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Neu auf dem Markt

MONOKLONALER ANTIKÖRPER GEGEN OSTEOPOROSE: DENOSUMAB (PROLIA)

Seit Juni 2010 wird ein neues Therapieprinzip zur Osteoporosebehandlung angeboten: der monoklonale Antikörper Denosumab (PROLIA). Denosumab ist zur Behandlung der postmenopausalen Osteoporose zugelassen und bei Männern zur Therapie von Knochenverlust, der durch Androgenentzugstherapie bei Prostatakarzinom bedingt ist.1

EIGENSCHAFTEN: Denosumab ist ein humaner monoklonaler IgG-2-Antikörper, der gegen den so genannten RANK*-Liganden (RANKL) gerichtet ist und die Interaktion dieses Liganden mit seinem Rezeptor hemmt. RANKL ist ein Zytokin aus der Superfamilie der Tumornekrosefaktoren. Es hat eine wichtige Funktion für die Bildung, Funktion und das Überleben von Osteoklasten, die für die Knochenresorption zuständig sind. RANKL hat aber auch eine wichtige Funktion im Immunsystem, wo es an der Differenzierung von B- und T-Zellen sowie an der Reifung von dendritischen (Antigen-präsentierenden) Zellen beteiligt ist.2

* RANK = Receptor Activator of Nuclear Factor Kappa B

Denosumab bewirkt eine signifikante Hemmung der Knochenresorption, gemessen an Serumspiegeln des Markers CTX1 (C-terminales Telopeptid des Typ-I-Kollagens). Das Ausmaß der Suppression von Knochenresorptionsmarkern ist nach Einschätzung von Mitarbeitern der US-amerikanischen Arzneimittelbehörde FDA größer als unter irgendeinem der bisherigen antiresorptiven Osteoporosemittel. Behandlung mit Denosumab mindert zudem auch den Knochenaufbau, ein mit dem Abbau eng gekoppelter Prozess, bzw. den gesamten Knochenumbau. Aus histomorphometrischen Untersuchungen des Knochens unter der Behandlung ergeben sich bedenkliche Hinweise auf Übersuppression des Knochenumbaus. Nach Absetzen scheinen die Effekte reversibel zu sein.2-4

WIRKSAMKEIT: Zulassungsrelevante Phase-III-Studie für die Indikation postmenopausale Osteoporose ist die 2009 publizierte multizentrische randomisierte FREEDOM**-Studie, an der 7.868 Frauen zwischen 60 und 90 Jahren teilnehmen, bei denen aufgrund erniedrigter Knochendichte (T-Score*** an Lendenwirbelsäule oder Hüfte zwischen -2,5 und -4,0) definitionsgemäß eine Osteoporose vorliegt. 24% der Frauen haben Wirbelbrüche in der Vorgeschichte. Obgleich mit Bisphosphonaten wie Alendronat (FOSAMAX, Generika) seit Jahren eine Standardtherapie für Patientinnen mit Osteoporose verfügbar ist, wird die FREEDOM-Studie plazebokontrolliert durchgeführt. Die Teilnehmerinnen werden randomisiert einer Therapie mit halbjährlich 60 mg Denosumab s.c. oder Scheinmedikament zugeteilt. Alle nehmen täglich mindestens 1 g Kalzium und mindestens 400 I.E. Vitamin D ein. Primärer Endpunkt ist die Rate neuer, durch Screening erfasster Wirbelbrüche nach drei Jahren. 17% der Patientinnen brechen die Studie vorzeitig ab. Denosumab mindert die Rate gescreenter Wirbelbrüche von 7,2% unter Plazebo auf 2,3% (Risk Ratio [RR] 0,32; 95% CI 0,26-0,41; Number needed to treat [NNT] = 21), die Rate klinischer Wirbelbrüche von 2,4% auf 0,7% (NNT = 59). Nichtvertebrale Frakturen und Hüftbrüche nehmen unter Verum geringfügig, aber signifikant ab (6,1% versus 7,5%, NNT = 72, bzw. 0,7% vs. 1,1%, NNT = 250).2,5

** FREEDOM = Fracture Reduction Evaluation of Denosumab in Osteoporosis Every 6 Month
*** T-Score: Vergleichendes Maß für die Knochendichte, T-Score von -2,5 bedeutet eine Knochendichte von 2,5 Standardabweichungen unter dem Mittelwert bei jungen Erwachsenen; Osteoporose definitionsgemäß ab T-Score von -2,5, Osteopenie ab T-Score von -1

In zwei randomisierten Vergleichen zwischen Denosumab (halbjährlich 60 mg s.c.) und Alendronat (1 x wöchentlich 70 mg per os) mit 1.189 bzw. 504 Frauen nach den Wechseljahren und erniedrigter Knochendichte (T-Score ( -2) führt Denosumab in zwölf Monaten zu signifikant höherer Knochendichte und signifikant stärker gehemmtem Knochenumbau als Alendronat. Die Rate der Knochenbrüche, für die die Studien nicht gepowert waren, unterscheidet sich nicht signifikant, ist aber unter Denosumab numerisch jeweils höher (4% vs. 3,2% bzw. 3,2% vs. 1,6%).6,7

