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Nebenwirkungen

BOTULINUMTOXIN (BOTOX U.A.): TODESFÄLLE AUCH BEI KINDERN

In Europa warnten die Behörden 2007 vor Muskelschwäche, wochenlang anhaltender Dysphagie und Aspiration mit Pneumonie nach Gebrauch des Nervengiftes Botulinumtoxin (Typ A: BOTOX u.a., Typ B: NEUROBLOC). Die Ausbreitung des Toxins in Gewebe außerhalb des Injektionsgebietes trägt zu den zum Teil lebensbedrohlichen Komplikationen bei (a-t 2007; 38: 88). Nachdem in den USA die Verbraucherorganisation Public Citizen die US-amerikanische Arzneimittelbehörde unter Druck gesetzt hat,1 reagiert auch die FDA. Sie ist besonders beunruhigt über schwere Schluckstörungen, Beatmungspflicht und Todesfälle bei Kindern, die Botulinumtoxin zur Behandlung von Spastik bei infantiler Zerebralparese erhalten haben.2,3 Die Behörde betont, dass von den Folgen der Toxinausbreitung auch Patienten betroffen sind, die nicht unter den bisher als Risikofaktoren angesehenen neuromuskulären Erkrankungen leiden. Die Gefährdung nimmt unter hohen Dosierungen zu. Problematisch erscheint daher, dass seit den 1990er Jahren Kinder zunehmend höher dosierte Injektionen erhalten. Außerdem werden bei infantiler Zerebralparese oft mehrere spastische Muskelgruppen Off-Label jenseits der für die Indikation Spitzfußstellung zugelassenen Bereiche behandelt. Bei ausgeprägter Spastik wird es offenbar als hilfreich angesehen und möglicherweise sogar einkalkuliert, dass sich das Toxin ausbreitet.4 Auch die deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN), die einen eigenen Arbeitskreis Botulinumtoxin eingerichtet hat, ist sich dieser Gefahr bewusst: "Insbesondere bei hochdosierter Gabe (z.B. Behandlung der Spastik) kann es durch lokale Diffusion oder ungewollten systemischen Übertritt innerhalb 2-14 Tagen zum Auftreten eines iatrogenen Botulismus" kommen.5

Schwere Störwirkungen sind aber bei verschiedenen Anwendungen auch nach Injektion geringer Toxinmengen aufgetreten. Nach bisheriger Einschätzung gibt es daher keine sichere Dosis. Auch bei kosmetischer Indikation, für die in der Regel relativ geringe Toxinmengen verwendet werden, ist Toxinausbreitung beschrieben.2,3 Zwar ist das Nervengift nur zur Injektion in "Zornesfalten" zwischen den Augenbrauen zugelassen (z.B. VISTABEL), doch wird es auch verwendet, um andere Falten im Gesichts- und Halsbereich zu glätten. Gerade aber bei Injektionen im Halsbereich sind wegen der anatomischen Nähe Beeinträchtigungen der Koordination des Schluckreflexes oder der Atemmuskulatur zu befürchten.

Die FDA nennt in ihrer vorläufigen Mitteilung keine aktuellen Zahlen zu Todesfällen nach Toxinausbreitung.2,3 FDA-Mitarbeiter haben aber bereits vor drei Jahren 28 Todesfälle unter Botulinumtoxin bei Patienten zwischen 3 und 91 Jahren beschrieben.6

Von einer beträchtlichen Dunkelziffer wird ausgegangen. Gerade bei kosmetischem bzw. Off-label-Gebrauch ist zu befürchten, dass Komplikationen unzureichend gemeldet werden. Und das Geschäft boomt: Allein der Umsatz des Botulinumtoxin-A-Präparates BOTOX hat sich zwischen 1993 und 2003 auf über 560 Millionen Dollar verzwanzigfacht.7 Dabei bleibt die Aufklärung über potenzielle Risiken nicht nur bei den so genannten BOTOX-Partys auf der Strecke. Dies gilt auch für "Informationen" von Kliniken aus dem Internet nach dem Motto: "In der korrekten Dosierung ist BOTOX für den Menschen ungefährlich".8

 1Scrip 2008; Nr. 3335, Seite 18
 2FDA: Early Communication about an Ongoing Safety Review BOTOX and BOTOX Cosmetic and MYOBLOC http://www.fda.gov/cder/drug/early_comm/botulinium_toxins.htm
 3Transcript: U.S. Food and Drug Administration Media Teleconference, 8. Febr. 2008 http://www.fda.gov/bbs/transcripts/2008/botox_transcript020808.pdf
 4KINNETT, D.K.: Am. J. Phys. Med. Rehabil. 2004; 83 (10 Suppl.): S59-S64
 5Deutsche Gesellschaft für Neurologie: Botulismus http://www.dgn.org/225.0.html
 6COTÉ, T.R. et al: Am. Acad. Dermatol. 2005; 53: 407-15
 7SIEBENAND, S.: Pharm. Ztg. 2005; 150, Nr. 51/52: 26-7
http://www.pharmazeutische-zeitung.de/index.php?id=516&type=1
 8Clinic im Centrum Berlin: http://www.clinic-im-centrum.de/botox-berlin/ botox-berlin.html

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 14. März 2008

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