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Perioperative Neuverordnung von Betablockern zur kardialen Prophylaxe bei nichtkardialen Eingriffen - beim derzeitigen Kenntnisstand nicht zu empfehlen

Die prophylaktische Einnahme von Betablockern bei nichtkardialen operativen Eingriffen wird seit Jahren kontrovers diskutiert. In der größten Studie zum Thema, der POISE*-Studie mit mehr als 8.000 Patienten, steht einer signifikant geminderten Herzinfarktrate eine signifikante Steigerung der Gesamtsterblichkeit und der Schlaganfallrate gegenüber (a-t 2008; 39: 69). Die europäische kardiologische Gesellschaft ESC empfiehlt in ihrer Leitlinie von 2009 perioperative Betablocker für Patienten mit bekannter koronarer Herzkrankheit oder Myokardischämie im präoperativen Stresstest sowie bei Eingriffen mit hohem und mittlerem Risiko. Sie stützt sich dabei auf die metaanalytische Auswertung vorliegender Studien, die im Hinblick auf das Sterberisiko einen nichtsignifikanten Effekt, im Hinblick auf die Infarktrate aber eine positive Wirkung der Prophylaxe ergibt. Ähnliche Empfehlungen geben die US-amerikanischen kardiologischen Fachgesellschaften AHA und ACC. Zweifel an Nutzen und Sicherheit der perioperativen Betablockade wurden aber weiterhin laut. Jetzt kündigen die drei Fachgesellschaften eine Überarbeitung ihrer Leitlinien an. Hintergrund sind Vorwürfe massiven wissenschaftlichen Fehlverhaltens gegen Donald POLDERMANS, den Leiter der beiden Studien zu Betablockern bei nichtkardialen Eingriffen (DECREASE**-Studien), die die besten Ergebnisse gebracht haben und somit eine wesentliche Basis für die Empfehlungen darstellen. POLDERMANS war außerdem Vorsitzender der betreffenden europäischen Leitlinienkommission. Obgleich die Vorwürfe bereits vor zwei Jahren bekannt wurden und POLDERMANS damals auch die Leitlinienkommission verlassen hat, sehen sich die Fachgesellschaften erst jetzt zu raschem Handeln genötigt: Eine Ende Juli publizierte Metaanalyse randomisierter Studien unter Ausschluss der DECREASE-Studien errechnet erneut eine signifikante Mortalitätssteigerung (Relatives Risiko [RR] 1,27; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,01-1,60) sowie einen Trend zu mehr Schlaganfällen (RR 1,73; 95% CI 1,00-2,99) durch perioperative Betablocker, mit denen die Minderung nichttödlicher Herzinfarkte durch die Prophylaxe (RR 0,73; 95% CI 0,61-0,88) erkauft wird (BOURI, S. et al.: Heart, online publ. am 31. Juli 2013). In einem kurzen gemeinsamen Statement raten ESC, AHA und ACC jetzt bis auf Weiteres von routinemäßiger Neuverordnung von Betablockern bei nichtkardialen Eingriffen ab (Joint Statement: issued by the American College of Cardiology, American Heart Association and the European Society of Cardiology, 5. Aug. 2013). Alle Metaanalysen zur Frage werden von der POISE-Studie dominiert, in der eine relativ hohe, innerhalb kurzer Zeit auftitrierte Betablockerdosis verwendet wurde, die möglicherweise für die ungünstigen Ergebnisse verantwortlich ist. Valide Studien mit positiver Nutzen-Schaden-Bilanz fehlen allerdings bisher. Beim derzeitigen Kenntnisstand scheint uns eine Neuverordnung von Betablockern zur Prophylaxe bei nichtkardialen Eingriffen nicht ratsam, -Red.

* POISE = Perioperative Ischemic Evaluation
** DECREASE = Dutch Echocardiographic Cardiac Risk Evaluation Applying Stress Echocardiography

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 11. Oktober 2013

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