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Korrespondenz

COENZYM Q10: ZUSATZ BEI STATINTHERAPIE ERFORDERLICH?

Eine hiesige Apotheke wendet sich gezielt an die Kunden, die mit einem CSE-Hemmer behandelt werden. In - für mein Empfinden - ziemlich dramatischer Weise wird auf spezielle Nebenwirkungen der Statintherapie hingewiesen, insbesondere auf einen Statin-induzierten Mangel an Coenzym Q10, der die körperliche Integrität bedroht. Parallel wird bezeichnenderweise ein entsprechendes Substitutionspräparat beworben.

Ein Zusammenhang zwischen Statintherapie und dem Vorhandensein von Q10 besteht meines Wissens. Die Frage ist, ob dieser möglichen Nebenwirkung oder Interaktion eine klinische Bedeutung zukommt. Einige meiner Patienten haben unter dem Eindruck der Apothekeninformation ihren Cholesterinsenker abgesetzt.

NN (Name und Anschrift der Redaktion bekannt)
Interessenkonflikt: keiner

Der morbiditäts- und mortalitätssenkende Nutzen von CSE-Hemmern wie Simvastatin (ZOCOR, Generika) oder Pravastatin (PRAVASIN, Generika) in der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen ist durch mehrere randomisierte kontrollierte Langzeitstudien belegt (vgl. a-t 2004; 35: 56-60). Unter der Einnahme werden jedoch verschiedene myopathische Beschwerden beobachtet, die von häufigen leichten Muskelschmerzen bis hin zu sehr seltenen potenziell tödlichen Rhabdomyolysen reichen. Wie Statine Muskelschäden verursachen, ist unklar. Einer der diskutierten Theorien zufolge könnten sie über eine Verringerung intramuskulärer Coenzym-Q10-Spiegel eine mitochondriale Fehlfunktion hervorrufen.1,2

CSE-Hemmer blockieren ein Schlüsselenzym der Cholesterinsynthese, die HMG-CoA-Reduktase (vgl. a-t 2009; 40: 17-8). Damit hemmen sie jedoch gleichzeitig die Produktion von Coenzym Q10, da beide aus einer gemeinsamen Vorstufe gebildet werden.1,2 Das auch als Ubichinon (von lateinisch ubique = überall) bezeichnete Coenzym wird im Prinzip in allen lebenden Zellen synthetisiert und findet sich in der Nahrung vor allem in Leber, öligem Fisch, Hülsenfrüchten, Nüssen und verschiedenen pflanzlichen Ölen. Ein behandlungsbedürftiger Mangel bzw. daraus resultierende Mangelerscheinungen sind nicht bekannt. Ubichinone sind an der Atmungskette beteiligt, in der Adenosintriphosphat (ATP) als intrazellulärer Energielieferant gebildet wird.3 Bei höher entwickelten Lebewesen findet dieser Prozess in den Mitochondrien statt.

In vielen, wenn auch nicht allen epidemiologischen wie auch randomisierten Studien lässt sich unter Statinen eine Abnahme der Q10-Plasmaspiegel um bis zu 50% nachweisen.2 Dies wird in erster Linie auf die statininduzierte LDL-Senkung zurückgeführt, dem wichtigsten Transportprotein von Coenzym Q10 im Blut.1,2 Weniger klar ist, wie sich CSE-Hemmer auf die Coenzym-Q10-Konzentration in Skelettmuskelzellen auswirken: In zwei kleinen unkontrollierten Studien steigen die intramuskulären Spiegel unter täglich 20 mg Simvastatin sogar signifikant bzw. numerisch an.1,2 In einem achtwöchigen randomisierten Vergleich von hochdosiertem Atorvastatin (SORTIS, 40 mg täglich) oder Simvastatin (täglich 80 mg) mit Plazebo bei 48 Patienten mit Hypercholesterinämie nehmen zwar die Coenzym-Q10-Plasmaspiegel unter beiden Statinen ab. Eine Senkung der intramuskulären Konzentration des Coenzyms in den unteren als normal definierten Bereich lässt sich jedoch nur für Simvastatin nachweisen. Da die Funktion der Mitochondrien per se nicht beeinträchtigt ist, halten die Autoren es für möglich, dass der verminderte Q10-Gehalt der Muskelzellen Folge einer Abnahme von Zahl oder Volumen der Mitochondrien ist und nicht, wie häufig angenommen, Ursache einer mitochondrialen Fehlfunktion.4 Noch spärlicher sind die Daten bei Patienten mit Statin-assoziierter Myopathie: In einer Untersuchung unterscheiden sich die durchschnittlichen Muskel-Coenzym-Q10-Spiegel der 18 Betroffenen nicht von denen einer nicht näher beschriebenen Kontrollgruppe (n = 118). Zudem findet sich keine Korrelation zwischen intramuskulärem Spiegel des Coenzyms und der Muskelstruktur.5

