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ANTIEPILEPTIKUM LAMOTRIGIN (LAMICTAL)

"Entscheidende Fortschritte" zur "Verbesserung der Lebensqualität" erwarten Wellcome und Desitin1 von dem im Juni eingeführten Antiepileptikum Lamotrigin (LAMICTAL). Ähnlich dem seit 1992 erhältlichen GABA-Transaminase-Hemmer Vigabatrin (SABRIL, vgl. a-t 4 [1992], 34) ist Lamotrigin jedoch nur zur Ergänzung der Therapie bei Patienten mit partiellen und sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen zugelassen, die mit Standardmedikamenten nicht ausreichend zu behandeln sind.

EIGENSCHAFTEN: Das mit bekannten Antiepileptika chemisch nicht verwandte Triazinderivat wirkt vermutlich hauptsächlich über eine Blockierung spannungsabhängiger Natriumkanäle. Es hemmt die Freisetzung exzitatorischer Neurotransmitter, vor allem Glutamat, im Gehirn.2 Nach der Einnahme tritt es fast vollständig aus dem Darm ins Blut über, mit Spitzenspiegeln nach 2,5 Stunden. Wird Lamotrigin allein eingenommen, beträgt die durchschnittliche Plasmahalbwertszeit 30 Stunden. 90% des Wirkstoffs werden in der Leber inaktiviert und renal ausgeschieden.3

WIRKSAMKEIT: Zwei von drei Epileptikern mit partiellen und sekundär generalisierten Anfällen, die unter Standardtherapie nicht anfallsfrei sind, profitieren von der Komedikation mit Lamotrigin.1 In sieben doppelblinden plazebokontrollierten Studien an 283 Patienten minderte Lamotrigin die Anfallshäufigkeit bei 22% der Epileptiker um mindestens die Hälfte.2 Bei manchen Patienten scheint sich die Erkrankung unter Lamotrigin jedoch zu verschlechtern.4 In zwei offenen Langzeitstudien deutet sich ein Effekt der Zusatzbehandlung auch bei einigen Formen primär generalisierter Epilepsie an. Kontrollierte Studien hierzu fehlen.3

STÖRWIRKUNGEN: Nach klinischen Studien ist zu 10% mit Hautreaktionen zu rechnen.4 Allergische Exantheme entwickeln sich meist innerhalb der ersten vier Einnahmewochen und klingen in der Regel nach Absetzen ab. Schwerwiegende Hautschäden nach Lamotrigin wie STEVENS- JOHNSON-Syndrom und Angioödem betreffen 0,1% der Patienten.3 Grippeähnliche Beschwerden, Myalgie, Arthralgie, Lymphadenopathie und Eosinophilie begleiten zum Teil die Exantheme4 und deuten auf ein immunogenes Potential von Lamotrigin. Dazu gehören auch Störungen der Leber- und Nierenfunktion, Thrombozytopenie und disseminierte intravasale Gerinnung.

Das britische Committee on Safety of Medicines erhielt bis Anfang des Jahres 41 Berichte über psychische Störwirkungen einschließlich Aggression, Reizbarkeit, Agitiertheit, Verwirrtheit, Halluzinationen, Psychose, Depression und Angst. Weitere zentralnervöse Störeffekte betreffen Sedierung, Kopfschmerzen, Schwindel, Sehbeschwerden, Ataxie, Tremor, Unsicherheit, Parästhesie und Amnesie. Der Magen-Darm-Trakt kann mit Übelkeit, Erbrechen und Durchfall reagieren.4

8% der Patienten aus klinischen Studien mit Lamotrigin schieden wegen unerwünschter Wirkungen aus. Drei Personen starben während der Studien im Status epilepticus, an Multiorganversagen und disseminierter intravasaler Gerinnung. 14 weitere plötzliche Todesfälle, die dem Hersteller gemeldet wurden, bleiben ungeklärt. Die Betroffenen erhielten mehrere Arzneimittel.3

WECHSELWIRKUNGEN: Bei einigen Patienten steigt unter gleichzeitiger Einnahme von Carbamazepin (TEGRETAL u.a.) und Lamotrigin der Spiegel des aktiven Metaboliten Carbamazepin-10,11-Epoxid an,2 mit Folgen wie Schwindel und Doppeltsehen.3 Antiepileptika, die Leberenzyme induzieren, wie Carbamazepin, Phenytoin (PHENHYDAN u.a.), Phenobarbital (LUMINAL u.a.) und Primidon (MYLEPSINUM u.a.), können die Halbwertszeit von Lamotrigin halbieren. Valproinsäure (ORFIRIL u.a.) hemmt den Abbau von Lamotrigin und kann dessen Halbwertszeit verdoppeln,2 klinisch auffällig durch Tremor.7

DOSIERUNG: Aufgrund der Interaktionen hängt die Dosierung von der Komedikation ab. Nimmt ein Patient zusätzlich ein Leberenzym- induzierendes Antiepileptikum, aber kein Valproat ein, beträgt die vom Hersteller empfohlene einschleichende Anfangsdosis zwei Wochen lang zweimal täglich 50 mg, die Erhaltungsdosis je nach Ansprechen zweimal täglich 100-200 mg. In Kombinationen mit Valproat soll die Dosis halbiert werden: initial zwei Wochen lang einmal täglich 50 mg, danach zweimal täglich 50-100 mg.5 Mit einer niedrigeren als vom Hersteller empfohlenen Startdosis von ein- bzw. zweimal täglich 25 mg läßt sich möglicherweise das Risiko schwerer Hautreaktionen senken.3 Die Zusatzmedikation mit täglich 250 mg Lamotrigin ist bis zu 16fach teurer als etablierte Antiepileptika wie Phenytoin (s. Kasten).

KONTRAINDIKATIONEN: Kinder unter 12 Jahren und ältere Menschen sowie Personen mit eingeschränkter Leber- oder Nierenfunktion dürfen wegen mangelnder Erfahrung kein Lamotrigin erhalten.5 Bei Kindern ist offenbar mit häufigeren Störwirkungen zu rechnen.6 Für die antiepileptische Behandlung während der Schwangerschaft eignet sich Lamotrigin nicht, da das Risiko einer Schädigung des Fetus durch Hemmung der Dihydrofolsäure-Reduktase nicht auszuschließen ist.

FAZIT: Lamotrigin (LAMICTAL) senkt als Zusatzmedikation bei zwei von drei Personen, die unter einer antiepileptischen Standardtherapie nicht anfallsfrei sind, die Häufigkeit therapierefraktärer partieller und sekundär generalisierter Anfälle. Schwere Unverträglichkeiten kommen häufig vor. Sie betreffen in erster Linie die Haut sowie das Zentralnervensystem und lassen eine ausgeprägte immunogene Wirkung erkennen. Erfahrungen mit der Langzeitverträglichkeit von Lamotrigin fehlen. Lamotrigin verteuert die antiepileptische Behandlung 5- bis 16fach.


© 1993 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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