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Therapiekritik

RENALE (SYMPATHIKUS-) DENERVIERUNG BEI REFRAKTÄRER HYPERTONIE
... nicht außerhalb von Studien!

In den 1950er-Jahren wurden bei maligner Hypertonie noch Splanchniektomien mit Durchtrennung der sympathischen Nervenfasern unterhalb des Zwerchfells durchgeführt. Dieses Therapieprinzip wurde vor einigen Jahren wiederentdeckt und wird seither in abgewandelter Form als Katheterbehandlung zunehmend häufig bei refraktärer Hypertonie eingesetzt. Über eine Femoralarterie wird dabei ein Katheter in beide Nierenarterien geführt und die Gefäßwand an etwa vier bis sechs spiralförmig angeordneten Punkten durch Hochfrequenzstrom für wenige Minuten auf 50 ºC bis 70 ºC erhitzt. Die afferenten und efferenten Sympathikusfasern in der Arterienwand sollen dadurch zerstört werden.1 Mehrere hierfür verwendete Radiofrequenz-Ablationskatheter besitzen eine CE-Kennzeichnung. Derzeit wird offenbar am häufigsten der SYMPLICITY-Katheter der Firma Medtronic eingesetzt.2,3

Eine Hypertonie gilt als refraktär, wenn eine Senkung des systolischen bzw. diastolischen Blutdrucks auf Werte unter 140 mmHg bzw. 90 mmHg trotz adäquater Lebensstilveränderung und Einnahme von drei oder mehr Antihypertensiva verschiedener Klassen einschließlich eines Diuretikums nicht erreicht wird.4 In klinischen Studien zur renalen Denervierung bei refraktärer Hypertonie gelten dagegen meist in der Praxis gemessene systolische Werte von mindestens 160 mmHg (bei Diabetikern 150 mmHg) trotz entsprechender medikamentöser Therapie als Kriterium. Zudem müssen in den Studien sekundäre Hypertonieformen sowie meist auch hypertensive Notfälle im Vorjahr, renovaskuläre Anomalien oder Herzklappenerkrankungen ausgeschlossen und die antihypertensive Medikation in den Vorwochen stabil gewesen sein.3,5

In den ersten, unkontrollierten Studien mit zusammen gut 500 Patienten reduziert die renale Denervierung bei refraktärer Hypertonie die systolischen Blutdruckwerte nach sechs Monaten im Mittel um 25 mmHg und die diastolischen um 10 mmHg.3 Soweit untersucht, bleibt der Effekt mindestens zwölf Monate erhalten. Auffällig ist, dass die Abnahme der zu Hause gemessenen Blutdruckwerte mit 13 mmHg bzw. 7 mmHg geringer ausfällt. Als Komplikationen werden die Dissektion einer Nierenarterie und vier Pseudoaneurysmen an den Punktionsstellen berichtet.3 In drei kleineren offen durchgeführten kontrollierten Studien mit insgesamt gut 170 Patienten, von denen aber nur zwei randomisiert sind und in denen die renale Denervierung mit Weiterführung der bisherigen Therapie verglichen wird, fällt die Reduktion der systolischen und diastolischen Werte mit 29 mmHg bzw. 11 mmHg nach sechs Monaten ähnlich aus.3,5-7

Die jetzt publizierte randomisierte SYMPLICITY HTN-3-Studie8 sollte ohne die methodischen Mängel früherer Untersuchungen den Nutzen einer renalen Denervierung bei refraktärer Hypertonie bestätigen: Mit 535 nehmen deutlich mehr Patienten teil als in jeder bisherigen Studie. Sie ist einfach-blind durchgeführt, wobei die Patienten der Kontrollgruppe einer Scheinintervention mit Katheterisierung der Nierenarterien ohne Radiofrequenzablation unterzogen werden. Die Blutdruckwerte in der Praxis (primärer Endpunkt) werden ohne Kenntnis der Gruppenzuteilung gemessen. Zudem wird ambulant der 24-Stunden-Blutdruck bestimmt. Die medikamentöse Therapie, im Mittel fünf Antihypertensiva, allerdings nicht in maximal möglicher Dosis, darf nur bei klinischer Notwendigkeit geändert werden.

Nach sechs Monaten liegen die in der Praxis gemessenen systolischen Blutdruckwerte bei Patienten mit renaler Denervierung um 14,1 mmHg, in der Kontrollgruppe um 11,7 mmHg niedriger als zu Beginn. Die Abnahme des Blutdrucks unterscheidet sich zwischen den Gruppen nicht signifikant (Differenz 2,4 mmHg, 95% Konfidenzintervall [CI] 6,9 bis 2,1; p = 0,26). Und auch die Reduktion des mittleren 24-Stunden-Blutdrucks (Differenz 2,0 mmHg; p = 0,98) und des zu Hause gemessenen systolischen Blutdrucks (Differenz 1,3 mmHg; p = 0,41) unterscheidet sich nicht. Subgruppeneffekte sind nicht nachweisbar. Spezifische Komplikationen durch die Intervention werden nicht berichtet. Ein kombinierter Endpunkt schwerer unerwünschter, vorwiegend vaskulärer Ereignisse wird nach der Denervierung numerisch häufiger beobachtet als in der Kontrollgruppe (1,4% vs. 0,6%), ebenso Kreatininanstiege um mehr als 50% (1,4% vs. 0,6%) und stationäre Aufnahmen wegen Herzinsuffizienz (2,6% vs. 1,8%). Zur Bewertung hypertensiver Folgeschäden ist die Studie zu kurz und nicht ausreichend gepowert.

