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Therapiekritik

ANALGETIKUM TRAMADOL (TRAMAL) – EIN "BASIS-OPIOID"?

Mit zunehmendem Erfolg bewirbt Grünenthal das Analgetikum Tramadol (TRAMAL) als "Basis-Opioid".1 Bei jährlich über zweieinhalb Millionen verschriebenen Pak-kungen nimmt das Opioid Rang 25 der meistverordneten Arzneimittel ein.2 Als Vorteile werden geringes Suchtpotential und Fehlen einer atemlähmenden Wirkung herausgestellt.3,4 Zudem entfällt Rezeptieren auf Betäubungsmittelrezept.

Um bei chronischen Schmerzen eine gleichmäßige Analgesie zu gewährleisten, sollen Schmerzmittel "nach der Uhr" eingenommen werden (vgl. a-t 10 [1993], 94). Das Einnahmeintervall richtet sich nach der Wirkdauer des Analgetikums.3 Präparate mit langanhaltender Wirkung sind zu bevorzugen. Die kurze Wirkdauer von ein bis zwei Stunden steht einer Eignung von Tramadol zur Behandlung chronischer Schmerzen entgegen, da es alle zwei Stunden eingenommen werden müßte.3 Dies gilt auch für andere kurzwirkende Opioide wie Tilidin (in VALORON N; vgl. a-t 6 [1987], 49).

Retardiertes Morphin (CAPROS RETARD, MST RETARD) oder das normal rezeptierbare, schwächer wirkende retardierte Dihydrokodein (DHC MUNDIPHARMA u.a.) lindern Schmerzen für jeweils 8 bis 12 Stunden.5 Mit zwei- bis dreimaliger Einnahme pro Tag5 lassen sich kontinuierliche Wirkspiegel erzielen, die zur schmerzsuppressiven Therapie erforderlich sind. Mit Tramadol mutet man chronisch Schmerzkranken dagegen Einnahmeintervalle von zwei Stunden zu,3 die keine adäquate Nachtruhe erlauben. Dies könnte als fahrlässige Körperverletzung verstanden werden. Tramadol gehört nicht zu den im WHO-Stufenschema für die Schmerzbehandlung Krebskranker empfohlenen Opioiden.6 In englischsprachigen und den meisten nordischen Ländern ist es nicht erhältlich.

Angebliche Vorteile wie geringe suchterzeugende und atemdepressive Wirkung bleiben im Rahmen der Schmerztherapie klinisch bedeutungslos. Schmerzpatienten haben ohnehin ein geringes Risiko, Sucht zu entwickeln, wenn sie Opioide "nach der Uhr" erhalten. Die Einnahme von Schmerzmitteln "nach Bedarf" geht mit ungleichmäßigen Plasmaspiegeln unter der analgetischen oder über der toxischen Schwelle einher. So kann auch Tramadol Abhängigkeit erzeugen.3 Werden Opioide dem Schmerzzustand entsprechend dosiert, ist Atemdepression nicht zu befürchten. Schmerzen wirken offenbar als "physiologischer Antagonist" der opioid-bedingten Atemlähmung.5

Dem NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION gingen in Verbindung mit Tramadol vier Berichte über Kreislaufreaktionen zu mit Bradykardie, Blutdruckabfall, Schweißausbruch und Kollaps. Mehrfach werden Übelkeit und Erbrechen gemeldet. Weitere Störwirkungen betreffen innere Unruhe und Bewegungsdrang (NETZWERK-Bericht 5585), parkinsonartiges Syndrom (Bericht 6259), eine zehn Tage anhaltende Psychose (Bericht 6961) sowie Abhängigkeit mit Entzugssymptomatik (Bericht 1232) und langfristiger Dauergebrauch bei Migräne (Bericht 4874).

FAZIT: Kein Opioid wird in Deutschland so häufig verschrieben wie das relativ schwach wirkende Tramadol (TRAMAL). Viele chronisch Schmerzkranke dürften unzureichend versorgt sein: Die etwa zweistündige Wirkdauer erfordert unzumutbar kurze Einnahmeintervalle. Für die Langzeitbehandlung starker Schmerzen empfiehlt sich die Einnahme von retardiertem Dihydrokodein (DHC MUNDIPHARMA u.a.) oder von retardiertem Morphin (MST RETARD u.a.; vgl. a-t 10 [1993], 94) nach der Uhr und nicht nach Bedarf.


© 1994 arznei-telegramm

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