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Korrespondenz

VERFALLSDATEN VON ARZNEIMITTELN
... anbietergesteuert und nicht nachhaltig

In Zeiten abreißender Lieferketten, Versorgungsengpässen und Ressourcenknappheiten durch die Klimakrise sind Medikamente kostbares Gut geworden. Behörden und Militärs haben die Stabilität von einigen Medikamenten untersucht und kommen zu Haltbarkeitsspannen, die Jahrzehnte betragen können.1 Wie lange sind Medikamente wirklich nutzbar und gibt es verlässliche Listen mit Medikamenten-Haltbarkeiten z.B. für Kollegen in Krisengebieten?

N.N. (Name etc. in a-t 2/2023 genannt)

1ZILKER, M. et al.: J. Pharm. Biomed. Anal. 2019; 166: 222-35

Die Haltbarkeitsdauer eines Arzneimittels wird bei der Zulassung auf Basis der von den Anbietern vorgenommenen Stabilitätsuntersuchungen festgelegt. Sie liegt somit in der Entscheidung der Anbieter, in die auch Kosten- und Marketinggesichtspunkte einfließen. Üblicherweise beträgt die angegebene Haltbarkeit nicht länger als fünf Jahre, oft deutlich weniger. Mit Erreichen des Verfallsdatums endet die Verkehrsfähigkeit eines Arzneimittels sowie die Haftung des Anbieters (a-t 2003; 34: 78 und 86).1 Im Beipackzettel muss davor gewarnt werden, das Präparat nach Ablauf dieses Datums anzuwenden.2 Bisweilen wird jedoch in Abstimmung mit den Behörden die Haltbarkeit – zum Teil chargenbezogen und vorübergehend – verlängert, um Lieferengpässen entgegen zu wirken, etwa bei FASTJECT 300 (Adrenalin; a-t 2018: 49: 78-9), ACTILYSE3 (Alteplase) oder DACEPTON4 (Apomorphin).

Werden Arzneimittel jedoch an Bundeswehr, Bundespolizei oder für den Zivil- und Katastrophenschutz an Bund oder Länder abgegeben bzw. vom Bundesministerium beschafft, kann das Verfallsdatum entfallen.5 Dann müssen die zuständigen Behörden die Qualität der gelagerten Arzneimittel gewährleisten, beispielsweise durch regelmäßige Stabilitätsprüfungen. Diese sind kosteneffektiv: Nach US-amerikanischen Analysen müssen eingelagerte Arzneimittel aufgrund nachgewiesen weiterbestehender Stabilität seltener neu beschafft werden. Das spart ein Vielfaches des Geldes ein, das für die Qualitätsanalysen aufgewendet werden muss.6,7

Auf der Basis der bereits im Leserbrief erwähnten systematischen Übersicht zur Stabilität abgelaufener Fertigarzneimittel folgern die Autoren, dass die Haltbarkeitsdauer bei einem Großteil der Arzneimittel weit über fünf Jahre ausgeweitet werden könnte.6* Eine Liste mit zuverlässigen Angaben zur tatsächlichen Haltbarkeit lässt sich jedoch aus den vorhandenen Daten nicht ableiten und erscheint uns auch angesichts der Haftungsprobleme bei Verwendung abgelaufener, nicht mehr verkehrsfähiger Medikamente nicht sinnvoll. Da die Haltbarkeit durch Faktoren wie Temperatur, Luftfeuchtigkeit und Licht in Abhängigkeit von Zusammensetzung und Darreichungsform beeinflusst werden kann, lassen sich zudem Erkenntnisse aus gemäßigten Klimazonen nicht generell auf Krisengebiete übertragen.

*Einige extreme Beispiele: In 25 Jahre alten Morphin-Injektionslösungen8 wurden noch rund 90% Wirkstoff nachgewiesen und in je 53 Jahre alten LASIX6 (Furosemid)- und NOVALGIN9 (Metamizol)-Ampullen fast 100%.

Es ist weder ressourcenschonend noch nachhaltig, wenn Arzneimittel routinemäßig entsorgt werden, sobald sie das aufgedruckte Haltbarkeitsdatum erreicht haben. Um diese Verschwendung einzudämmen, müssten Gesetzgeber bzw. Zulassungsbehörden die Anbieter verpflichten, die für die Zulassung erforderlichen Haltbarkeitsuntersuchungen auf längere Zeiträume auszudehnen. Derzeit existieren in der EU jedoch keine Bestrebungen, die Haltbarkeitsangaben generell auszuweiten,10 –Red.

1§ 8 Arzneimittelgesetz (AMG); https://a-turl.de/akqc
2§ 11 Arzneimittelgesetz (AMG); https://a-turl.de/8dsw
3Boehringer Ingelheim: Ergänzende Informationen vom 15. Aug. 2022; https://a-turl.de/bhsy
4ABDA: Information vom 4. Apr. 2022; https://a-turl.de/as2c
5§ 71 Arzneimittelgesetz (AMG); https://a-turl.de/f4me
6ZILKER, M. et al.: J. Pharm. Biomed. Anal. 2019; 166: 222-35
7COURTNEY, B. et al.: Biosecur. Bioterrorism 2009; 7: 101-7
8JÜTTEMEYER, S.: Wehrmed. Wehrpharm: 31. Mai 2017; https://a-turl.de/ti5u
9ZILKER, M. et al.: J. Pharm. Biomed. Anal. 2018; 150: 318-26
10EMA: Schreiben vom 13. Febr. 2021

© 2023 arznei-telegramm, publiziert am 17. Februar 2023

Autor: angegebene Leser bzw. Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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