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Korrespondenz

FONDAPARINUX (ARIXTRA) ZUR THROMBOSEPROPHYLAXE?

Seit etwa einem halben Jahr werde ich ziemlich massiv durch einen Mitarbeiter der Firma GlaxoSmithKline gedrängt, Fondaparinux (ARIXTRA) statt eines niedermolekularen Heparins zur postoperativen Thromboseprophylaxe einzusetzen. Wie schätzen Sie die Wirksamkeit von Fondaparinux ein? Ist sie wirklich dem niedermolekularen Heparin überlegen, wie zum Beispiel die EPHESUS-Studie Glauben machen will?

Dr. med. W.-D. SEIFERT (Facharzt für Chirurgie)
D-28359 Bremen
Interessenkonflikt: keiner

Das antithrombotisch wirksame Pentasaccharid Fondaparinux (ARIXTRA) hemmt selektiv den aktivierten Faktor X. Anders als Heparine hat es keine Wirkung auf Thrombin. Bei Markteinführung war Fondaparinux zunächst nur zur Thromboembolieprophylaxe bei großen orthopädischen Eingriffen zugelassen (a-t 2002; 33: 36-7). Mittlerweile umfassen die Anwendungsgebiete auch die Prophylaxe nach abdominellen Eingriffen bei hohem Thromboserisiko und bei gefährdeten internistischen Patienten sowie akutes Koronarsyndrom und ST-Hebungsinfarkt (a-t 2006; 37: 40-1).1

In den zulassungsrelevanten Studien zur Thromboseprophylaxe bei orthopädischen Operationen, nach Baucheingriffen sowie bei internistischen Patienten wird als primärer Endpunkt jeweils die Gesamtzahl thromboembolischer Ereignisse (Beinvenenthrombosen plus Lungenembolien) innerhalb von 11 bis 14 Tagen erfasst. Dabei ist eine routinemäßige Phlebographie nach Abschluss der Behandlung (bei Symptomen entsprechend früher) vorgesehen, um auch asymptomatische Ereignisse zu berücksichtigen. Symptomlose Thrombosen, die die Mehrzahl der erfassten Thromboembolien ausmachen, sind jedoch von fraglicher klinischer Relevanz. Die Zahl der symptomatischen oder tödlichen Ereignisse ist gering, zur Erkennung statistisch signifikanter Unterschiede sind die Studien zu klein. Die Arbeiten sind zudem in ihrer Validität eingeschränkt, da zwischen 20% und 30% der Patienten nicht in die Auswertung eingehen. Sie verweigern die Phlebographie oder diese ist nicht auswertbar.

Zur Anwendung als postoperative Thromboseprophylaxe bei großen orthopädischen Operationen liegen vier Studien2-5 vor, davon zwei zu elektivem Hüftgelenkersatz (EPHESEUS*, PENTATHLON*)2,3 sowie jeweils eine bei Patienten mit Kniegelenkersatz (PENTAMAKS*)4 und Hüftfrakturen (PENTHIFRA*).5 Die Arbeiten sind sehr ähnlich konzipiert, um sie gemeinsam im Rahmen einer Metaanalyse6 auswerten zu können. Jeweils 2,5 mg Fondaparinux täglich werden mit dem niedermolekularen Heparin Enoxaparin** (CLEXANE) verglichen.

In der firmengesponserten Metaanalyse6 wird bei Auswertung von 5.385 der 7.344 randomisierten Patienten (zu 1959 symptomlosen Teilnehmern gibt es keine Phlebographiedaten) eine "mehr als 50%ige" Reduktion thromboembolischer Ereignisse im Vergleich zu Enoxaparin herausgestellt (6,5% versus 13,5%). Allerdings beruht der Vorteil im Wesentlichen auf der geringeren Zahl distaler Venenthrombosen (5,2% vs. 10,8%). Nahezu alle Ereignisse sind zudem symptomlos. Symptomatische Thrombosen sind unter Fondaparinux numerisch sogar häufiger erfasst (0,6 vs. 0,4%). Die Inzidenz von Lungenembolien ist in beiden Gruppen identisch (0,3%) und unterscheidet sich - wie auch die Gesamtmortalität - im weiteren Verlauf bis Tag 49 nicht. Die Ergebnisse können zudem zugunsten von Fondaparinux verzerrt sein, da in zwei der Studien die Prophylaxe mit Enoxaparin im Mittel deutlich später als mit Fondaparinux begonnen wird (20 bis 21 Stunden vs. 6 bis 7 Stunden postoperativ).7