Statin-assoziierte erniedrigte Blutspiegel von Coenzym Q10 steigen unter der Einnahme entsprechender Nahrungsergänzungsmittel wieder an.1,2 Daten zum Einfluss auf myopathische Beschwerden sind jedoch spärlich und widersprüchlich: In einem vierwöchigen randomisierten doppelblinden Vergleich mit insgesamt 32 Patienten nehmen Schmerzintensität und dadurch bedingte Einschränkung täglicher Aktivitäten unter 100 mg Coenzym Q10 signifikant ab, nicht jedoch unter 400 E Vitamin E.6 Eine mit 44 Teilnehmern kaum größere, aber immerhin plazebokontrollierte zwölfwöchige Studie kommt hingegen zu negativem Ergebnis.7 In internationalen Leitlinien wird die Einnahme von Coenzym Q10 wegen der unzureichenden Datenlage nicht empfohlen.8,9

Die Anwendung der als Nahrungsergänzungsmittel angebotenen Substanz ist nicht ohne Risiken: Im Rahmen klinischer Studien wurden unter Dosierungen zwischen 50 mg und 300 mg pro Tag gastrointestinale Störwirkungen, Anstieg von Laktatdehydrogenase oder GOT sowie bei Sportlern nach mehreren Tagen intensiven Trainings eine erhöhte Aktivität der Plasma-Kreatinkinase als möglicher Hinweis auf Zellschädigungen beobachtet.3 Beschrieben sind zudem Interaktionen mit dem oralen Antikoagulanz Warfarin (COUMADIN, a-t 1994; Nr. 12: 120). Langzeitstudien zu etwaigen chronischen Effekten von Coenzym Q10 fehlen. Das damalige Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin (BgVV) hat 2001 Verträglichkeit und mögliche Risiken als "nicht ausreichend untersucht" eingestuft.3

∎  Ein klinischer relevanter Einfluss von CSE-Hemmern auf die Q10-Konzentrationen im Blut und in Muskelzellen lässt sich in den bislang vorliegenden Studien nicht erkennen. Daten zum Nutzen des Coenzyms bei Statin-assoziierter Myopathie sind spärlich und widersprüchlich.

∎  Insgesamt ist ein behandlungsbedürftiger Mangel an Coenzym Q10 nicht bekannt. Potenzielle Anwendungsrisiken sind unzureichend untersucht.

∎  Wir raten von der Einnahme der als Nahrungsergänzung angebotenen Substanz ab. Keinesfalls sollten CSE-Hemmer, deren morbiditäts- und mortalitätssenkender Nutzen in der Sekundärprävention atherosklerotischer Erkrankungen gesichert ist, wegen einer allenfalls hypothetisch relevanten Beeinflussung der Coenzym-Q10-Spiegel abgesetzt werden.

  (R = randomisierte Studie)
 1SCHAARS, C.F., STALENHOEF, A.F.H.: Curr. Opin. Lipidol. 2008; 19: 553-7
 2MARCOFF, L., THOMPSON, P.D.: J. Am. Coll. Cardiol. 2007; 49: 2231-7
 3BgVV: Ernährungsmedizinische Beurteilung von Werbeaussagen zu Coenzym Q10;
Stellungnahme vom 20. Apr. 2001
R4PÄIVÄ, C. et al.: Clin. Pharmacol. Ther. 2005; 78: 60-8
 5LAMPERTI, C. et al.: Arch. Neurol. 2005; 62: 1709-12
R6CASO, G. et al.: Am. J. Cardiol. 2007; 99: 1409-12
R7YOUNG, J.M.: et al.: Am. J. Cardiol. 2007; 100: 1400-3
 8McKENNEY, J.M. et al.: Am. J. Cardiol. 2006; 97 (Suppl): 89C-94C
 9PASTERNAK, R.C. et al.: Circulation 2002; 106: 1024-8

© 2010 arznei-telegramm, publiziert am 15. Januar 2010

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