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Korrespondenz

LIPOPROTEIN(A) MIT NIKOTINSÄURE SENKEN?

Mit Interesse habe ich Ihren Beitrag über das Nikotinsäure-haltige Präparat NIASPAN gelesen (a-t 2011; 42: 61), das inzwischen vom Markt genommen wurde, aber in TREDAPTIVE (Nikotinsäure + Laropiprant; a-t 2009; 40: 104-5) ein ähnliches Nachfolgepräparat hat. Zwei Patienten behandele ich mit 2.000 mg Nikotinsäure als TREDAPTIVE wegen erhöhter Lipoprotein(a)-Werte. Bei beiden kam es zu einer deutlichen Senkung von Lipoprotein(a), bei einem von 95 mg/dl auf 37 mg/dl. Die anderen Fettwerte waren vorher schon unter Simvastatin gut eingestellt. Meine Frage: Sagen die AIM-HIGH-Studie oder anderen Studien etwas über den Nutzen einer gezielten Senkung von Lipoprotein(a) aus? Ist der Laborwert ein nutzloses Surrogat, oder hilft er bei wichtigen primären Endpunkten wie Herzinfarkt oder Schlaganfall?

Dr. med. G. SCHRÖER (Facharzt für Innere Medizin)
D-50737 Köln
Interessenkonflikt: keiner

Lipoprotein(a) besteht aus einem LDL-Cholesterin-artigen Anteil, der über eine Disulfidbrücke mit Apolipoprotein(a) verbunden ist. Als Mechanismen für die postulierten atherogenen Wirkungen werden proentzündliche Prozesse, Störungen der Fibrinolyse aufgrund der Strukturähnlichkeit mit Plasminogen und Einbindung von Cholesterin in atherosklerotische Plaques diskutiert.1,2

Die Interpretation der Plasmaspiegel ist schwierig: Zwar liegen die Werte in der Gesamtbevölkerung zu etwa 80% unter 50 mg/dl.3 Sie variieren interindividuell jedoch um den Faktor 1.000.4 Identische Werte können unterschiedliche atherogene Bedeutung besitzen, da die genetisch determinierte Länge des Apolipoprotein(a)-Moleküls das Risiko mitbestimmen soll.2 Es gibt darüber hinaus deutliche ethnische Unterschiede, deren Bedeutung unklar ist: So weisen zum Beispiel Schwarze durchschnittlich deutlich höhere Spiegel auf als Weiße. Normwerte im engeren Sinne existieren nicht. Die von Laboren angegebenen Referenzbereiche (0 mg/dl bis 30 mg/dl)5 haben keine Bedeutung, zumal es keinen Schwellenwert für ein erhöhtes Risiko gibt.4

In epidemiologischen Studien6-8 ergeben sich Risikoerhöhungen um das 1,5- bis 3-Fache für das Auftreten kardiovaskulärer Erkrankungen beim Vergleich sehr hoher mit niedrigen Lipoprotein(a)-Spiegeln. Eine umfassende, methodisch aufwändig durchgeführte Metaanalyse9 schließt 36 prospektive epidemiologische Beobachtungsstudien mit insgesamt 146.634 Teilnehmern ein. In dieser Arbeit werden – anders als in früheren Studien – Störgrößen (Confounder; a-t 2011; 42: 73) berücksichtigt. Zudem werden die individuellen Patientendaten ausgewertet. Die Autoren errechnen für einen 3,5-fach höheren Lipoprotein(a)-Spiegel (zum Beispiel 105 mg/dl versus 30 mg/dl) eine Erhöhung des relativen Risikos (RR) für tödlichen oder nichttödlichen Herzinfarkt auf das 1,13-Fache (95% Konfidenzintervall [CI] 1,09-1,18). Das Risiko für ischämische Schlaganfälle liegt in einem ähnlichen Bereich (RR 1,1; 95 % CI 1,02-1,2). Der Zusammenhang von LDL-Cholesterin mit kardiovaskulären Ereignissen ist nach dieser Arbeit jedoch wesentlich deutlicher ausgeprägt (RR 1,66).9

