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                            a-t 1990; Nr.7: 61-2nächster Artikel
Im Blickpunkt

INSULIN: DIE GEPLANTE VERSCHWENDUNG

Schnellwirkendes (Normal-/Alt-) Insulin gibt es seit 1922, Verzögerungs(Protamin)-Insulin seit 1936. Doch noch nie hatten Insulinhersteller Hochkonjunktur wie heute. Nach der Analyse einer Londoner Marktforschungsagentur werden in Westeuropa immer mehr der etwa 9 Millionen Diabetiker mit Insulin behandelt, und immer mehr Insulin wird für ihre Therapie verbraucht.1 Fast zwei Drittel des gesamten Umsatzes von Produkten für Diabetiker entfallen auf Insulin und orale Antidiabetika (wobei letzte eher einen Umsatzrückgang verzeichnen).

Der Insulinmarkt "boomt". Zweistellige Zuwachsraten und ein Rekord-Gesamtvolumen von 1 Milliarde US Dollar werden für dieses Jahr erwartet. Neben der Preispolitik der Insulinkonzerne (vgl. a-t 3 [1990], 29) fördert auch geschicktes Marketing den Umsatz. 1983 kam Humaninsulin auf den Markt und verursachte einen Kostenschub, ohne daß ein medizinisches Bedürfnis vorlag (a-t 5 [1989], 47). Dann folgten Insulin-Pens (vgl. a-t 11 [1989], 101) mit Insulinpatronen, deren Restinhalte – sofern sie nicht der verordneten Dosierung entsprechen – von den Patienten meistens verworfen werden.2

Durch Umstellung von U40 auf U100 Insulin (vgl. a-t 4 [1989], 42) werden die Verkaufsziffern weiter in die Höhe schnellen, begünstigt doch die höhere Konzentration die Insulin-Verschwendung. In Schweden stieg der Insulinverbrauch nach Umstellung von U40 auf U100 Insulin um ca. 20%.3 Der Grund: Neben der Dosierungsungenauigkeit nehmen Verunreinigungen zu, denen die Insulinampullen mit U100 Insulin beim Gebrauch ausgesetzt sind. Im Vergleich zu einer 10-ml-Ampulle U40 Insulin wird eine 10-ml-Ampulle U100 Insulin 2,5mal häufiger benutzt, dabei gelangen 2,5mal soviel Verunreinigungen wie Silikonöl4 oder Bakterien5 in die Ampullen. In Schweden wirft man angebrochene, verunreinigte Fläschchen einfach weg.3

Die Umstellung von U40 auf U100 Insulin wird damit begründet, daß Verwechselungen nicht (mehr) möglich seien, weil überall einheitliches Insulin zur Verfügung stehe. Diese Argumentation klingt hohl bei den mehr als 40 Insulinsorten, die wir allein in der Bundesrepublik zu bewältigen haben, und bei den unterschiedlichen Präparatenamen, die Insulinfirmen ihren Produkten in den verschiedenen Ländern geben (z.B. HUMULIN = HUMINSULIN, NOVOLIN = ACTRAPID, VELASULIN = VELOSULIN). Verwechselungen sind – trotz U100 Insulin – noch leichter möglich bei den verschiedenen Pens, die angeboten werden: Der OPTIPEN HOECHST ist in der Aufmachung völlig identisch – obwohl er entweder auf Dosierungsschritte von 1 E, 2 E oder 4 E eingestellt ist. Aus einem kleinen Aufdruck geht diskret die erforderliche Dosierung hervor. Ebensowenig ist den meisten Pens anzusehen, ob sie Normalinsulin, Mischinsulin oder Verzögerungsinsulin enthalten.

Eine medizinische Begründung für die Bevorzugung von U100 Insulin fehlt. Es mehren sich hingegen Anhaltspunkte dafür, daß U100 Insulin langsamer aus dem Subkutangewebe absorbiert wird als z.B. U40.6,7 Mit dem OPTIPEN verabreichtes U100 Depot-H-Insulin wirkt möglicherweise geringer als auf konventionelle Weise gespritztes8 – auch das würde den Insulinverbrauch steigern.

Ein langsameres Normalinsulin ist für die intensivierte Insulinbehandlung unerwünscht. Die Patienten können nicht unmittelbar vor dem Essen die mahlzeitenbezogene Normalinsulinmenge spritzen, sondern müssen einen Spritz-Eß-Abstand von ca. 15-20 Minuten einhalten. Das ist lästig. Zwar konstruieren Insulinfirmen sogenannte Insulin-Analoge mit superschneller Absorption, doch werden diese ggf. nicht schneller absorbiert als das gute alte U-40- Insulin.9 Der Boom der Neurungen gibt Auftrieb für Wissenschaft und Marketing. Ob modische Komponenten dem Diabetiker helfen, sei dahingestellt.


© 1990 arznei-telegramm

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