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Im Blickpunkt

SOFOSBUVIR (SOVALDI) BEI HEPATITIS C
… Fortschritt mit mangelhaften Daten*

*  Siehe auch Neueinführung: Sofosbuvir (SOVALDI) gegen chronische Hepatitis C, e a-t 4/2014 vom 11. Apr.     2014

Nur 25 Jahre nach der Entdeckung des Hepatitis-C-Virus (HCV) haben sich die Therapiemöglichkeiten so erweitert, dass bereits von Heilung der Infektion gesprochen wird. Die Rate eines dauerhaften virologischen Ansprechens stieg von 5% bis 10% unter einer halbjährigen Interferon-Monotherapie auf mehr als 40% bis 70% unter der Zweifachkombination von Peginterferon (PEGASYS, PEGINTRON) plus Ribavirin (COPEGUS, REBETOL, Generika) bzw. bei Genotyp 1 mit einem zusätzlichen Proteasehemmer wie Boceprevir (VICTRELIS; a-t 2011; 42: 77-9).1-3 Dauerhaftes virologisches Ansprechen, definiert als Nichtnachweisbarkeit von HVC-RNA 24 Wochen nach Therapieende, ist nach Beobachtungsstudien mit einem deutlich reduzierten Risiko der Leberdekompensation, des Leberzellkarzinoms und der leberbezogenen Sterblichkeit assoziiert.4 Aussagekräftige Validierungsstudien für den Surrogatparameter fehlen allerdings und dürften auch in Zukunft nicht mehr zu erwarten sein. Die klinische Relevanz des Endpunkts ist daher mit Unsicherheit behaftet: In Beobachtungsstudien lässt sich grundsätzlich nicht ausschließen, dass Patienten mit virologischem Ansprechen eine ausgewählte Gruppe darstellen, die auch ohne Therapie eine bessere Prognose hätte.5 Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) hat anhaltendes virologisches Ansprechen in seinen Nutzenbewertungen von Boceprevir und dem zweiten neuen Proteasehemmer Telaprevir (INCIVO; a-t 2011; 42: 104-7) als hinreichend validen Surrogatparameter aufgrund der Daten aus Beobachtungsstudien lediglich für die Minderung des Leberzellkarzinoms anerkannt, da hier die Datenlage relativ einheitlich und der Effekt so groß ist, dass er durch Störgrößen allein nicht mehr plausibel erklärbar ist.6-8

Seit Februar 2014 ist mit dem Nukleotid-Prodrug und NS5B-Polymerasehemmer Sofosbuvir (SOVALDI; e a-t 4/2014 vom 11. Apr. 2014) ein neues Wirkprinzip für die chronische Hepatitis C im Handel, das als entscheidender Durchbruch in der Therapie gefeiert wird.9 Sofosbuvir soll zumindest bei einem Teil der Patienten eine Behandlung ohne die störwirkungsreichen Interferone erlauben und zudem bei vielen Betroffenen die Therapiedauer verkürzen können. Anders als die Proteasehemmer ist Sofosbuvir, das je nach Ausgangssituation mit Peginterferon plus Ribavirin oder mit Ribavirin allein kombiniert wird, hierzulande für die HCV-Genotypen 1 bis 6 zugelassen.10 Die in Zulassungsstudien erzielten Erfolgsraten im Hinblick auf das anhaltende virologische Ansprechen sind beeindruckend: Sie liegen mit Ausnahme der Therapie bei Genotyp 3 überwiegend bei 80% bis 90%, und auch bei Genotyp 3 wird in einer Studie unter längerer Behandlung eine Rate von 84% erreicht (vgl. Tabelle).

Getrübt wird das Bild jedoch durch die Entscheidung der Zulassungsbehörden, die Standards für die zulassungsrelevanten Phase-III-Studien abzusenken und damit die schon bestehende Unsicherheit in der Interpretation der Ergebnisse weiter zu vergrößern. Zum einen durften die Studien bis auf zwei Ausnahmen unkontrolliert bzw. ohne einen randomisierten Vergleich mit der bisherigen Standardtherapie durchgeführt werden. Zwingende Gründe für die Preisgabe dieses wesentlichen Elements der Prüfung neuer Arzneimittel finden wir in den Dossiers der Behörden nicht. Auch wenn der indirekte Vergleich mit den bisherigen Therapieoptionen für eine bessere Wirksamkeit von Sofosbuvir spricht, kann diese Frage anhand der Daten nicht definitiv beantwortet werden, zumal im einzigen direkten Phase-III-Vergleich mit Standardbehandlung - der FISSION-Studie11 - kein Wirksamkeitsvorteil gegenüber Peginterferon plus Ribavirin gesichert ist.12

Zum anderen wurde die zeitliche Anforderung an den primären Endpunkt zurückgeschraubt: In Sofosbuvir-Studien genügt jetzt schon eine Nachbeobachtung von 12 statt bisher 24 Wochen, um bei Nichtnachweis von Virus-RNA von anhaltendem virologischen Ansprechen ausgehen zu können. Zwar soll sich nach Daten einer Metaanalyse bei Genotyp 1 bis 3 eine hohe Übereinstimmung zwischen anhaltendem virologischen Ansprechen nach 12 und 24 Wochen ergeben. Sie ist aber nicht 100%.13 Entsprechende Vergleiche zu Sofosbuvir selbst liegen zudem nicht vollständig vor.

