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LINACLOTID (CONSTELLA) BEI REIZDARMSYNDROM MIT OBSTIPATION

Seit Mai 2013 ist mit Linaclotid (CONSTELLA) der erste Guanylat-Zyklase-C-Rezeptoragonist in Deutschland im Handel. Zugelassen ist er zur symptomatischen Behandlung eines "mittelschweren bis schweren" Reizdarmsyndroms mit Obstipation bei Erwachsenen.1 Der aktuellen S3-Leitlinie zufolge handelt es sich beim Reizdarmsyndrom um länger als drei Monate anhaltende Beschwerden, die auf den Darm bezogen werden, in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen, die Lebensqualität relevant beeinträchtigen sowie begründen sollen, dass der Patient deswegen Hilfe sucht, und für die keine anderen Erkrankungen wahrscheinlich die Ursache sind. Es kann mit Obstipation oder Diarrhö einhergehen. Eine einheitliche Definition der Schweregrade fehlt bislang. Die medikamentöse Therapie soll symptomorientiert erfolgen. Bei Obstipation empfiehlt die Leitlinie unter anderem, wasserlösliche Gelbildner wie z.B. Flohsamenschalen (MUCOFALK u.a.), deren Nutzen aber nicht gut belegt ist.2

EIGENSCHAFTEN: Linaclotid ist ein synthetisches Peptid aus 14 Aminosäuren. Es aktiviert die sich lumenseitig im Darmepithel befindenden Guanylat-Zyklase-C-Rezeptoren und steigert dadurch die Sekretion von Chlorid und Bikarbonat. Dies soll zu einer Zunahme der Flüssigkeit im Darm und einem beschleunigten Weitertransport des Darminhalts führen. Über den gleichen Mechanismus löst hitzestabiles Enterotoxin pathogener E.-coli-Stämme eine akute sekretorische Diarrhö aus. Im Tierversuch soll Linaclotid viszerale Schmerzen mindern.3

WIRKSAMKEIT: Die Zulassung von Linaclotid basiert maßgeblich auf zwei Doppelblindstudien,4,5 an denen 1.608 im Mittel 44 Jahre alte Patienten (90% Frauen) mit Reizdarmsyndrom gemäß Rom-Kriterien* und Obstipation teilnehmen.3 In den zwei Wochen vor der Behandlung müssen sie im Mittel über weniger als drei vollständige spontane Darmentleerungen** pro Woche berichtet und die stärksten Bauchschmerzen auf einer numerischen Ratingskala (von 0 = keine bis 10 = sehr schwere) im Durchschnitt mit wenigstens 3 beurteilt haben. Nach Randomisierung nehmen die Patienten für 12 bzw. 26 Wochen einmal täglich 290 µg Linaclotid oder Plazebo ein.6

Zahlreiche Ansprechraten werden primär untersucht. Unter anderem ist der Anteil an Patienten, bei denen in insgesamt wenigstens neun der ersten zwölf Wochen die stärksten Bauchschmerzen auf der numerischen Ratingskala um mindestens 30% gegenüber dem Ausgangswert abnehmen, in den beiden Studien mit 34% bzw. 39% unter Linaclotid signifikant größer als unter Plazebo (27% bzw. 20%). Im Mittel werden die stärksten Bauchschmerzen innerhalb des zwölfwöchigen Analysezeitraums jedoch um nicht einmal einen Punkt stärker gemindert als unter Plazebo (von eingangs durchschnittlich 5,6 im Mittel um 1,9 Punkte vs. 1,1 Punkte; sekundärer Endpunkt) - ein zwar statistisch signifikanter,3 jedoch klinisch nicht relevanter7 Unterschied. Die Anzahl der vollständigen spontanen Darmentleerungen pro Woche (weiterer sekundärer Endpunkt) steigt von durchschnittlich jeweils 0,2 unter Linaclotid um 2,2 bzw. 2,3 und unter Plazebo jeweils um 0,7.6 Da Vergleiche mit Laxanzien fehlen, lässt sich auch in dieser Hinsicht der therapeutische Stellenwert von Linaclotid nicht definieren.

In den von der europäischen Arzneimittelbehörde EMA als "unterstützend" angesehenen Endpunkten zur Lebensqualität3 finden sich im Mittel keine konsistent relevanten Vorteile gegenüber Plazebo.

