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Therapiekritik

NICHT VERORDNEN: EZETIMIB (EZETROL U.A.) NACH WIE VOR OHNE NUTZENBELEGE

Unter großem öffentlichen und politischen Druck haben die Firmen Merck & Co und Schering-Plough (USA*) Mitte Januar die Ergebnisse der ENHANCE**-Studie mit ihrem Lipidsenker Ezetimib (EZETROL) bekannt gegeben. Die Studie ist bereits seit April 2006 abgeschlossen. Sie prüft den Einfluss der Kombination von Ezetimib mit Simvastatin (INEGY) auf die Wanddicke der Halsschlagader bei 720 Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie. Wie die Firmen jetzt einräumen, verhindert der Zusatz von Ezetimib trotz stärkerer LDL-Senkung die Bildung atherosklerotischer Plaques nicht besser als Simvastatin (ZOCOR, Generika) allein (mittlerer Zuwachs um 0,0111 mm [E+S] vs. 0,0058 mm [S]). Die monatelange Verzögerung und die jetzt bekannt gewordenen negativen Ergebnisse begründen den Verdacht, dass die Daten bewusst unter Verschluss gehalten wurden, um den Absatz des Mittels nicht zu gefährden. Mit Monopräparat und Fixkombination sollen 2007 weltweit zusammen 5 Milliarden Dollar umgesetzt worden sein. Bereits seit Dezember 2007 untersucht eine Kommission des US-amerikanischen Repräsentantenhauses den Fall. Der Eindruck eines manipulativen Umgangs mit den Studiendaten wird verstärkt durch den Versuch der Firmen, noch im November 2007 den primären Endpunkt der Studie abzuändern. Auch fällt auf, dass der Direktor der pharmazeutischen Abteilung von Schering-Plough, Carrie COX, in der Zeit zwischen Studienende im April 2006 und Bekanntgabe der Ergebnisse im Januar 2008 einen großen Teil seiner Schering-Plough-Aktien verkauft hat. Die Firma bestreitet, dass dies in Kenntnis der Ergebnisse geschah. Anonyme Einträge auf einer Homepage für Pharmareferenten (cafepharma.com) vom März, Juni und November 2007 sprechen aber dafür, dass die Daten innerhalb der Firmen damals schon bekannt waren. Inzwischen ermitteln auch Staatsanwälte.1-8

Bei der Wanddicke der Arteria carotis handelt es sich um einen Surrogatparameter für atherosklerotische Erkrankungen. Klinische Ereignisse unterscheiden sich in der ENHANCE-Studie aber ebenfalls nicht, mit numerisch höheren Raten unter der Kombination im Vergleich zu Simvastatin allein (Herzinfarkt bei 2 von 357 vs. 1 von 363 Patienten, Schlaganfall bei jeweils einem, Revaskularisationen bei 6 vs. 5 und kardiovaskulärer Tod bei 2 vs. 1).9 Für diese Frage war die Studie allerdings nicht ausgelegt. Sie ist daher nur bedingt aussagekräftig. Die Ergebnisse erinnern aber daran, dass auch fünf Jahre nach Markteinführung völlig unklar ist, was mit dem zunehmend verordneten Ezetimib außer einer Senkung des LDL-Cholesterins überhaupt erreicht wird. Der klinische Nutzen des Cholesterin-Resorptionshemmers ist nicht bekannt. Andererseits sind aber in Langzeitextensionsstudien, die der US-amerikanischen Zulassung der Fixkombination INEGY zugrunde liegen, relevante Transaminasenanstiege und zumeist operativ behandelte Gallenblasenerkrankungen unter Zusatz von Ezetimib häufiger als unter Statin allein.10 Eine Häufung von Cholezystektomien wegen Gallensteinen ist auch von dem überholten Lipidsenker Clofibrat (außer Handel: REGELAN) bekannt (a-t 1991; Nr. 12: 111-5).11