Die Ergebnisse von SYMPLICITY HTN-3 werden für Diskussion sorgen. Überraschend ist die deutliche Abnahme der Blutdruckwerte in der Kontrollgruppe nach Scheinintervention, aber auch die verglichen mit Vorstudien nur geringe Blutdruckreduktion durch die renale Denervierung.9,10 Gegenüber dem Studienbeginn sind weder in der Interventions- noch in der Kontrollgruppe Änderungen in der Zahl oder Art der eingesetzten Antihypertensiva erkennbar.8 Und es finden sich auch keine Hinweise dafür, dass die Denervierungen technisch unzulänglich durchgeführt worden wären. Wahrscheinlichste Erklärung ist, dass die früheren positiven Ergebnisse der vorwiegend kleinen und unkontrollierten Studien systematisch zu Gunsten der Denervierung verzerrt sind. Die Studie verdeutlicht somit nochmals die Wichtigkeit methodisch valide durchgeführter kontrollierter Studien für den Nachweis kausaler Effekte von Interventionen - auch wenn dafür wie hier unter ethischen Aspekten nicht unproblematische invasive Scheininterventionen eingesetzt werden müssen.9

Bei den Ergebnissen von SYMPLICITY HTN-3 fällt auf, dass innerhalb der Patientengruppe mit renaler Denervierung die Blutdruckreduktion eine ungewöhnlich große Streuung aufweist. Das könnte darauf hinweisen, dass eine Subgruppe tatsächlich profitiert.10 Passend dazu zeigen nachträgliche Analysen, dass gut 10% mehr Patienten unter Denervierung eine Blutdruckreduktion von mehr als 10 mmHg erreichen als in der Kontrollgruppe.8 Solche Patienten gegebenenfalls zu identifizieren, bleibt weiteren, speziell hierauf angelegten Studien vorbehalten. Diese müssten letztlich auch den patientenrelevanten Nutzen im Langzeitverlauf belegen, zumal es Hinweise auf eine Regeneration der sympathischen Nervenfasern gibt.9-11

Amerikanische12 wie europäische2,3 Fachgesellschaften haben bisher empfohlen, renale Denervierungen bei refraktärer Hypertonie nur im Rahmen klinischer Studien einzusetzen. Hieran dürfte sich nichts ändern. Eine FDA-Zulassung des Katheters, die mit der SYMPLICITY HTN-3-Studie erreicht werden sollte, erscheint aufgrund der Ergebnisse ebenfalls unwahrscheinlich. Deutschland und speziell das Universitätsklinikum des Saarlandes sehen sich weltweit als Wegbereiter der Methode. Von mehreren deutschen Fachgesellschaften ist bereits ein Anforderungskatalog für die Zertifizierung so genannter renaler Denervierungs-Zentren erarbeitet worden, die in Kürze etabliert werden sollen.13 In unseren Augen ist dies völlig verfrüht. Zunächst müssen weitere Studien den Stellenwert der renalen Denervierung klären - vor allem auch im Vergleich mit optimierter medikamentöser Therapie.9

∎  In vorwiegend unkontrollierten kleineren Studien senkt eine renale Denervierung bei refraktärer Hypertonie die Blutdruckwerte deutlich über mindestens sechs bis zwölf Monate.

∎  Eine aktuelle größere, methodisch valide kontrollierte Studie bestätigt diese Ergebnisse nicht. Gegenüber einer Kontrolle mit Scheinintervention zeigt sich kein Vorteil der Denervierung bei der Blutdrucksenkung.

∎  Ob spezielle Untergruppen an Patienten von der Prozedur profitieren, muss in zukünftigen Studien gezeigt werden.

∎  Wir sehen gegenwärtig außerhalb randomisierter kontrollierter Studien keine Indikation für die renale Denervierung und halten den derzeit zu beobachtenden unkritischen Einsatz für nicht vertretbar.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 SANTIAPILLAI, G.R., FERRO, A.: J. Biomed. Res. 2014; 28: 18-24
2 MAHFOUD, F. et al.: Eur. Heart J. 2013; 34: 2149-57
M  3 DAVIS, M.I. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2013; 62: 231-41
4 MANCIA, G. et al.: J. Hypertens. 2013; 31: 1281-357
5 KRUM, H. et al.: Lancet 2009; 373: 1275-81
R  6 Symplicity HTN-2 Investigators: Lancet 2010; 376: 1903-9
R  7 POKUSHALOV, E. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2012; 60: 1163-70
R  8 BHATT, D.L. et al.: N. Engl. J. Med. 2014; 370: 1393-401
9 SHUN-SHIN, M.J. et al.: BMJ 2014; 348: g1937 (2 Seiten)
10 MESSERLI, F.H., BANGALORE, S.: N. Engl. J. Med. 2014; 370: 1454-7
11 FROESCHL, M. et al.: Can. J. Cardiol. 2014; 30: 64-74
12 SCHLAICH, M.P. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2013; 62: 2031-45
13 MAHFOUD, F. et al.: Kardiologe 2013; 7: 429-34

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 11. April 2014

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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