STÖRWIRKUNGEN: Häufigste Störwirkung ist Durchfall, der in unkontrollierten Langzeitstudien bei jedem Dritten auftritt, in den randomisierten Studien bei 20% (Plazebo 3%).3 Bei 6% dauert er länger als 28 Tage an und bei weiteren 4% wird er als "anhaltend" beschrieben. Bei 2% (vs. 0,1%) verläuft er schwer. Insgesamt brechen 9% (vs. 3%) der Patienten die Therapie aufgrund von Störwirkungen ab, zumeist wegen Diarrhö (5% vs. 0,4%) und Bauchschmerzen (1,2% [!] vs. 0%),6 die insgesamt 7% betreffen (vs. 5%). Auch Flatulenz (4% vs. 2%) sowie virale Gastroenteritis (3% vs. 1%) kommen häufiger vor als unter Plazebo.8

Linaclotid ist nur für Erwachsene zugelassen. In den USA, wo das Peptid seit Dezember 2012 auf dem Markt ist, wird darüber hinaus ausdrücklich vor der Anwendung bei Kindern unter sechs Jahren gewarnt, da es bei neonatalen/juvenilen Mäusen bereits bei einer Dosierung letal wirkt, die nur der doppelten der beim Menschen angewendeten entspricht (in µg/kg Körpergewicht). Als Ursache werden ein unreifer Darm und eine höhere Guanylat-Zyklase-C-Rezeptor-Dichte als bei Erwachsenen vermutet. Zudem befürchtet die FDA, Antikörper gegen Linaclotid könnten zu Mangelsyndromen der endogenen Guanylin-Peptid-Hormone führen. Mögliche Folgen wären Hypernatriämie, Volumenüberladung, Hypertonie, Obstipation und exokrine Pankreasinsuffizienz. Bislang gibt es jedoch keinen Hinweis, dass diese Störwirkungen häufiger auftreten, und ein Test zum Nachweis von Antikörpern fehlt.6,9

KOSTEN:  Einmal täglich 290 µg Linaclotid (CONSTELLA) kosten im Monat 98 € und damit mehr als das Sechsfache von zweimal täglich 3,25 g indische Flohsamenschalen (z.B. MUCOFALK).

∎  Das synthetische Peptid Linaclotid (CONSTELLA) ist zur symptomatischen Behandlung eines mittelschweren bis schweren Reizdarmsyndroms mit Obstipation bei Erwachsenen zugelassen.

∎  Tägliche Einnahme mindert stärkste Bauchschmerzen im Vergleich zu Plazebo im Mittel nicht klinisch relevant.

∎  Gegenüber Scheinmedikament werden pro Woche durchschnittlich etwa 1,5 zusätzliche vollständige spontane Darmentleerungen beobachtet.

∎  Bei jedem dritten Patienten treten zum Teil anhaltende Durchfälle auf.

∎  Vergleiche mit Laxanzien fehlen. Wir sehen keine Anwendungsnische für das Peptid.

  (R =randomisierte Studie)
1 Almirall: Fachinformation CONSTELLA, Stand Nov. 2012
2 LAYER, P. et al.: Z. Gastroenterol. 2011; 49: 237-93
3 EMA: Europ. Beurteilungsbericht (EPAR) CONSTELLA, Stand Sept. 2012
http://www.ema.europa.eu/docs/en_GB/document_library /EPAR_-_Public_assessment_report/human/002490/WC500135624.pdf
R  4 RAO, S. et al.: Am. J. Gastroenterol. 2012; 107: 1714-24
R  5 CHEY, W.D. et al.: Am. J. Gastroenterol. 2012; 107: 1702-12
6 FDA: Medical Reviews linaclotide, Aug. 2012;
https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/nda/2012/202811Orig1s000MedR.pdf
7 Spiegel, B. et al.: Aliment. Pharmacol. Ther. 2009; 30: 1159-70
8 Forest Pharmaceuticals: US-Produktinformation LINZESS, Stand Aug. 2012;
https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/label/2012/202811s000lbl.pdf
9 FDA: Summary review linaclotide, Stand Aug. 2012;
https://www.accessdata.fda.gov/drugsatfda_docs/nda/2012/202811Orig1s000SumR.pdf

* Rom-II-Kriterien, auf die in den Studien Bezug genommen wird: Abdominelle Schmerzen oder abdominelles Unwohlsein während der vergangenen zwölf Monate in mindestens zwölf nicht unbedingt aufeinander folgenden Wochen mit mindestens zwei der folgenden Charakteristika: 1. Erleichterung der Beschwerden nach der Defäkation, 2. Beginn der Beschwerden in Verbindung mit Änderung der Stuhlfrequenz, 3. Beginn der Beschwerden in Verbindung mit Änderung der Stuhlkonsistenz.6
** "vollständig" bezieht sich auf das von den Patienten berichtete Gefühl, "spontan" = seit dem Vortag ohne Zäpfchen, Einläufe oder Laxanzien - als "Notfallmedikation" war nur Bisacodyl (DULCOLAX, Generika) erlaubt.6

© 2013 arznei-telegramm, publiziert am 5. Juli 2013

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