Wie das Beispiel von Clofibrat zeigt, das in einer von zwei großen Interventionsstudien ohne Einfluss auf die Sterblichkeit bleibt, in der zweiten die Sterblichkeit sogar signifikant steigert,12 lässt sich auf der Basis des cholesterinsenkenden Effekts eines Arzneimittels ein klinischer Nutzen nicht zuverlässig vorhersagen. Dennoch bildet der Surrogatparameter nicht nur nach wie vor die Grundlage von Zulassungen wie beispielsweise für Ezetimib. Auch die Therapieempfehlungen in internationalen Leitlinien orientieren sich daran.13-15 Die in den Leitlinien empfohlenen LDL-Zielwerte lassen sich aus den vorliegenden Endpunktstudien mit Lipidsenkern nicht ableiten, auch nicht aus den in jüngster Zeit publizierten direkten Vergleichen einer intensivierten Statintherapie mit herkömmlicher Dosierung (PROVE-IT, TNT, IDEAL, A bis Z)16-19***. Ein Vorteil dieser intensivierten Therapie lässt sich in zwei der vier Studien gar nicht,17,19 in einer dritten wegen erheblicher Studienmängel nicht zuverlässig belegen.16,20 In der vierten Studie wird die geminderte kardiovaskuläre Sterblichkeit unter intensivierter Therapie durch Zunahme der nichtkardiovaskulären Todesfälle mehr als aufgewogen.18 Auf die Sterblichkeit der Patienten hat diese Therapie in keiner Studie einen nachgewiesenen Einfluss (a-t 2004; 35: 94 und 2005; 36: 41-2, 86-7, 111). Ein mortalitätssenkender Effekt ist unter allen Lipidsenkern nur für Simvastatin und Pravastatin (PRAVASIN, Generika) in Standarddosierungen belegt. Der klinische Nutzen von Simvastatin ist darüber hinaus nach den Ergebnissen der HPS***-Studie21 unabhängig vom Ausmaß der LDL-Senkung. Dessen ungeachtet wurden die in Leitlinien empfohlenen LDL-Zielwerte in den vergangenen Jahren noch weiter nach unten korrigiert. Bei sehr hohem Risiko soll nach europäischen Leitlinien inzwischen ein LDL unter 80 mg/dl angestrebt werden, in amerikanischen Leitlinien wird für diese Patienten ein LDL-Zielwert unter 70 mg/ dl empfohlen.14,15 Um diese Ziele zu erreichen, werden hohe Statindosierungen oder Kombinationen mit Lipidsenkern wie Ezetimib empfohlen.13-15

Die im November 2007 publizierte randomisierte kontrollierte ILLUMINATE***-Studie22 mit dem nicht zugelassenen Wirkstoff Torcetrapib, dessen Entwicklung inzwischen gestoppt wurde, demonstriert erneut die Gefährlichkeit des Konzepts der Orientierung therapeutischer Empfehlungen an Surrogatparametern. 15.067 Patienten mit Typ-2-Diabetes oder kardiovaskulären Erkrankungen wie Herzinfarkt in der Vorgeschichte, deren LDL in einer Run-in-Phase mit Atorvastatin (SORTIS) auf unter 100 mg/dl gesenkt wird, nehmen zusätzlich zu Atorvastatin Torcetrapib oder Plazebo ein. Torcetrapib hemmt das so genannte Cholesterinester-Transferprotein (CETP), das Cholesterin von dem erwünschten HDL auf andere Lipoproteine überträgt, darunter das unerwünschte LDL. Trotz der erwarteten Steigerung des mittleren HDL-Wertes um 72% und der Senkung der mittleren LDL-Konzentration um 25% hat Torcetrapib nicht nur keinen klinischen Nutzen, es steigert im Gegenteil Morbidität und Mortalität der Patienten im Vergleich zu Atorvastatin allein signifikant und klinisch relevant. Der primäre Endpunkt, eine Kombination aus koronar bedingtem Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall und Krankenhausaufnahme wegen instabiler Angina pectoris, nimmt von 5% unter Atorvastatin auf 6,2% unter der Kombination zu (Hazard Ratio [HR] 1,25; 95% Vertrauensbereich [CI] 1,09-1,44). Die Gesamtsterblichkeit steigt von 0,8% auf 1,2% (HR 1,58; 95% CI 1,14-2,19). Als Ursachen werden unter anderem toxische Effekte wie Aldosteronzunahme mit Blutdrucksteigerung diskutiert.22

