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Therapiekritik

OHNE NUTZEN: KOMPRESSIONSSTRÜMPFE NACH SCHLAGANFALL

Venöse Thromboembolien sind häufige Komplikationen nach ischämischem Schlaganfall. Bei gezieltem Screening finden sich tiefe Venenthrombosen hier ähnlich häufig wie nach Hüft- oder Kniegelenkersatz.1 Behandlung mit Antikoagulanzien wie Heparin mindert das Thromboembolierisiko: Die Rate tiefer Venenthrombosen sinkt nach einer systematischen Übersicht von 44% auf 15% (Number needed to treat [NNT]= 3), die Rate symptomatischer Lungenembolien von 0,94% auf 0,60% (NNT = 294). Erneute ischämische Insulte werden durch die Therapie zwar auch gemindert. In etwa gleichem Ausmaß nehmen jedoch symptomatische intrakranielle Blutungen zu. Das Risiko schwerer extrakranieller Blutungen steigt unter der Behandlung ebenfalls, von 0,38% auf 1,27% (Number needed to harm [NNH] = 112).2 In nationalen und internationalen Leitlinien werden für immobilisierte3,4 beziehungsweise für Hochrisikopatienten5-7 zur Thromboembolieprophylaxe nach ischämischem Schlaganfall Low-dose-Heparin oder ein niedermolekulares Heparin empfohlen.

Kompressionsstrümpfe werden für Patienten mit Kontraindikationen für Antikoagulanzien3,4 oder auch generell zur Thromboembolieprophylaxe nach Schlaganfall empfohlen.7 Im Unterschied zu chirurgischen Patienten ist ein präventiver Nutzen der Strümpfe bei Schlaganfallpatienten jedoch nicht hinreichend belegt.8 In der einzigen bislang vorliegenden Studie mit 98 Teilnehmern ergibt sich nur eine nicht signifikante Minderung tiefer Venenthrombosen.9

Aktuell wird die erste der drei randomisierten multizentrischen CLOTS*-Studien vorgelegt, in denen der Nutzen von Kompressionsmethoden zur Thromboembolieprophylaxe nach Schlaganfall untersucht wird. In der offen durchgeführten CLOTS-1-Studie10 werden individuell angepasste Oberschenkelkompressionsstrümpfe als Zusatz zur Standardversorgung mit Standardversorgung allein verglichen. 2.518 Patienten, die wegen eines akuten immobilisierenden Schlaganfalls stationär aufgenommen werden, nehmen teil. Patienten mit peripherer Gefäßkrankheit und solche mit Neuropathie, bei denen Hautschäden durch die Strümpfe befürchtet werden, sind ausgeschlossen. Der Hersteller, Tyco Health Care (USA), stellt die Strümpfe zur Verfügung und schult das Studienpersonal in ihrer Anpassung. Die Strümpfe sollen getragen werden, bis die Patienten sich entweder unabhängig auf der Station bewegen können, sie entlassen werden, sich weigern, die Strümpfe zu tragen, oder bis Bedenken aufkommen wegen möglicher Hautschäden. Primärer Endpunkt sind definitive oder wahrscheinliche, mithilfe der Kompressions-Doppler-Sonographie gescreente asymptomatische oder symptomatische tiefe Thrombosen der Popliteal- oder Femoralvenen innerhalb von 30 Tagen nach Randomisierung. Vor den Screeninguntersuchungen werden die Strümpfe ausgezogen, um eine verblindete Endpunkterhebung zu gewährleisten.10

* CLOTS = Clots in Legs Or Stockings after Stroke

Knapp 80% der Patienten in der Interventionsgruppe tragen die Strümpfe 14 Tage lang (sofern nicht vorher unabhängig gehfähig, entlassen oder verstorben), 73% bis Studienende. Auf die Thromboembolierate haben die Kompressionsstrümpfe keinen signifikanten Einfluss: Proximale tiefe Venenthrombosen werden innerhalb von 30 Tagen in der Interventionsgruppe bei 126 (10,0%) der Patienten entdeckt, in der Kontrollgruppe bei 133 (10,5%; Odds Ratio [OR] 0,98; 95% Konfidenzintervall [CI] 0,76-1,27). Lungenembolien finden sich bei 1% bzw. 1,6% (OR 0,65; 95% CI 0,32-1,31). Unerwünschte Effekte an der Haut einschließlich Blasen, Ulzera und Nekrosen kommen mit 5,1% versus 1,3% unter den Strümpfen jedoch signifikant häufiger vor (NNH = 26). Da die Störwirkungen nicht verblindet erhoben wurden, können die Daten allerdings verzerrt sein. Numerisch nehmen auch Ischämien und Amputationen im Bereich der unteren Extremität unter den Kompressionsstrümpfen zu (0,6% vs. 0,2%).10

∎  Der Nutzen von Kompressionsstrümpfen zur Thromboembolieprophylaxe nach Schlaganfall war bislang unzureichend geprüft.

∎  In der großen randomisierten multizentrischen CLOTS-1-Studie bleibt ein Effekt von Kompressionsstrümpfen auf die Rate tiefer Venenthrombosen oder Lungenembolien bei Patienten nach akutem immobilisierenden Schlaganfall aus.

∎  Die Anwendung der Kompressionsstrümpfe geht signifikant häufiger mit Hautschäden einher.

∎  Beim jetzigen Kenntnisstand sollte auf die Anwendung der Strümpfe bei Schlaganfallpatienten verzichtet werden.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaannalyse)
 1KAMPHUISEN, P.W. et al.: J. Thromb. Haemost. 2005; 3: 1187-94
M2SANDERCOCK, P.A.G. et al.: Anticoagulants for acute ischaemic stroke. The Cochrane Database of Systematic Reviews 2009, Issue 2; Stand Jan. 2008
 3ALBERS, G.W. et al.: Chest 2008; 133: S630-S669
 4ADAMS, H.P. et al.: Stroke 2007; 38: 1655-711
 5Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Akuttherapie des ischämischen Schlaganfalls, Stand Mai 2009
http://www.dgn.org/images/stories/dgn/leitlinien/LL2008/ll08kap_023.pdf
 6Scottish Intercollegiate Guidelines Network: Management of patients with stroke or TIA: assessment, investigation, immediate management and secondary prevention. A national clinical guideline, Dez. 2008
http://www.sign.ac.uk/pdf/sign108.pdf
 7European Stroke Organization: Guidelines for Management of Ischaemic Stroke and Transient Ischaemic Attack, Stand März 2008
http://www.eso-stroke.org/pdf/ESO%20Guidelines_update_Jan_2009.pdf
M8RODERICK, P. et al.: Health Technol. Assess. 2005; 9, Nr. 49
http://www.hta.ac.uk/fullmono/mon949.pdf
R9MUIR, K.W. et al.: Q. J. Med. 2000; 93: 359-64
R10The CLOTS Trials Collaboration: Lancet 2009; 373: 1958-65

© 2009 arznei-telegramm, publiziert am 3. Juli 2009

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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