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Therapiekritik

POSTTHROMBOTISCHES SYNDROM
… zur Prophylaxe mit Kompressionsstrümpfen

Nach symptomatischer tiefer Beinvenenthrombose wird zur Prophylaxe eines postthrombotischen Syndroms, das unter anderem mit Schwellung, Schmerzen und Ulzeration verbunden sein kann, in Leitlinien das Tragen von Kompressionsstrümpfen empfohlen, zum Teil aber mit weichem Empfehlungsgrad.1,2 Die Basis hierfür bilden im Wesentlichen zwei ältere offen bzw. untersucherverblindet durchgeführte randomisierte Einzentrumsstudien3,4 mit 194 und 180 Patienten. Zwei Jahre lang tagsüber getragene knielange Kompressionsstrümpfe mit einem Druck von 40 mmHg bzw. 30 bis 40 mmHg am Knöchel senken das Auftreten eines postthrombotischen Syndroms von 60% bzw. 49% ohne Strümpfe auf 25% bzw. 26% (a-t 2004; 35: 97), gemessen anhand klinischer Scores. Diese berücksichtigen auch Zeichen wie Venenektasie, Hyperpigmentierung oder Ödem und spiegeln damit nicht zwangsläufig Beschwerden der Patienten wider.

Aktuell erscheint nun mit der SOX-Studie die erste große multizentrische und doppelblind angelegte Untersuchung zu dem Thema. 806 Patienten mit erster symptomatischer proximaler tiefer Beinvenenthrombose innerhalb der letzten zwei Wochen und ohne Kontraindikation für Kompressionsstrümpfe wie Allergie oder schwere periphere arterielle Verschlusskrankheit nehmen teil. Zwei Jahre lang tragen sie tagsüber randomisiert entweder knielange angepasste Kompressionsstrümpfe mit einem Druck von 30 bis 40 mmHg am Knöchel oder gleich aussehende Strümpfe, die jedoch mit einer Kompression von weniger als 5 mmHg nicht als wirksam angesehen werden. Ein postthrombotisches Syndrom, definiert als Schmerz und Schwellung des Beines mit typischem Charakter (stärker abends oder nach längerem Sitzen oder Stehen und besser nach Hochlagerung oder Nachtruhe) für wenigstens einen Monat, entwickeln mit Kompressionsstrümpfen 14% versus 13% unter Kontrolle (Hazard Ratio [HR] 1,13; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,73-1,76).5

In einem sekundären Endpunkt wird postthrombotisches Syndrom auch mittels des in einer der älteren Studien4 verwendeten VILLALTA*-Scores definiert und ist damit wesentlich häufiger. Zwischen den Gruppen findet sich jedoch ebenfalls kein Unterschied (53% vs. 52%; HR 1,0; 95% CI 0,81-1,24). Zwar tragen bei Studienende nur noch 56% der Patienten die Strümpfe an wenigstens drei Tagen pro Woche, aber auch in einer prädefinierten Subgruppe mit häufiger Anwendung findet sich kein Vorteil für die aktive Kompression.5 Durch die SOX-Studie ist die Datenlage nun widersprüchlich, der Nutzen von Kompressionsstrümpfen, deren Kompression hierzulande z.B. mit den Kompressionsklassen II (23 bis 32 mmHg) und III (34 bis 46 mmHg)6 ohnehin nicht genau den Studien entspricht, somit unklar.

Die oft verwendeten oberschenkellangen Kompressionsstrümpfe verhindern einer randomisierten Studie mit 267 Patienten zufolge ein postthrombotisches Syndrom im Übrigen nicht besser als knielange. Nach zweijähriger Anwendung sind, gemessen anhand des VILLALTA-Scores, mit oberschenkellangen Kompressionsstrümpfen 33% betroffen gegenüber 36% mit knielangen (HR 0,93; 95% CI 0,62-1,41).7

∎  In Leitlinien werden zur Prophylaxe eines postthrombotischen Syndroms nach symptomatischer tiefer Beinvenenthrombose Kompressionsstrümpfe empfohlen.

∎  In der ersten doppelblind angelegten multizentrischen und zugleich größten Studie zu dieser Frage ist ein postthrombotisches Syndrom unter angepassten Kompressionsstrümpfen nicht seltener als unter Strümpfen mit Plazebokompression. Positive Ergebnisse zweier kleinerer unzureichend verblindeter Studien werden damit nicht bestätigt.

∎  Die Anwendung von Kompressionsstrümpfen zur Prophylaxe eines postthrombotischen Syndroms lässt sich angesichts der derzeitigen widersprüchlichen Datenlage nicht gut begründen.

  (R = randomisierte Studie)
1 KEARON, C. et al.: Chest 2012; 141 (Suppl.): e419S-94S
2 Dt. Ges. für Angiologie: Diagnostik und Therapie der Venenthrombose und der Lungenembolie, Stand Juni 2010;
http://www.a-turl.de/?k=oden
R 3 BRANDJES, D.P.M. et al.: Lancet 1997; 349: 759-62
R 4 PRANDONI, P. et al.: Ann. Intern. Med. 2004; 141: 249-56
R 5 KAHN, S.R. et al.: Lancet, online publiziert am 5. Dez. 2013 doi: 10.1016/S0140-6736(13)61902-9
6 RAL Dt. Inst. für Gütesicherung und Kennzeichnung e.V.: Medizinische Kompressionsstrümpfe, Jan. 2008;
http://www.a-turl.de/?k=leem
R 7 PRANDONI, P. et al.: Blood 2012; 119: 1561-5

* VILLALTA = Erstautor des den Score beschreibenden Abstracts.

© 2014 arznei-telegramm, publiziert am 17. Januar 2014

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