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Korrespondenz

VITAMIN-B12-MANGEL UNTER EINNAHME VON METFORMIN (GLUCOPHAGE, GENERIKA)

2010 wurde im British Medical Journal eine plazebokontrollierte Studie publiziert, nach der Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) die Vitamin-B12-Spiegel im Verlauf von gut vier Jahren im Mittel um 20% senkt. Die Autoren empfehlen regelmäßige Laborkontrollen unter Langzeiteinnahme von Metformin.1 Wir bitten um eine Stellungnahme.

Dres. med. H. und M. RIEBER (Facharzt f. Allgemeinmedizin/prakt. Ärztin)
D-96103 Hallstadt
Interessenkonflikt: keiner

1 De JAGER, J. et al.: BMJ 2010; 340: c2181 (7 Seiten)

Eine Senkung des Vitamin-B12-Spiegels unter Langzeiteinnahme von Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) wird seit Ende der 1960er Jahre in der Literatur beschrieben (vgl. a-t 1997; Nr. 7: 77).1 Metformin soll die Absorption von Vitamin B12 aus dem Darm beeinträchtigen, ein potenzieller Wirkmechanismus ist aber nicht genau geklärt.2 Die 2010 im BMJ publizierte plazebokontrollierte HOME*-Studie ist die erste Langzeitstudie zu dieser Frage.3 390 mit Insulin behandelte Patienten mit Typ-2-Diabetes nehmen daran teil. Sie werden randomisiert einer zusätzlichen Therapie mit Metformin oder Plazebo zugeteilt. Primär ist die HOME-Studie allerdings auf einen Kombinationsendpunkt aus makro- und mikrovaskulären Folgekomplikationen des Diabetes angelegt, die durch Zusatz von Metformin in mittlerer Tagesdosis von 2.050 mg nicht gemindert werden (Hazard Ratio [HR] 0,92; 95% Vertrauensbereich [CI] 0,72-1,18).4 Die B12-Spiegel sinken im Verumarm im Verlauf von 4,3 Jahren um 19% gegenüber Plazebo (95% CI -14% bis -24%). Bei 9,9% der Metforminanwender sinken die Spiegel unter die Normgrenze von 150 pmol/l im Vergleich zu 2,7% in der Plazebogruppe. Die Autoren empfehlen, die B12-Konzentrationen bei Metformintherapie regelmäßig zu kontrollieren.3

Die klinische Relevanz des unerwünschten Effekts ist jedoch unklar: Ein klinisch manifester Vitamin-B12-Mangel scheint in der Studie nicht aufgetreten zu sein, Angaben dazu fehlen.3 Generell gilt aber, dass B12-Spiegel unterhalb des Referenzwerts nicht automatisch mit klinisch bedeutsamem Mangelzustand gleichzusetzen sind.5 In der Literatur wird vereinzelt über Vitamin-B12-Mangel unter Metformin mit megaloblastärer Anämie, aber auch Neuropathie als klinische Folgen berichtet.6,7 Wie häufig dies ist, ist nicht bekannt. Aufgrund der großen B12-Speicher im Körper können bei unzureichender Zufuhr allerdings Jahre vergehen, bis sich klinische Folgen eines Mangelzustands manifestieren.5 Eine B12-Mangel-bedingte Neuropathie unter Einnahme von Metformin könnte zudem als diabetische Neuropathie verkannt werden.7

Die Frage eines Screenings auf B12-Mangel unter Langzeiteinnahme von Metformin wird kontrovers diskutiert.3,7,8 Ungeklärt ist, welche Tests beim Screening sinnvollerweise verwendet werden, welchen Nutzen asymptomatische Patienten mit erniedrigtem B12-Spiegel unter Metformin von einer Behandlung mit dem Vitamin haben und wie und ggf. wie lange behandelt werden muss. Umgekehrt ist fraglich, ob Wesentliches versäumt wird, wenn wie bisher auch unter Metformineinnahme erst bei klinischem Verdacht nach einem B12-Mangel gefahndet wird.8 Andererseits ist zu berücksichtigen, dass sich neuropsychiatrische Folgen eines B12-Mangels insbesondere bei längerem Bestehen durch Supplementierung mit dem Vitamin nicht immer vollständig zurückbilden.9 Die Fachinformation rät, bei megaloblastärer Anämie unter Metformin einen B12-Mangel als Ursache in Betracht zu ziehen.10 Dies scheint uns beim gegenwärtigen Kenntnisstand aber nicht ausreichend zu sein, da neuropsychiatrische und hämatologische Folgen des Mangelzustands unabhängig voneinander auftreten können.9 Wichtig scheint uns daher bei Metforminanwendern eine erhöhte Aufmerksamkeit insbesondere auch für potenziell B12-Mangel-bedingte neuropsychiatrische Symptome.

∎  Unter Einnahme des oralen Antidiabetikums Metformin (GLUCOPHAGE, Generika) kann es zur Absenkung der Vitamin-B12-Spiegel kommen. Die klinische Relevanz ist aber derzeit unklar.

∎  Beim derzeitigen Kenntnisstand sehen wir keine hinreichende Basis für ein allgemeines Screening auf B12-Mangel unter Einnahme von Metformin.

∎  Wichtig scheint uns bei Metforminanwendern aber eine erhöhte Aufmerksamkeit für Symptome, die auf B12-Mangel zurückgehen könnten. Dies gilt insbesondere für Symptome einer Neuropathie, die als diabetische Neuropathie fehlinterpretiert werden könnten, sowie für neuropsychiatrische Symptome wie Gedächtnisstörungen, bei denen wegen ihrer geringen Spezifität ein B12-Mangel ebenfalls verkannt werden könnte.

∎  Bei entsprechendem Verdacht bitten wir unsere Leser um einen Bericht an unser NETZWERK DER GEGENSEITIGEN INFORMATION.

  (R =randomisierte Studie)
1 TOMKIN, G.H. et al.: BMJ 1971; 2: 685-7
2 GILLIGAN, M.A.: Arch. Intern. Med. 2002; 162: 484-5
R  3 De JAGER, J. et al.: BMJ 2010; 340: c2181 (7 Seiten)
R  4 KOOY, A. et al.: Arch. Intern. Med. 2009; 169: 616-25
5 CARMEL, R.: Blood 2008; 112: 2214-21
6 CALLAGHAN, T.S. et al.: BMJ 1980; 280: 1214-5
7 BELL, D.S.: South Med. J. 2010; 103: 265-7
8 VIDAL-ALABALL, J., BUTLER, C.C.: BMJ 2010; 340: c2198 (2 Seiten)
9 HEALTON, E.B. et al.: Medicine (Balt) 1991; 70: 229-45
10 Merck: Fachinformation GLUCOPHAGE, Stand Okt. 2010

* HOME = Hyperinsulinaemia: the Outcome of its Metabolic Effects

© 2012 arznei-telegramm, publiziert am 9. März 2012

Autor: angegebene Leser bzw. Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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