Blutungsereignisse treten unter Fondaparinux häufiger auf (schwere Blutungen: 2,7% vs. 1,7%). In keiner der Studien kommt es zu einer immunologischen Heparin-induzierten Thrombozytopenie Typ II (HIT II).6

Die Zulassung zur postoperativen Prophylaxe nach abdominellen Eingriffen mit hohem Thromboserisiko beruht auf den Daten einer Studie, in der Tagesdosierungen von 2,5 mg Fondaparinux mit 5.000 Einheiten des niedermolekularen Heparins Dalteparin (FRAGMIN) bei 2.927 Patienten verglichen werden.8 Die Mehrzahl der Operationen (69%) erfolgt wegen eines Krebsleidens, 56% sind Dickdarmeingriffe. Während der laufenden Studie wird die Methodik modifiziert: Da weniger Thrombosen auftreten als erwartet, wird die ursprünglich geplante Überlegenheitsanalyse gestrichen. Stattdessen wird - methodisch fragwürdig - lediglich die "Nichtunterlegenheit" von Fondaparinux geprüft. Dabei wird sogar dann noch von Nichtunterlegenheit ausgegangen, wenn unter Fondaparinux eine 1,7fach höhere Thromboserate als unter Dalteparin auftreten würde. Dies ist aus klinischer Sicht inakzeptabel.

Das veränderte Studienziel wird entsprechend leicht erreicht: Die Gesamtrate der thrombotischen Ereignisse ist unter Fondaparinux in der für Nichtunterlegenheitsstudien geforderten protokollgerecht behandelten Population etwas geringer als unter Dalteparin (4,4% vs. 5,8%). Der Nutzen geht jedoch wiederum fast ausschließlich zu Gunsten asymptomatischer peripherer Thrombosen. Symptomatische Ereignisse sind insgesamt selten (0,5% vs. 1,0%). Blutungen kommen unter Fondaparinux häufiger vor als unter dem niedermolekularen Heparin (5,6% vs. 4,0%; schwere Blutungen: 3,4% vs. 2,4%). Innerhalb eines Monats sind tödliche Blutungen unter Fondaparinux seltener (0,1% vs. 0,4%), während die Zahl notwendiger Reoperationen aufgrund von Blutungen höher ist (1,6% vs. 0,8%).8

Seit 2005 ist auch Fondaparinux - ähnlich wie Dalteparin und Enoxaparin - zur Prophylaxe bei internistischen Erkrankungen mit erhöhtem Thromboserisiko aufgrund einer akuten Erkrankung wie Herzinsuffizienz, Atemwegserkrankungen oder akuter entzündlicher Erkrankung wie schwere Infektionen oder Autoimmunerkrankungen zugelassen. Auch diese Indikationserweiterung beruht auf den Daten lediglich einer Studie, in der täglich 2,5 mg Fondaparinux bei Patienten über 60 Jahren mit Plazebo verglichen wird.10 Der Vergleich mit Plazebo muss aufgrund der zu Studienbeginn bereits vorhandenen Nutzenbelege für eine Thromboseprophylaxe als ethisch fragwürdig angesehen werden. Innerhalb von zwei Wochen tritt unter Fondaparinux bei 5,6%, unter Plazebo bei 10,5% der Studienteilnehmer ein thromboembolisches Ereignis auf. Die meisten Ereignisse sind wiederum symptomlos. Symptomatische tiefe Beinvenenthrombosen treten nicht auf. Fünf Todesfälle in der Plazebogruppe werden auf eine Lungenembolie zurückgeführt (Fondaparinux: 0), allerdings wird die Diagnose nur bei zwei Patienten durch Autopsie gesichert. Blutungen kommen unter Fondaparinux häufiger vor als unter Plazebo (2,6% vs. 1,0%), schwere Blutungen sind selten (0,2% in beiden Gruppen). Nach einem Monat versterben in der Plazebogruppe 6%, unter Fondaparinux 3,3%.8

