (NOVORAPID) ist jetzt nach Lispro (HUMALOG, a-t 6 [1996], 57) das zweite Analog im Handel. Insulin Aspart unterscheidet sich von Humaninsulin durch Austausch der Aminosäure Prolin an Position 28 der B-Kette durch Aspartat.

Laut Werbung verbessert es "im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie die Blutzuckereinstellung bei erhöhter Therapiesicherheit".1 "Durch die größere Bequemlichkeit und die verbesserte Blutzuckereinstellung" soll es auch die Lebensqualität erhöhen.2 Die bereitgestellten Daten aus Phase-III-Studien über sechs Monate mit über 2.000 Patienten3-6 lassen jedoch diesen Schluss nicht zu:

  • Keine der Studien ist vollständig veröffentlicht.3-6 Wesentliche Informationen für eine sachgerechte Urteilsbildung fehlen also.
  • Keine der Studien wird doppelblind durchgeführt.3-6 Angaben zur Lebensqualität sind deshalb unzuverlässig. Eine positive Einstellung des Studienpersonals und der Patienten gegenüber dem neuen Insulin kann die Ergebnisse systematisch verzerrt haben.
  • Alle Langzeitstudien schreiben für Normalinsulin einen Spritz-Ess-Abstand von 30 Minuten vor.3-6 Der Blutzuckerverlauf nach einer Mahlzeit variiert aber je nach Art und Menge der Kohlenhydrate in einer Mahlzeit und ihrem Fett- und Eiweißgehalt. Ein fixer Spritz-Ess-Abstand ist überholt und in der Praxis der intensivierten Insulintherapie ohnehin nicht vorgesehen. Der Abstand richtet sich neben der Art der Mahlzeit vor allem nach dem präprandialen Blutzuckerspiegel. Bei niedrigem Blutzucker etwa wird zuerst gegessen und dann gespritzt. Die Patienten der Kontrollgruppen wurden daher suboptimal behandelt. Ob Insulin Aspart einen Vorteil gegenüber Humaninsulin hat, muss in doppelblinden Studien geprüft werden, in denen nicht bereits durch das Design "größere Bequemlichkeit und Flexibilität"2 als Vorteil für die Interventionsgruppe vorgegeben ist.7
  • In zwei der offenen Langzeitstudien wird in den Aspartgruppen ein um ca. 0,1% niedrigeres HbA1c beschrieben.3,4 In zwei doppelblinden Kurzzeitstudien bleibt dagegen - gemessen am Fruktosaminspiegel - ein Einfluss des Kunstinsulins auf die Stoffwechselgüte aus.8,9 Dies legt die Vermutung nahe, dass die minimale, klinisch irrelevante Differenz in den offenen Untersuchungen durch die Einstellung des Studienpersonals bedingt ist (sogenannter ROSENTHAL-Effekt10). So wird beispielsweise in der europäischen Studie nur in der Aspartgruppe die Dosierung des Verzögerungsinsulins erhöht.3
  • Laut wissenschaftlicher Broschüre soll unter Aspart das Risiko schwerer nächtlicher Hypoglykämien in den beiden Langzeitstudien mit Typ-1-Diabetikern um 50% bzw. 30% sinken.2 Das Abstract der europäischen Studie dokumentiert aber keinen Unterschied zwischen den Vergleichsgruppen hinsichtlich hypoglykämischer Episoden.3 Im Abstract der amerikanischen Studie fehlen statistische Angaben sowie Angaben zum Schweregrad der Unterzuckerung.4 In der einzigen vollständig veröffentlichten Untersuchung, einer kleinen Kurzzeitstudie, ist die Rate schwerer Unterzuckerungen in beiden Gruppen unverhältnismäßig hoch, vermutlich bedingt durch die im Design8 vorgeschriebene Beibehaltung der Insulindosis nach entsprechenden Ereignissen. Fehlerhafte Insulintherapie lässt aber einen validen Vergleich der Hypoglykämiehäufigkeit nicht zu.
  • Offen bleibt, ob das Analog ebenso zuverlässig vor Spätkomplikationen schützt und ob es langfristig ebenso sicher ist wie das humanidentische Insulin. Insulin Aspart scheint im Unterschied zu Insulin Lispro keine größere Affinität zum Rezeptor des insulinähnlichen Wachstumsfaktors (a-t 6 [1999], 66) zu haben.11 Dennoch sind bei der Vielfalt der biologischen Wirkungen von Insulin im Körper unerwünschte Folgen eines chemisch veränderten Hormons nicht auszuschließen.

FAZIT: Die bisher verfügbaren Daten zum Kunstinsulin Aspart (NOVORAPID) lassen keinen klinisch relevanten Vorteil gegenüber Humaninsulin erkennen. Wie sich Aspart langfristig hinsichtlich der Vorbeugung von Spätkomplikationen sowie eventueller unerwünschter Langzeitfolgen auswirkt, ist nicht bekannt. Diabetespatienten brauchen in erster Linie eine gründliche Schulung, um den Blutzucker gut einstellen und schwere Hypoglykämien vermeiden zu können. Ob gut geschulte Patienten im Rahmen einer intensivierten Insulintherapie zusätzlich von einem Analog profitieren, bleibt in doppelblinden Studien mit adäquatem Design zu prüfen.

Derzeit wären die knapp 40% bis 70% Mehrkosten für das Kunstinsulin sinnvoller für eine bessere Versorgung Zuckerkranker durch Schulungen oder Diabetesambulanzen ausgegeben.


© 1999 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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