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Korrespondenz

SHIFT-STUDIE: NEUBEWERTUNG VON IVABRADIN ERFORDERLICH?

Muss nach der SHIFT-Studie1 der therapeutische Stellenwert von Ivabradin (PROCORALAN) neu definiert werden? Was meinen Sie?

H. PETERS (Apothekerin)
D-28201 Bremen
Interessenkonflikt: keiner

1  SWEDBERG, K. et al.: Lancet 2010; 376: 875-85

Das Anfang 2006 in Deutschland eingeführte Ivabradin (PROCORALAN; a-t 2006; 37: 17-9) ist zur symptomatischen Behandlung der chronisch stabilen Angina pectoris bei Unverträglichkeit oder Kontraindikation eines Betablockers zugelassen oder in Kombination mit einem Betablocker, wenn die Patienten trotz optimaler Betablockerdosis unzureichend eingestellt sind und die Herzfrequenz mehr als 60 Schläge pro Minute beträgt.1 Ivabradin blockiert den so genannten f-Ionenkanal und damit einen Ionenstrom, der bei der Regulation der Herzfrequenz im Sinusknoten eine zentrale Rolle spielt. Es senkt die Herzfrequenz und soll dadurch die Herzarbeit und den myokardialen Sauerstoffverbrauch verringern.1 Zur Anfallsprophylaxe der stabilen Angina pectoris sind Betablocker Mittel der Wahl. Mittel der zweiten und dritten Wahl sind Nitrate und Kalziumantagonisten. Ein Zusatznutzen von Ivabradin ist nicht hinreichend belegt,2 sein therapeutischer Stellenwert unklar.

In zwei großen Studien (BEAUTIFUL*, SHIFT*) wird der prognostische Nutzen von Ivabradin geprüft. An der BEAUTIFUL-Studie3 nehmen 10.917 Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit und linksventrikulärer Dysfunktion (Auswurffraktion < 40%) teil. 85% haben eine symptomatische Herzinsuffizienz (NYHA-Klasse II oder III). In der SHIFT-Studie4 haben alle 6.558 Teilnehmer eine - ischämisch (67%) oder nichtischämisch (33%) bedingte - symptomatische Herzinsuffizienz, vorwiegend NYHA-Klasse II (49%) und III (50%). Herzinsuffizienz ist kein zugelassenes Anwendungsgebiet von Ivabradin: Laut aktueller Fachinformation ist es bei Herzinsuffizienz NYHA III bis IV kontraindiziert, bei NYHA I und II darf es nur mit Vorsicht angewendet werden.1

* BEAUTIFUL = morBidity-mortality EvAlUaTion of the IF inhibitor invabradine in patients with coronary disease and left-ventricULar dysfunction
SHIFT = Systolic Heart failure treatment with the If inhibitor ivabradine Trial

In der bereits 2008 publizierten BEAUTIFUL-Studie (a-t 2008; 39: 107) müssen die Teilnehmer eine Ruhefrequenz von mindestens 60 pro Minute haben. Sie sollen nach Einschätzung der Studienärzte optimal auf die medikamentöse Standardtherapie eingestellt sein. 87% nehmen einen Betablocker ein, genaue Angaben zu Dosierung und Präparat fehlen.3,5,6 Zusätzliches Ivabradin (zweimal täglich 5 mg bis 7,5 mg) wirkt sich im medianen Verlauf von 19 Monaten auf den primären Kombinationsendpunkt (Krankenhausaufnahme wegen Myokardinfarkt oder neuer oder verschlechterter Herzinsuffizienz oder kardiovaskulär bedingter Tod) nicht besser aus als Plazebo (Hazard Ratio [HR] 1,00; 95% Vertrauensbereich [CI] 0,91-1,10). Im Hinblick auf die kardiovaskuläre und die Gesamtsterblichkeit schneidet Ivabradin numerisch sogar schlechter ab als das Scheinmedikament (HR 1,07; 95% CI 0,94-1,22 bzw. HR 1,04; 95% CI 0,92-1,16).3 Laut Subgruppenanalysen ergeben sich bei Patienten mit Herzfrequenz von mindestens 70 für Ivabradin signifikante Vorteile, allerdings auch nicht im primären Endpunkt, sondern nur in drei von insgesamt acht sekundären Endpunkten,3 die als sekundäre Subgruppenbefunde in einer Negativstudie jedoch keinen beweisenden Charakter haben.

Dass die SHIFT-Studie auf der Basis früher Zwischenanalysen der BEAUTIFUL-Studie geplant wurde, scheint plausibel, lässt sich den publizierten Daten jedoch nicht entnehmen. In dieser hauptsächlich in osteuropäischen Zentren durchgeführten Studie muss die Ruhefrequenz aller Teilnehmer mindestens 70 pro Minute betragen. Die linksventrikuläre Auswurffraktion darf 35% nicht überschreiten. Auch in SHIFT sollen die Patienten optimal auf die Standardtherapie eingestellt sein: 79% nehmen einen ACE-Hemmer, 14% ein Sartan und 89% einen Betablocker ein. 83% sind mit einem Diuretikum, 60% mit einem Aldosteronantagonisten und 22% mit einem Herzglykosid vorbehandelt. Sie werden randomisiert einer Therapie mit zweimal täglich 5 mg Ivabradin oder Plazebo zugeteilt. Die Ivabradin-Zieldosis beträgt zweimal täglich 7,5 mg, die Dosis kann in Abhängigkeit von der Herzfrequenz aber auch bis auf zweimal täglich 2,5 mg verringert werden.4