Die Datenlage zur Thromboseprophylaxe bei internistischen Patienten mit schweren akuten Erkrankungen ist, verglichen mit operativen Eingriffen, für alle antithrombotischen Maßnahmen dünner: Eine 2007 durchgeführte Metaanalyse9 findet lediglich neun randomisierte kontrollierte Studien zum Thema mit 20.000 Patienten. In den Arbeiten werden unfraktioniertes Heparin (CALCIPARIN, Generika), niedermolekulare Heparine und Fondaparinux verwendet. Nach dieser Analyse senkt die medikamentöse Prophylaxe gegenüber Plazebo oder Nichtbehandlung das Risiko für Lungenembolien relativ um 47% (absolute Risikoreduktion 0,29%, Number needed to treat: 345).

Bei immunologischer heparininduzierter Thrombozytopenie (Typ II) ist Fondaparinux nicht systematisch untersucht. Das Risiko für das Auftreten einer symptomatischen HIT II gilt aber trotz häufigen Nachweises von Antikörpern als gering. In der Literatur ist bislang ein Fall einer Thrombozytopenie mit thromboembolischen Komplikationen unter Fondaparinux beschrieben.11

Die Therapiekosten für Fondaparinux liegen bei Zugrundelegung der in klinischen Studien verwendeten Dosierungen (2,5 mg) mit 6 (/Tag auf gleichem Niveau wie bei Dalteparin (5.000 I.E.) und Enoxaparin (40 mg).

Bei der postoperativen Thromboseprophylaxe, sowohl nach großen orthopädischen Eingriffen als auch nach abdominellen Operationen, ist ein klinisch relevanter Vorteil (symptomatische Thrombosen, Lungenembolien, Mortalität) des Pentasaccharids Fondaparinux (ARIXTRA) gegenüber niedermolekularen Heparinen nicht belegt.

 Daten zum Nutzen bei internistischen Patienten liegen lediglich aus einer ethisch fragwürdigen Plazebovergleichsstudie vor, in der fast ausschließlich asymptomatische Thrombosen reduziert werden. Ein Trend zu einer Senkung der Mortalität zeichnet sich in der Studie ab. Direkte Vergleiche mit Heparinen fehlen jedoch

Blutungen, auch schwere, treten unter Fondaparinux häufiger auf als unter niedermolekularen Heparinen.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1GlaxoSmithKline: Fachinformation ARIXTRA, Stand Okt. 2007
R2TURPIE, A.G.G. et al.: Lancet 2002; 359: 1721-6
R3LASSEN, M.R. et al.: Lancet 2002; 359: 1715-20
R4BAUER, K.A. et al.: N. Engl. J. Med. 2001; 345: 1305-10
R5ERIKSSON, B.I. et al.: N. Engl. J. Med. 2001; 345: 1298-304
M6TURPIE, A.G.G. et al.: Arch. Intern. Med. 2002; 162: 1833-40
 7FDA/CDER: Medical Review ARIXTRA, Stand Juli 2001
http://www.fda.gov/cder/foi/nda/2001/21-345_Arixtra.htm
R8AGNELLI, G. et al.: Br. J. Surg. 2005; 92: 1212-20
M9DENTALI, F. et al.: Ann. Intern. Med. 2007; 146: 278-88
R10COHEN, A.T. et al.: BMJ 2006; 332: 325-9
 11WARKENTIN, T.E. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 356: 2653-4
* EPHESUS = European Pentasaccharide Hip Elective Surgery Study Group;
PENTAMAKS = PENTAsaccharide in MAjor Knee Surgery;
PENTATHLON = PENTAsaccharide, Total Hip LOw molecular weight HepariN;
PENTHIFRA = PENTasaccharide in HIp-FRActure Surgery
** Enoxaparin wird in "landesüblichen" Dosierungen gegeben: 2 x 30 mg in Nordamerika, Beginn 12-24 Std. nach Operation; 1 x 40 mg in Europa, Beginn 12 Std. vor Operation. Patienten mit rückenmarksnaher Anästhesie erhalten das Heparin jedoch in der Regel erst postoperativ.

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 18. April 2008

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