Der Polymerasehemmer hat gemäß den vorliegenden Daten offenbar ein günstiges Störwirkungsprofil. Im direkten Vergleich mit Peginterferon plus Ribavirin (FISSION-Studie) wird die Kombination aus Sofosbuvir und Ribavirin deutlich besser vertragen und seltener wegen unerwünschter Effekte abgesetzt.11 Spezifische Risikosignale von Sofosbuvir haben die Arzneimittelbehörden EMA und FDA nicht entdeckt.12,14 Dies könnte jedoch auch durch den weitgehenden Verzicht auf Kontrollgruppen in Zulassungsstudien mitbedingt sein.

Mit Sofosbuvir steht somit jetzt ein neues Hepatitis-C-Mittel zur Verfügung, das - bei sehr hohen Kosten von 60.000 € für 12 Wochen - möglicherweise wirksamer und zugleich verträglicher ist als die bisherige Standardtherapie. Es ist jedoch ein Schulbeispiel für die eingeschränkte Beurteilbarkeit eines neuen Arzneimittels, wenn auf den direkten Vergleich mit der bisherigen Standardtherapie verzichtet wird. In zwei aktualisierten Empfehlungen zur Behandlung der Hepatitis C von Fachgesellschaften in Deutschland und den USA werden bereits jetzt in erster Linie Sofosbuvir-Regime angeraten.15,16

Aus Verträglichkeitsgründen scheint uns beim derzeitigen Kenntnisstand die bevorzugte Wahl von Sofosbuvir vertretbar, insbesondere bei Interferonintoleranz. Behandelnde Ärzte sollten sich aber über die Unsicherheit der Datenlage im Klaren sein und auch Patienten darüber aufklären. Eine ausführliche Bewertung von Sofosbuvir veröffentlichen wir zeitgleich als e a-t.

∎  Mit dem Polymerasehemmer Sofosbuvir (SOVALDI) steht ein neues Mittel zur Behandlung der chronischen Hepatitis C zur Verfügung, das möglicherweise wirksamer und zugleich verträglicher ist als die bisherigen Therapieoptionen. Da in Phase-III-Studien weitgehend auf Kontrollgruppen mit Standardtherapie verzichtet wurde, lässt sich der Stellenwert des Mittels jedoch nur sehr eingeschränkt beurteilen.

∎  Aus Verträglichkeitsgründen halten wir die bevorzugte Wahl von Sofosbuvir unter Aufklärung der Patienten über die Unsicherheit der Datenlage für vertretbar. Die Zulassung des Mittels auf der Basis unkontrollierter Studien erachten wir jedoch als nicht akzeptabel.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 LIANG, T.J. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 368: 1907-17
2 TOVO, C.V. et al.: World J. Gastroenterol. 2014; 20: 2867-75
3 WANTUCK, J.M. et al.: Aliment. Pharmacol. Ther. 2014; 39: 137-47
4 SINGAL, A.G. et al.: Clin. Gastroenterol. Hepatol. 2010; 8: 280-8
5 VAN DER MEER, A.J. et al.: J. Hepatol. 2014; 60: 191-6
6 IQWiG: Boceprevir - Nutzenbewertung gemäß § 35a SBG V, Stand 29. Nov. 2011;
http://www.a-turl.de/?k=eder
7 IQWiG: Telaprevir - Nutzenbewertung gemäß § 35a SBG V, Stand 12. Jan. 2012;
http://www.a-turl.de/?k=awin
8 IQWiG: Allgemeine Methoden, Version 4 vom 23. Sept. 2011
http://www.a-turl.de/?k=olsf
9 ZEUZEM, S.: zit. nach Pharm. Ztg. 2014; 159: 370
10 Gilead: Fachinformation SOVALDI, Stand Jan. 2014
R   11 LAWITZ, E. et al.: N. Engl. J. Med. 2013; 368: 1878-87
12 FDA: Med. Review SOVALDI, Nov. 2013;
http://www.a-turl.de/?k=ubst
M  13 CHEN, J. et al.: Gastroenterology 2013; 144: 1450-5
14 EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) SOVALDI, Stand Nov. 2013
http://www.a-turl.de/?k=oose
15 DGVS: Aktuelle Empfehlungen der DGVS zur Therapie der chronischen Hepatitis C,
ohne Datum, Zugriff Apr. 2014;
http://www.a-turl.de/?k=alsh
16 AASLD: Recommendation for Testing, Managing and Treating Hepatitis C, März 2014;
http://www.a-turl.de/?k=eisw

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 11. April 2014

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