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Kurz und bündig

Eingelagerte Neuraminidasehemmer – teures „Multisystemversagen”1

Cochrane-Autoren haben erneut die Daten zum Nutzen von Neuraminidasehemmern bei Influenza ausgewertet.2 Nach mehrjähriger öffentlicher Diskussion (vgl. a-t 2012; 43: 17-8) konnten sie jetzt auch bislang vom Anbieter Roche zurückgehaltene unveröffentlichte Zulassungsstudien berücksichtigen sowie Kommentare der europäischen, US-amerikanischen und japanischen Behörden hierzu.

Oseltamivir (TAMIFLU) - ein Goldesel für Roche

Angesichts des sich bereits bei Markteinführung abzeichnenden zweifelhaften Nutzens (a-t 2002; 33: 98-100) waren die Verkaufsprognosen für den Neuraminidasehemmer Oseltamivir (TAMIFLU) anfangs begrenzt. Das änderte sich zum einen durch eine manipulative Metaanalyse unter Einschluss überwiegend nicht vollständig veröffentlichter Daten, die zunächst selbst Cochrane-Autoren in die Irre geführt hatte (a-t 2010; 41: 4, 13-4), sowie durch Ausbreitung bedrohlicher Infektionen wie Schweres Akutes Respiratorisches Syndrom (SARS) und Vogelgrippe, die dazu beitrugen, die Furcht vor einer gefährlichen Grippepandemie zu schüren, vor allem aber 2009 durch die so genannte Schweinegrippe (a-t 2009; 40: 77-80). 2009 hatten 96 Länder bereits so viel Oseltamivir eingekauft, dass geschätzt 350 Millionen Menschen damit hätten versorgt werden können. Seit Markteinführung (in Deutschland 2002) summieren sich die Einnahmen von Roche für Oseltamivir international auf mehr als 13 Milliarden Euro. Auf Regierungen und Firmen, die Oseltamivir eingelagert haben, entfällt rund die Hälfte dieses Betrages.1 Jetzt fallen Nachkäufe an, sobald die Haltbarkeit der eingelagerten Ware von sieben Jahren abgelaufen ist. So haben die britischen Behörden gerade parallel zum Erscheinen des aktuellen Cochrane Reviews Oseltamivir für 60 Millionen Euro nachgeordert, obwohl die Zweifel am Nutzen seit Jahren immer drängender geworden sind (a-t 2012; 43: 17-8).2

1 JACK, A.: BMJ 2014; 348: g2524 (3 Seiten)
2 TORJESEN, I.: BMJ 2014; 348: g2761 (2 Seiten)

Von 107 klinischen Studienberichten erfüllen 20 Oseltamivir (TAMIFLU)- und 26 Zanamivir (RELENZA)-Studien die Eingangskriterien. Alle entstanden mit Beteiligung der Anbieter. Zum Teil wurden sie unter Mitwirkung von Ghostwritern publiziert (a-t 2010; 41: 123-4), und alle haben Designmängel, die – so die Autoren – das Vertrauen in die Studienergebnisse beeinträchtigen. Wesentliche neue Erkenntnisse ergeben sich aus der erweiterten Datenlage nicht: Beide Neuraminidasehemmer verkürzen dem Review zufolge Grippesymptome um weniger als einen Tag (vgl. a-t 2005; 36: 62-3). Ob dieser Effekt der Einnahme üblicher Analgetika/Antipyretika über- oder vielleicht sogar unterlegen ist, bleibt offen, da entsprechende Vergleichsstudien weiterhin fehlen (a-t 2010; 41: 4, 13-4). Die Datenauswertung ergibt zudem erneut keinen Beleg dafür, dass Oseltamivir oder Zanamivir das Risiko von Komplikationen einer Influenza, insbesondere Pneumonie, oder das Risiko von Krankenhausaufnahme oder Tod reduzieren. Auch für Risikopersonen wie asthmakranke Kinder oder ältere Menschen fehlen Belege eines günstigen Effektes. Prophylaktisch eingenommen beugt Oseltamivir der Ausbreitung des Influenzavirus auf Personen ohne Symptome einer Grippe nicht vor, erhöht jedoch das Risiko schwerer, einschließlich neuropsychiatrischer Störwirkungen. Letztlich bestätigen sich unsere bei Markteinführung von Oseltamivir geäußerten Vorbehalte (a-t 2002; 33: 98-100). Die Ergebnisse stützen weder die Einstufung von Oseltamivir als essenzielles Arzneimittel3 durch die Weltgesundheitsorganisation noch die groß angelegten Einlagerungen von Oseltamivir weltweit – in den USA für knapp 1 Milliarde €, in Großbritannien für 500 Mio. €.4 In Deutschland werden die Aufwendungen für die Bevorratung, die vom Robert Koch-Institut zu therapeutischen Zwecken empfohlen wurde,5 auf ebenfalls 500 Mio. € geschätzt. Die Bundesregierung will die Höhe der Kosten bei den Bundesländern abfragen und „zur Verfügung stellen, sofern die Länder der Veröffentlichung zustimmen”,6 – als habe die Öffentlichkeit keinen selbstverständlichen Anspruch darauf zu erfahren, für wie viele Millionen Steuergelder nahezu nutzlose Arzneimittel eingelagert werden. Die Bundesregierung setzt weiterhin auf die Formel: zugelassen, also wirksam. Auch heute noch ist der Pandemieplan, der eine „Mindestbevorratung” mit antiviralen Mitteln für 20% der Bevölkerung empfiehlt,5 nicht korrigiert, –Red.

1 JEFFERSON, T., DOSHI, P.: BMJ 2014; 348: g2263 (4 Seiten)
2 JEFFERSON, T. et al.: Neuraminidase inhibitors for preventing and treating influenza in healthy adults and children. Cochrane Database of Systematic Reviews, Stand Juli 2013, Zugriff Mai 2014
3 WHO: WHO Model List of Essential Medicines, Apr. 2013, Stand Okt. 2013 http://www.a-turl.de/?k=rfel
4 TAMIFLU & RELENZA: how effective are they? BMJ Pressemitteilung vom 9. Apr. 2014
5 RKI: Nationaler Pandemieplan, Stand Mai 2007; http://www.a-turl.de/?k=oits und http://www.a-turl.de/?k=irdu
6 Bundesministerium für Gesundheit: Antwort auf eine kleine Anfrage von K. VOGLER (Die Linke), Arbeits-Nr. 4/117, 22. Apr. 2014

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 9. Mai 2014

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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