An der Zulassungsstudie (HALT-PC****) für die Indikation Knochenverlust bei Androgenentzugstherapie nehmen 1.468 Männer zwischen 48 und 97 Jahren mit nichtmetastasiertem Prostatakarzinom teil. Wegen ihres Karzinoms haben sie sich einer bilateralen Orchiektomie unterzogen (9%) oder wurden mit GnRH-Agonisten behandelt. Eine erniedrigte Knochendichte und/oder osteoporotische Frakturen sind nur bei den unter 70-jährigen Patienten Voraussetzung für die Teilnahme an der Studie. 22% haben eine osteoporotische Fraktur in der Vorgeschichte. Alle sollen täglich mindestens 1 g Kalzium und mindestens 400 I.E. Vitamin D einnehmen. Nach randomisierter Zuteilung erhalten sie halbjährlich eine subkutane Injektion mit 60 mg Denosumab oder Plazebo. Primärer Endpunkt ist die Veränderung der Knochendichte an der Lendenwirbelsäule nach 24 Monaten. Zu den sekundären Endpunkten gehört die Rate der durch Screening erfassten Wirbelbrüche nach drei Jahren, die Gesamtrate der Knochenbrüche sowie die Rate symptomatischer Frakturen. Die Knochendichte an der Wirbelsäule ist nach 24 Monaten unter Denosumab um 6,7% höher als unter Plazebo (p < 0,001). Der klinische Nutzen steht infrage: Gemindert werden nur gescreente Wirbelbrüche (1,5% vs. 3,9% nach drei Jahren; NNT = 42). Die Gesamtrate der Frakturen einschließlich gescreenter Wirbelbrüche unterscheidet sich nicht signifikant (5,2% vs. 7,2%), im Hinblick auf symptomatische Frakturen besteht gar kein Unterschied (Hazard Ratio [HR] 0,94; 95% CI 0,57-1,55;8 in der Publikation fehlen dazu jegliche Zahlenangaben).2,9

**** HALT-PC = Hormone Ablation Bone Loss Trial-Prostate Cancer

UNERWÜNSCHTE EFFEKTE: Wie aufgrund der immunologischen Funktion des von Denosumab blockierten RANKL zu erwarten, nehmen schwerwiegende Infektionen unter dem Antikörper zu, in der FREEDOM-Studie von 3,5% auf 4,2%, in der HALT-PC-Studie von 4,6% auf 5,9%. Bei den Frauen fallen besonders schwerwiegende Haut-, Ohr- und Harnwegsinfektionen, infektiöse Arthritiden und Endokarditiden auf. Eine Zunahme opportunistischer Infektionen ist nicht erkennbar. Neben den Hautinfektionen sind bei den Frauen auch andere Hautschäden wie Ekzem oder Hautausschlag unter Denosumab häufiger (10,8% versus 8,2%).2,4,10

Acht Denosumabanwenderinnen erkranken in der FREEDOM-Studie an Pankreatitis, unter Plazebo sind es vier. Während unter Verum alle acht Bauchspeicheldrüsenentzündungen schwerwiegend verlaufen, darunter eine tödlich, gibt es unter Plazebo nur einen schwerwiegenden Verlauf.2,4 In HALT-PC, nicht aber in FREEDOM fällt unter Denosumab eine Häufung von Katarakten auf (4,7% vs. 1,2%).1,10

Ein bekannter Klasseneffekt antiresorptiver Osteoporosemittel ist Hypokalziämie. Bei normaler Nierenfunktion erreicht der Kalziumspiegel etwa 10 Tage nach einer Denosumabinjektion seinen Tiefstpunkt. In der FREEDOM-Studie haben nach einem Monat 1,7% der Verumanwenderinnen im Vergleich zu 0,4% der Frauen in der Plazebogruppe Kalziumspiegel unter 2,1 mmol/l. Besonders gefährdet sind Patienten mit schwerer Niereninsuffizienz. Eine vorbestehende Hypokalzämie ist Gegenanzeige. Eine ausreichende Versorgung mit Kalzium und Vitamin D ist sicherzustellen.1,2,4

Da Denosumab aufgrund speziesspezifischer Unterschiede bei Nagern keine pharmakologische Aktivität hat, gibt es keine Tierversuche zur Karzinogenität des Antikörpers. In klinischen Studien fällt ein Ungleichgewicht im Hinblick auf maligne Erkrankungen zu Ungunsten von Denosumab auf. In einer Dosisfindungsstudie sterben drei Anwender unter einer nicht zugelassenen höheren Dosis an Krebs. In der FREEDOM-Studie erkranken unter dem Antikörper 4,8% der Frauen an Krebs im Vergleich zu 4,3% unter Plazebo: Besonders Brustkrebs und Krebs des Genital- und Magen-Darm-Trakts kommen häufiger vor. In der HALT-PC-Studie sowie in einer weiteren Studie zum Nutzen von Denosumab bei Knochenverlust durch antineoplastische Therapie (Frauen mit Brustkrebs unter Einnahme von Aromatasehemmern) fallen unter den unerwünschten Effekten in den Denosumabgruppen häufigere Meldungen im Sinne einer fortschreitenden malignen Grunderkrankung auf: Bei den Männern bei 8,2% vs. 5,5%, bei den Frauen bei 7% vs. 4,2%.2,3,10 In den in der HALT-PC-Studie regelmäßig erhobenen PSA-Werten sowie in Knochenszintigrafien bestätigt sich dies nach Darstellung des Herstellers zwar nicht.11 Da in keiner der beiden Studien mögliche Effekte des Antikörpers auf das Fortschreiten der Grunderkrankung wirklich systematisch erfasst wurden, bleibt der Befund aber ein klares Risikosignal.2 In den USA wurde Denosumab zur Behandlung von Knochenverlust aufgrund antineoplastischer Therapie nicht zugelassen.4

