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Nebenwirkungen

SSRI BEEINTRÄCHTIGEN SPERMIENQUALITÄT

Dass selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) häufige und vielfältige unerwünschte Effekte auf die Sexualität haben und beispielsweise die Libido vermindern oder Erektionsstörungen hervorrufen können, ist seit vielen Jahren bekannt. Wegen der ebenfalls beobachteten Ejakulationsstörungen werden diese Mittel - überwiegend off label - auch bei vorzeitiger Ejakulation angewendet. Das nicht als Antidepressivum vermarktete Dapoxetin (PRILIGY) ist dafür sogar offiziell zugelassen (a-t 2009; 40: 54-6, a-t 1997; Nr. 6: 71). Seit Juli 2013 muss auf Veranlassung der europäischen Arzneimittelbehörde EMA in den Fachinformationen von Citalopram (CIPRAMIL, Generika), Escitalopram (CIPRALEX, Generika), Fluoxetin (FLUOXETIN STADA u.a. Generika), Fluvoxamin (FEVARIN, Generika), Paroxetin (SEROXAT, Generika) und Sertralin (ZOLOFT, Generika) zudem auf eine Beeinträchtigung der Spermienqualität hingewiesen werden.1 Neben Daten aus Tierversuchen basiert diese Ergänzung auf einzelnen Berichten über betroffene Patienten, bei denen die Veränderungen nach Absetzen reversibel waren.2

Seit April dieses Jahres liegt nun erstmals eine randomisierte Studie mit insgesamt 60 im Mittel 25 Jahre alten Männern mit vorzeitiger Ejakulation vor, die den Einfluss von täglich 50 mg Sertralin über drei Monate auf die männlichen Keimzellen prüft. Die Kontrollgruppe erhält eine Verhaltenstherapie. Unter dem SSRI nehmen die Spermienkonzentration im Ejakulat und der Anteil normal geformter Samenzellen gegenüber dem Ausgangswert signifikant ab,3 die mittleren Werte liegen aber weiterhin oberhalb der unteren WHO-Referenzwerte für diese Spermienparameter.4 Zudem steigt unter Sertralin die Rate der Samenzellen mit beschädigter DNA (DNA-Fragmentationen) im Ejakulat von durchschnittlich 16% auf 31%. Die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft soll bei Werten unter 30% größer sein.3,5 In der Vergleichsgruppe mit Verhaltenstherapie verändern sich Spermiogramm und DNA-Fragmentationsrate nicht.3

Die Veröffentlichung bestätigt die Ergebnisse mehrerer kleiner pro- und retrospektiver Beobachtungsstudien.5-7 Beispielsweise steigt bei 35 gesunden Männern bereits nach vierwöchiger Einnahme von täglich 10 mg bis 30 mg Paroxetin der Anteil der Probanden, bei denen mindestens 30% aller Spermien DNA-Fragmentationen aufweisen, von eingangs 9,7% auf 50%.5 In einer Untersuchung mit 74 20- bis 50-jährigen Männern, die seit mindestens sechs Monaten wegen Depression ein SSRI einnehmen und zuvor mindestens ein Kind gezeugt haben, nehmen Veränderungen der Spermienqualität hinsichtlich Zahl, Beweglichkeit, Aussehen und DNA-Fragmentationen mit der Dauer der antidepressiven Behandlung zu.7 Auch für das trizyklische Antidepressivum Clomipramin (ANAFRANIL, Generika) sind Spermienbeeinträchtigungen beschrieben.8

Studien, die direkt den Einfluss der Antidepressiva auf die Zeugungsfähigkeit prüfen, liegen bislang nicht vor.2,9 Die Daten legen einen negativen Effekt auf die männliche Fertilität aber nahe.3,5,9 Zudem werden in Literaturberichten Männer beschrieben, bei denen ein Zusammenhang zwischen SSRI-Einnahme und Spermienbeeinträchtigung überhaupt erst auffällt, als sich die Betroffenen wegen unerfüllten Kinderwunsches untersuchen lassen.10,11 Die Formulierungen in den Fach- und Gebrauchsinformationen der SSRI, dass bislang kein Einfluss auf die Fertilität beobachtet wurde,1 erachten wir daher als nicht korrekt.

Das lediglich bei vorzeitiger Ejakulation zugelassene Dapoxetin war nicht Gegenstand der europäischen Bewertung. Auch für dieses SSRI werden entsprechende Untersuchungen6 sowie wegen der chemischen Nähe zu Fluoxetin ein vorsorglicher Hinweis in der Fachinformation auf eine mögliche Beeinflussung der männlichen Keimzellen12 gefordert.

Wie SSRI die Spermienqualität mindern, ist unklar. Vermutet werden unter anderem eine Beeinträchtigung des Spermientransports5,7,10 sowie Wechselwirkungen mit den Membranen von Samenzellen und deren Mitochondrien.6 In vitro wirken SSRI spermizid, insbesondere Fluoxetin hat demnach einen spermiziden Effekt vergleichbar dem des lokalen Kontrazeptivums Nonoxinol 9 (PATENTEX OVAL).13

∎  Neben häufigen und vielfältigen unerwünschten Effekten auf die Sexualität können selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) auch die Spermienqualität beeinträchtigen.

∎  Ob sich SSRI auch negativ auf die Zeugungsfähigkeit auswirken können, ist bislang nicht direkt geprüft. Die Daten legen jedoch einen ungünstigen Einfluss nahe.

∎  Bei einzelnen Patienten ist eine Rückbildung der Spermienbeeinträchtigung nach Absetzen des SSRI beschrieben.

∎  Wenn bei Männern, die ein SSRI einnehmen, im Rahmen einer Untersuchung wegen unerfüllten Kinderwunsches eine verminderte Spermienqualität festgestellt wird, ist das SSRI als potenzieller Auslöser in Betracht zu ziehen und gegebenenfalls abzusetzen.

  (R = randomisierte Studie)
1 BfArM: Stufenplanbescheid vom 11. Apr. 2013
http://www.a-turl.de/?k=ietr
2 EMA: PhVWP Monthly report, März 2012;
http://www.a-turl.de/?k=erfi
R    3 AKASHEH, G. et al.: Urology 2014; 83: 800-4
4 WHO: WHO laboratory manual for the examination and processing of human semen; 5. Aufl. 2010;
http://www.a-turl.de/?k=omst
5 TANRIKUT, C. et al.: Fertil. Steril. 2010; 94: 1021-6
6 KOYUNCU, H. et al.: Int. J. Impot. Res. 2011; 23: 257-61
7 SAFARINEJAD, M.R.: J. Urol. 2008; 180: 2124-8
8 MAIER, U., KOINIG, G.: Psychopharmacology (Berl.) 1994; 116: 357-9
9 BREZINA, P.R. et al.: J. Reprod. Infertil. 2012; 13: 3-11
10 TANRIKUT, C., SCHLEGEL, P.N.: Urology 2007; 69: 185e5-7
11 ELNAZER, H.Y., BALDWIN, D.S.: Acta Neuropsychiatr. 2014; 26: 125-9
12 Rev. Prescrire 2014; 34: 664-5
13 KUMAR, V.S. et al.: Bioorg. Med. Chem. Lett. 2006; 16: 2509-12

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 17. Oktober 2014

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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