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Im Blickpunkt

INTENSIVE LEBENSSTIL-INTERVENTION ZUR GEWICHTSABNAHME BEI TYP-2-DIABETES
… kardiovaskuläre Erkrankungen unbeeinflusst

Gewichtsabnahme gilt traditionell als wichtiger Bestandteil der Therapie übergewichtiger Patienten mit Typ-2-Diabetes. Die erste große Langzeitstudie, die den Effekt gewichtsreduzierender Maßnahmen auf kardiovaskuläre Erkrankungen prüfen sollte, wurde im Herbst letzten Jahres nach mehr als zehnjähriger Laufzeit wegen ausbleibenden Nutzens gestoppt. Seit Ende Juni liegen die vollständigen Ergebnisse vor.1 5.145 Patienten zwischen 45 und 75 Jahren mit Typ-2-Diabetes und mittlerem Body-Mass-Index von 36 haben an der Look-AHEAD*-Studie teilgenommen. 14% haben eine kardiovaskuläre Erkrankung in der Vorgeschichte, 16% spritzen Insulin. Patienten der Interventionsgruppe werden in individuellen und Gruppensitzungen, die anfangs wöchentlich, später mindestens monatlich stattfinden und von Ernährungsberatern, Trainingsspezialisten und Verhaltenstherapeuten geleitet werden, intensiv beraten. Ziel ist ein Gewichtsverlust von mindestens 10% mithilfe einer angestrebten Kalorienreduktion auf 1.200 bis 1.800 kcal pro Tag und stufenweise gesteigerter moderater körperlicher Aktivität über mindestens 175 Minuten pro Woche. In der Kontrollgruppe gibt es deutlich weniger Sitzungen, bei denen es sich zudem zum Thema Ernährung und Bewegung um reine Informationsveranstaltungen handelt.1

Mit dem hohen Aufwand, der in der Praxis kaum umzusetzen sein dürfte, lässt sich tatsächlich eine auch langfristige Gewichtsreduktion erzielen. Das Ausmaß ist jedoch - ähnlich den Erfahrungen in bisherigen Studien2,3 - mit 8,6% im ersten Jahr und 6% bei Studienende (im Vergleich zu 0,7% bzw. 3,5% in der Kontrollgruppe) sehr begrenzt. Trotz günstiger Einflüsse auf Surrogatparameter wie HbA1c und Blutdruck4 zumindest in den ersten Jahren hat die Intervention auf den primären Endpunkt, eine Kombination aus Herzinfarkt, Schlaganfall, Krankenhauseinweisung wegen Angina pectoris oder kardiovaskulär bedingtem Tod, keinen Effekt (pro Jahr 1,83% versus 1,92%; Hazard Ratio [HR] 0,95; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,83-1,09). Auch die Einzelkomponenten oder die Gesamtsterblichkeit werden nicht signifikant beeinflusst. Die verbesserte medikamentöse Routineversorgung in beiden Gruppen im Studienverlauf und die in der Kontrollgruppe häufiger erforderliche Verwendung von Antihypertensiva und Statinen könnten einen Effekt der Gewichtsreduktion maskiert oder aufgehoben haben.1

Die Lebensstil-Intervention scheint in einigen Aspekten, die als fernere Endpunkte mitgeprüft werden, durchaus patientenrelevante Vorteile mit sich zu bringen: So lässt sich die Insulinpflichtigkeit des Diabetes hinausschieben (36% vs. 41% bei Studienende).1 Die Patienten der Interventionsgruppe berichten über eine bessere Mobilität5 wie auch über eine höhere Lebensqualität6 als die der Kontrollgruppe. Inwieweit zum letzteren Ergebnis die intensivere Betreuung in der Prüfgruppe beiträgt, bleibt aber offen.6 Nach Substudien könnte die Gewichtsabnahme das Inkontinenzrisiko bei Frauen7 sowie Häufigkeit und Schwere einer Schlafapnoe8 mindern.

Ein niedrigeres Körpergewicht nach gezielter Gewichtsabnahme dauerhaft zu halten, ist ausgesprochen schwer, auch deshalb, weil die physiologischen Anpassungsreaktionen auf den Gewichtsverlust, darunter verringerter Energieumsatz und gesteigerter Appetit, die Wiederzunahme begünstigen.9,10 Die meisten Betroffenen kennen das Scheitern von Diätversuchen, mit Wiederanstieg des Körpergewichts nach initialer Abnahme (sog. Jo-Jo-Effekt). Nach Registerdaten mit Selbstauskünften der Minderheit, die eine langfristige Gewichtsabnahme geschafft hat, muss für den Erfolg neben regelmäßiger körperlicher Aktivität dauerhaft eine rigide niedrigkalorische Diät eingehalten werden, von der auch beispielsweise in den Ferien nicht abgewichen wird. Vielen Menschen ist dies in einer Umgebung voller Essensangebote nicht möglich.10 Insofern lässt sich den Ergebnissen der Look-AHEAD-Studie auch Positives abgewinnen: Erfolglosen Diätversuchen bei Typ-2-Diabetes kann angesichts minimaler Effekte selbst unter optimalen Studienbedingungen mit mehr Gelassenheit begegnet werden.

∎  In der Look-AHEAD-Studie bringt eine intensive Lebensstil-Intervention, bei der Übergewichtige mit Typ-2-Diabetes über Jahre individuell und in Gruppen zu Diät und körperlicher Aktivität beraten werden und die in der Praxis so gar nicht umsetzbar sein dürfte, langfristig nur eine sehr begrenzte Gewichtsreduktion. Das Ergebnis bestätigt die Erfahrungen aus anderen Studien.

∎  Auf kardiovaskuläre Komplikationen wie Herzinfarkt, den primären Endpunkt der Studie, sowie auf die Sterblichkeit hat die Intervention keinen Einfluss.

∎  Ärzte und Betroffene sollten um die nach derzeitigem Kenntnisstand sehr begrenzten Erfolge auch intensiver konservativer Interventionen zur Gewichtsreduktion wissen, um das häufig zu erwartende Scheitern nicht fälschlicherweise persönlichem Versagen zuzuschreiben.

∎  Zur Senkung des kardiovaskulären Risikos bei Typ-2-Diabetes sollten intensive Lebensstil-Interventionen mit dem Ziel der Gewichtsabnahme nicht mehr empfohlen werden. Dass diese medizinische Indikation entfällt, kann Betroffene und ihre behandelnden Ärzte angesichts der begrenzten Erfolgsaussichten diätetischer Bemühungen auch entlasten.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
R1The Look AHEAD Research Group: N. Engl. J. Med. 2013; 369: 145-54
 2WADDEN, T. et al.: Circulation 2012; 125: 1157-70
M3WU, T. et al.: Obes. Rev. 2009; 10: 313-23
R4The Look AHEAD Research Group: Arch. Intern. Med. 2010; 170: 1566-75
R5REJESKI, W.J. et al.: N. Engl. J. Med. 2012; 366: 1209-17
R6WILLIAMSON, D.A. et al.: Arch. Intern. Med. 2009; 169: 163-71
R7PHELAN, S. et al.: J. Urol. 2012; 187: 939-44
R8FOSTER, G.D. et al.: Arch. Intern. Med. 2009; 169: 1619-26
 9CORNIER, M.-A.: Physiol. Behav. 2011; 104: 608-12
 10SUMITHRAN, P., PROIETTO, J.: Clin. Sci. 2013; 124: 231-41

*  AHEAD = Action for Health in Diabetes

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 16. August 2013

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