Der primäre Endpunkt, eine Kombination aus Krankenhausaufnahmen wegen verschlechterter Herzinsuffizienz und kardiovaskulär bedingtem Tod, wird unter Ivabradin während einer medianen Nachbeobachtungszeit von knapp zwei Jahren signifikant gemindert (24% versus 29%; HR 0,82; 95% CI 0,75-0,90; Number Needed to Treat [NNT] = 20), hauptsächlich aufgrund seltenerer Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz (16% vs. 21%). Die kardiovaskuläre (14% vs. 15%) und die Gesamtsterblichkeit (16% vs. 17%) unterscheiden sich nicht signifikant. 3% der Patienten klagen über die unter Ivabradin bekannten so genannten Phosphene, vorübergehende verstärkte Helligkeitsphänomene im Gesichtsfeld, weitere 1% über verschwommenes Sehen (Plazebo 1% bzw. < 1%). Symptomatische (5%) und asymptomatische (6%) Bradykardie kommt unter Ivabradin signifikant häufiger vor als unter Plazebo (jeweils 1%).4

Hersteller Servier wirbt inzwischen für Ivabradin mit dem auf die SHIFT-Studie bezogenen Slogan: "Prognostischer Nutzen untermauert!".7 Nicht allein, dass hier quasi ein nicht zugelassenes oder sogar kontraindiziertes Anwendungsgebiet für die Werbung herangezogen wird. Ob Ivabradin die Prognose von Herzinsuffizienzpatienten tatsächlich verbessert, ist beim genauen Hinsehen zweifelhaft. Vieles spricht nämlich dafür, dass die Basistherapie mit Betablockern anders als angeblich geplant in der Studie nicht optimal ist. Nur 23% nehmen Betablocker in der empfohlenen Zieldosis und weniger als die Hälfte (49%) mindestens 50% der Zieldosis ein. Mehr als 10% verwenden einen Betablocker ohne nachgewiesenen lebensverlängernden Nutzen wie Metoprololtartrat. Auch die hohe mittlere Herzfrequenz von 80 Schlägen pro Minute zu Beginn der SHIFT-Studie, die im Bereich der mittleren Herzfrequenzen zu Beginn der großen Endpunktstudien mit Betablockern bei Herzinsuffizienz liegt (80 bis 84), spricht dagegen, dass die Betablockade in SHIFT optimal ist. Gleiches gilt für die Blutdruckwerte.8 Die Basistherapie in SHIFT mag, wie die Autoren betonen, der klinischen Praxis entsprechen. Hier setzt sich die Behandlung der Herzinsuffizienz mit Betablockern möglicherweise aufgrund des Paradigmenwechsels nach langjähriger Kontraindikation (a-t 1999; Nr. 2: 21-2) nur langsam durch.9 Die SHIFT-Studie sollte aber den Zusatznutzen von Ivabradin bei leitliniengerechter Basistherapie ermitteln. Im vorrangigen sekundären Endpunkt, der Klinikeinweisung wegen Herzinsuffizienz oder kardiovaskulär bedingten Tod in der Subgruppe der Patienten mit mindestens 50%iger Betablockerzieldosis erfasst, hat Ivabradin keinen signifikanten Effekt (HR 0,90; 95% CI 0,77-1,04), ebenso wenig in der prädefinierten Subgruppe mit Herzfrequenz unter 77 pro Minute (ein indirekter Hinweis auf das Ausmaß der Betablockade; HR 0,93; 95% CI 0,80-1,08; Interaktion: p = 0,029).4 Ob das Mittel die Prognose von Patienten mit Herzinsuffizienz verbessert, die optimal auf Betablocker eingestellt sind, bleibt daher offen.

∎  Der therapeutische Stellenwert des herzfrequenzsenkenden f-Ionenkanalblockers Ivabradin (PROCORALAN) in der zugelassenen Indikation der stabilen Angina pectoris ist unklar.

∎  In der BEAUTIFUL-Studie hat Ivabradin bei Patienten mit stabiler koronarer Herzkrankheit und - überwiegend symptomatischer - Herzinsuffizienz und Herzfrequenz über 60 pro Minute keinen Einfluss auf die Prognose.

∎  In der SHIFT-Studie mindert Ivabradin bei Patienten mit symptomatischer Herzinsuffizienz, die jedoch unzureichend auf Betablocker eingestellt sind, Krankenhauseinweisungen wegen Herzinsuffizienz, hat aber auch hier keinen Einfluss auf die Sterblichkeit.

∎  Herzinsuffizienz ist kein zugelassenes Anwendungsgebiet von Ivabradin. Das Mittel ist hier kein Ersatz für optimal dosierte, nachweislich lebensverlängernde Betablocker.

∎  Wir sehen beim derzeitigen Kenntnisstand keine gesicherte Indikation für Ivabradin.

  (R =randomisierte Studie)
1 Servier Deutschland: Fachinformation PROCORALAN, Stand Nov. 2010
2 Prescrire Internat. 2010; 19: 264-5
R  3 FOX, K. et al.: Lancet 2008; 372: 807-16
R  4 SWEDBERG, K. et al.: Lancet 2010; 376: 875-85
5 FOX, K. et al.: Am. Heart J. 2006; 152: 860-6
6 The BEAUTIFUL Study Group: Cardiology 2008; 110: 271-82
7 Servier: PROCORALAN-Werbung, Ärzte Ztg. vom 30. Sept. 2010
8 TEERLINK, J.R.: Lancet 2010; 376: 847-9
9 Bundesärztekammer et al.: Nationale Versorgungsleitlinie Chronische Herzinsuffizienz, Nov. 2010;
http://www.versorgungsleitlinien.de/themen/herzinsuffizienz/pdf/nvl_hi_lang.pdf

© 2011 arznei-telegramm, publiziert am 8. April 2011

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