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GERINNUNGSHEMMER (III) – WANN ANWENDEN?

Nach allgemeinen Richtlinien zur Verwendung gerinnungshemmender Mittel in a-t 7 (1993), 68 und deren Gebrauch bei Vorhofflimmen in a-t 8 (1994), 74 folgt nun die Nutzen-Risiko-Abwägung bei Erkrankungen der Herzkranzgefäße.

KORONARE HERZERKRANKUNG: Patienten mit instabiler Angina pectoris profitieren von der prophylaktischen Einnahme von Azetylsalizylsäure (ASS, ASPIRIN u.a.).1 In mehreren größeren Studien nimmt die Myokardinfarktrate um etwa 50% ab. Umstritten und unklar ist der Stellenwert von Heparin (LIQUEMIN u.a.). Während sich in einer Untersuchung eine deutliche und sogar gegenüber ASS bessere Wirksamkeit bezüglich Schmerzlinderung und Myokardinfarkthäufigkeit andeutet (Heparin plus ASS ist nicht überlegen, aber mit mehr Blutungsereignissen verbunden),2 zeigt eine neuere Studie keinen wesentlichen Nutzen gegenüber Plazebo.3 Hier ist niedrigdosierte ASS (75 mg) überlegen.

Auch bei Patienten mit stabiler Angina pectoris (a-t 2 [1994], 18) senkt die vorbeugende Einnahme von ASS die Infarkthäufigkeit deutlich,4,5 während für gesunde Personen mit insgesamt geringem kardiovaskulären Risiko kein wesentlicher Nutzen zu erwarten ist. Die in einer großen Studie an gesunden Ärzten gefundene Reduktion der Infarkthäufigkeit um 33% täuscht einen Nutzen vor. Die Gesamthäufigkeit kardialer Ereignisse lag sehr niedrig (es wurden nur "absolut" gesunde Probanden in die Studie aufgenommen). Zudem wurde die Mortalität nicht vermindert, und die Zahl schwerer Schlaganfälle nahm zu.6

    Als Leitlinie bietet sich an:
  • Patienten mit stabiler und instabiler Angina pectoris profitieren von niedrig dosierter ASS (z.B. 100 mg/Tag).
  • Bei instabiler Angina pectoris ist unter stationärer Behandlung eventuell die zusätzliche intravenöse Gabe von Heparin günstig.
  • Für Personen ohne manifeste koronare Herzkrankheit bietet eine "Primärprävention" mit ASS keinen wesentlichen Nutzen.

HERZINFARKT: Für den akuten Myokardinfarkt gilt die Thrombolysetherapie in Kombination mit frühzeitiger ASS-Einnahme als gesichertes Therapiekonzept (a-t 4 [1994], 34). Der Nutzen beider Substanzen scheint additiv zu sein.7,8 Zwischen verschiedenen Thrombolytika (Streptokinase, Urokinase, Alteplase [ACTILYSE], Anistreplase [EMINASE]) bestehen keine therapierelevanten Unterschiede, so daß meist die preiswerte Streptokinase angewendet werden kann (a-t 8 [1992], 79). Dem nur in der GUSTO- Studie20 beschriebenen geringen Vorteil von Alteplase stehen unverhältnismäßig hohe Mehrkosten gegenüber.

Heparin hat offensichtlich keinen weiteren Nutzen (a-t 1 [1994], 3).9,10 Es mindert jedoch das Risiko der Entwicklung von Ventrikelthromben.11 Eine angepaßte Dosierung (PTT auf das 1,5 - 2fache erhöht) wirkt wohl besser als die Low- dose-Heparinisierung.12 Bei größeren Vorderwandinfarkten, die mit einem erheblichen Risiko ventrikulärer Thromben einhergehen, empfehlen sich Heparingaben in Standarddosis. Auch bei nachgewiesenem Ventrikelthrombus erscheint die Antikoagulation mit Umstellung auf orale Antikoagulantien bei einem Quickwert von 25% bis 35% zweckmäßig. Vergleichende Studien liegen für diese Indikation allerdings nicht vor. Das Embolierisiko nimmt mit der Zeit deutlich ab. Daher ist eine Begrenzung auf sechs Monate sinnvoll. Das alleinige Vorhandensein eines Ventrikelaneurysmas ist mit einem so niedrigen Embolierisiko verbunden, daß eine Antikoagulation entbehrlich ist.13

Auch in der späteren Postinfarktphase deuten Daten aus einer Metaanalyse auf den Nutzen einer Langzeiteinnahme von ASS.14 Die Dosis in den dabei ausgewerteten Studien liegt zwischen 300 mg und 1500 mg. Aufgrund der Erfahrungen bei Patienten mit instabiler Angina pectoris lassen sich aber auch hier niedrigere Dosierungen rechtfertigen (100 mg bis 150 mg). Über die optimale Dauer einer solchen Prophylaxe herrscht Ungewißheit. Wahrscheinlich ist die lebenslange Einnahme sinnvoll.

Seit der weiten Verbreitung von ASS zur routinemäßigen Sekundärprophylaxe des Herzinfarktes werden Antikoagulantien wenig verwendet. Nach einer nicht gegen ASS kontrollierten Studie senken sie Mortalität und Reinfarktrate deutlich.15

AORTOKORONARER BYPASS: Nach Anlage eines aortokoronaren Bypasses kommt es innerhalb des ersten Jahres in bis zu 30% der Venenbrücken zu einem Gefäßverschluß. Vom Operationszeitpunkt an wird daher eine Prophylaxe mit 100 mg bis 300 mg ASS begonnen.16 Der Nutzen ist mit einer Minderung der Verschlußrate um nur ca. 16% allerdings beschränkt. Präoperativer Beginn der Prophylaxe hat keinen zusätzlichen Nutzen, geht aber häufiger mit Blutungskomplikationen einher. Auch Antikoagulantien bieten in dieser Situation keinen Vorteil.17

PERKUTANE TRANSLUMINALE KORONARANGIOPLASTIE: Nach Dilatation der Koronargefäße ist innerhalb kurzer Zeit zu etwa 30% mit einem Wiederverschluß zu rechnen. Bisher gibt es keine arzneitherapeutische Strategie, die die Prognose verbessern kann. Weder ASS noch Antikoagulantien, Fischöle oder Kalziumantagonisten mindern die Verschlußrate.18 Grund für diese enttäuschenden Ergebnisse scheint der in dieser Situation veränderte pathophysiologische Entstehungsmechanismus der Verschlüsse zu sein. Wegen der zugrundeliegenden koronaren Herzerkrankung erscheint jedoch ASS in jedem Fall angezeigt.19

FAZIT: Bei Herzinfarkt addiert sich der Nutzen von Thrombolyse und Azetylsalizylsäure (ASS, ASPIRIN u. a.). Zusätzliches Heparin (LIQUEMIN u. a.) mindert das Risiko von Ventrikelthromben bei größeren Vorderwandinfarkten und die Entstehung tiefer Beinvenenthrombosen, bringt aber keinen weiteren Nutzen im Hinblick auf die Infarkterkrankung. Patienten mit stabiler und instabiler Angina pectoris, aortokoronarem Bypass und Dilatation der Herzkranzgefäße sollen langfristig mit ASS Gefäßverschlüssen vorbeugen.


© 1994 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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