Die starke Hemmung des Knochenumbaus durch Denosumab bedeutet wie bei Bisphosphonaten ein erhöhtes Risiko von Kiefernekrosen und atypischen Frakturen unter der Langzeitanwendung. Kiefernekrosen sind unter Denosumab bereits vor Markteinführung auch in der Osteoporosetherapie beschrieben worden.1,4

KOSTEN: Denosumab (PROLIA) wird mit Jahreskosten von 638 € für zweimal jährlich 60 mg rund 15% teurer angeboten als Originalpräparate mit Alendronat (FOSAMAX; Jahreskosten 550 € für täglich 10 mg) und Zoledronat (ACLASTA; Jahreskosten 562 € für 1 x jährlich 5 mg). Gegenüber einem Alendronatgenerikum (z.B. ALENDRONSÄURE STADA; Jahreskosten 342 €) verteuert Denosumab die Osteoporosetherapie um mehr als 85%.

∎  Der monoklonale Antikörper Denosumab (PROLIA), der gegen das Tumornekrosefaktor-Zytokin RANKL gerichtet ist, mindert bei Frauen mit postmenopausaler Osteoporose die Rate neuer Wirbelbrüche und geringfügig auch die Rate nichtvertebraler Frakturen und Hüftbrüche.

∎  Ein klinischer Vorteil gegenüber anderen Osteoporosemitteln wie Bisphosphonaten ist nicht nachgewiesen.

∎  Bei Männern unter Androgenentzugstherapie wegen Prostatakarzinoms ist ein klinischer Nutzen nicht hinreichend belegt.

∎  Der Tumornekrosefaktorhemmstoff geht mit erhöhtem Risiko schwerwiegender Infektionen einher.

∎  Bedenklich sind auch die Daten zu malignen Erkrankungen: In Studien fallen häufigere maligne Neuerkrankungen unter Denosumab auf sowie Hinweise auf häufigeres Fortschreiten einer malignen Grunderkrankung.

∎  Die starke Hemmung des Knochenumbaus unter Denosumab kann langfristig ein hohes Risiko von Kiefernekrosen oder atypischen Frakturen bedeuten.

∎  Aufgrund der schwerwiegenden potenziellen Risiken und fehlender Nachweise für einen Zusatznutzen sehen wir beim derzeitigen Kenntnisstand keine Indikation für das teure Denosumab. Bei Patienten mit Prostatakarzinom warnen wir vor der Anwendung.

  (R = randomisierte Studie)
 1AMGEN/GSK: Fachinformation PROLIA, Stand Mai 2010
 2FDA: Briefing Document Advisory Committee Meeting 13. Aug. 2009;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/ CommitteesMeetingMaterials/Drugs/ReproductiveHealthDrugsAdvisoryCommittee/UCM176605.pdf
 3FDA: Transcript Advisory Committee Meeting 13. Aug. 2009;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/ CommitteesMeetingMaterials/Drugs/ReproductiveHealthDrugsAdvisoryCommittee/UCM187083.pdf
 4AMGEN: US-amerikanische Produktinformation PROLIA, Stand Juni 2010
R5CUMMINGS, S.R. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 361: 756-65
R6BROWN, J.P. et al.: J. Bone Miner. Res. 2009; 24: 153-61
R7KENDLER, D.L. et al.: J. Bone Miner. Res. 2010; 25: 72-81
 8AMGEN: Briefing Document Advisory Committee Meeting 13. Aug. 2009;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/ CommitteesMeetingMaterials/Drugs/ReproductiveHealthDrugsAdvisoryCommittee/UCM176623.pdf
R9SMITH, M.R. et al.: N. Engl. J. Med. 2009; 361: 745-55
 10ROTHSTEIN, A. (FDA): Diavortrag Advisory Committee Meeting 13. Aug. 2009;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/ Committees MeetingMaterials/Drugs/ReproductiveHealthDrugsAdvisoryCommittee/UCM179782.pdf
 11AMGEN: Diavortrag Advisory Committee Meeting 13. Aug. 2009;
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/ CommitteesMeetingMaterials/Drugs/ReproductiveHealthDrugsAdvisoryCommittee/UCM179784.pdf und
http://www.fda.gov/downloads/AdvisoryCommittees/ CommitteesMeetingMaterials/Drugs/ReproductiveHealthDrugsAdvisoryCommittee/UCM179785.pdf

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 18. Juni 2010

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