Nikotinsäure (Niacin; in TREDAPTIVE) senkt – neben seinen Effekten auf andere Blutfettwerte – dosisabhängig Lipoprotein(a) um maximal 30% bis 40%.4 Es gibt Empfehlungen, bei Risikopatienten (z.B. mit frühzeitiger koronarer Herzerkrankung, familiärer Hypercholesterinämie, rezidivierenden koronaren Ereignissen trotz Behandlung mit Statinen) die Lipoprotein(a)-Werte zu messen und gegebenenfalls mit 1 g bis 3 g Nikotinsäure täglich auf unter 50 mg/dl (entsprechend der 80% Perzentile) zu senken.3 Aus der Datenlage lässt sich der Nutzen eines solchen Vorgehens nicht ableiten. Der Verweis der Autoren3 auf eine 2010 erschienene Metaanalyse10 randomisierter Studien, in der für Nikotinsäure als Monotherapie oder in Kombination mit Fibraten eine 25%ige Reduktion schwerer koronarer Ereignisse errechnet wird, ist ohne Beweiskraft: Eine gezielte Beeinflussung des Lipoprotein(a)-Spiegels ist nicht Gegenstand der Untersuchungen. Zudem ist nur eine der 14 eingeschlossenen Arbeiten, die bereits 1975 veröffentlichte Clofibrat-Niacin-Studie der Coronary Drug Project Research Group,11 mit knapp 6.000 Patienten ausreichend für klinische Fragestellungen gepowert. Statine standen zum damaligen Zeitpunkt nicht zur Verfügung. Verwendet wurde zudem nichtretardierte Nikotinsäure. Die Ergebnisse sind somit nicht auf heutige Verhältnisse und retardierte Zubereitungen übertragbar (a-t 2004; 35: 56).

Auch in AIM-HIGH* ist Lipoprotein(a) nicht Gegenstand der Untersuchung. Nach vorläufigen Daten profitieren ausreichend mit Statinen behandelte Risikopatienten nicht von einer zusätzlichen Einnahme von Nikotinsäure. Es ergeben sich im Gegenteil Risikosignale, die auf ein negatives Nutzen-Schaden-Verhältnis hindeuten (a-t 2011; 42: 61). Ob die bis 2013 laufende HPS2-THRIVE*-Studie mit 25.000 Patienten andere Ergebnisse bringt, bleibt abzuwarten. Geprüft wird allerdings auch hier nicht die Beeinflussung von Lipoprotein(a), sondern der Nutzen einer Anhebung des HDL-Cholesterins mit Nikotinsäure bei mit Simvastatin (ZOCOR, Generika) und zum Teil zusätzlich mit Ezetimib (EZETROL, in: INEGY) vorbehandelten Risikopatienten.12

* AIM-HIGH: Atherothrombosis Intervention in Metabolic Syndrome with low HDL/high triglycerides: impact on Global Health outcomes;
HPS2-THRIVE = Heart Protection Study 2 - Treatment of HDL to Reduce the Incidence of Vascular Events

Auch für die bei sehr hohen Lipoprotein(a)-Werten propagierte Lipidapherese liegt keine hochwertige Evidenz vor. Eine in Deutschland geplante randomisierte kontrollierte Studie soll wegen des Widerstandes aus Praxen, die Apherese durchführen, auf Eis liegen.4

∎  Nach Daten aus epidemiologischen Studien ist Lipoprotein(a) ein unabhängiger Risikofaktor für kardiovaskuläre Erkrankungen von nur mäßiggradiger Ausprägung.

∎  Es liegen keine randomisierten Studien vor, die den klinischen Nutzen einer gezielten Senkung des Lipoprotein(a)-Spiegels untersuchen. Auch anzustrebende Zielwerte lassen sich aus der Datenlage nicht ableiten.

∎  Bisherige Studiendaten belegen keinen zusätzlichen Nutzen durch Einnahme der schlecht verträglichen Nikotinsäure (in TREDAPTIVE) bei ausreichender Behandlung mit Statinen.

∎  Bei Risikopatienten mit hohem Lipoprotein(a)-Spiegel erscheint in erster Linie eine konsequente Beeinflussung etablierter Risikofaktoren sinnvoll (z.B. Stopp von Nikotinkonsum, Senkung arterieller Hypertonie).

  (R =randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
1 LIPPI, G. et al.: Clin. Chim. Acta 2011; 412: 797-801
2 ANUURAD, E. et al.: Clin. Transei. 2010; 3: 327-32
3 NORDESTGAARD, B.G. et al.: Eur. Heart J. 2010 ; 31: 2844-53
4 GOUNI-BERTHOLD, I., BERTHOLD, H.K.: Curr. Vasc. Pharmacol. 2011; 9: (in Druck)
5 Leistungsverzeichnis Labormedizin des Universität Klinikums Essen http://www.uk-essen.de/zentrallabor/mvz-labormedizin/media/files/Leistungsverzeichnis/Lp%28a%29_1.1.pdf
6 KAMSTRUP, P.R. et al.: JAMA 2009; 301: 2331-9
7 BENNET, A. et al.: Arch. Intern. Med. 2008; 168: 598-608
8 NENSETER, M.S. et al.: Atherosclerosis 2011; 216: 426-32
M  9 Emerging Risk Factors Collaboration: JAMA 2009; 302: 412-23
M  10 BRUCKERT, E. et al.: Atherosclerosis 2010; 210: 353-61
R  11 Coronary Drug Project Research Group: JAMA 1975; 231: 360-81
12 University of Oxford: „Treatment of HDL to Reduce the Incidence of Vascular Events HPS2-THRIVE”, ClinicalTrials.gov, Juli 2010; http://www.clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT00461630

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 14. Oktober 2011

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