Die Erfahrungen mit Torcetrapib reihen sich ein in eine Vielzahl von Studien, in denen die klinischen Ergebnisse mit einem Arzneimittel dem widersprechen, was auf der Basis von Surrogatparametern erwartet wurde. Wohl bekanntestes Beispiel ist die CAST****-Studie mit Flecainid (TAMBOCOR, Generika), das maligne Rhythmusstörungen bei Herzinfarktpatienten zwar unterdrückt, ihre Sterblichkeit aber steigert (a-t 1992; Nr. 6: 54-6). Das Antidiabetikum Rosiglitazon (AVANDIA) senkt das HbA1c bei Typ-2-Diabetes, erhöht jedoch nach Metaanalysen randomisierter kontrollierter Studien das Herzinfarktrisiko (a-t 2007; 38: 61-2). Dass LDL-Senkung nicht automatisch einen klinischen Nutzen beinhaltet, zeigt neben Clofibrat nicht zuletzt auch die Erfahrung mit Sexualhormonen nach den Wechseljahren (a-t 2002; 33: 81-3).

Trotz der fehlenden klinischen Nutzen- und Sicherheitsbelege für Ezetimib schnellen die Verordnungszahlen der Fixkombination INEGY in die Höhe: 2006 haben die Verkäufe über öffentliche Apotheken gegenüber 2005 um 50% zugenommen. INEGY gehört zu den teuren Neuerungen, die mit Hilfe groß angelegter Anwendungsbeobachtungen in den Markt gedrückt werden.23 Mit monatlich 55 € bis 75 € kostet INEGY das Fünf- bis Siebenfache eines preiswerten Simvastatingenerikums (40 mg; 11 €/Monat). Solange der klinische Nutzen nicht belegt ist, raten wir von der Anwendung von Ezetimib ab. Bei der Mehrzahl der Patienten mit Indikation für einen Lipidsenker, z.B. wegen Zustands nach Herzinfarkt, ist Simvastatin in Standarddosierung Mittel der Wahl. Eine Therapiekontrolle durch LDL-Bestimmung erübrigt sich hierbei (a-t 2002; 33: 83-4).24 Aber auch für Patienten mit familiären Formen der Hypercholesterinämie erscheint uns Ezetimib beim gegenwärtigen Kenntnisstand nur noch im Rahmen von Studien gerechtfertigt.

Von dem Cholesterin-Resorptionshemmer Ezetimib (EZETROL, in INEGY), der das LDL-Cholesterin senkt, ist auch sechs Jahre nach Markteinführung nicht bekannt, ob er einen klinischen Nutzen hat.

Trotz stärkerer LDL-Senkung wird die Wanddicke der Halsschlagader, ein Surrogatparameter für atherosklerotische Erkrankungen, nach jetzt bekannt gewordenen Ergebnissen der ENHANCE-Studie durch Zusatz von Ezetimib nicht besser beeinflusst als durch Simvastatin (ZOCOR, Generika) allein.

Wie eine Vielzahl randomisierter kontrollierter Studien mit klinischen Endpunkten, zuletzt die ILLUMINATE-Studie mit Torcetrapib, zeigt, kann von Effekten eines Arzneimittels auf Surrogatparameter wie LDL-Senkung nicht zuverlässig auf einen klinischen Nutzen geschlossen werden.

Solange keine klinischen Nutzenbelege vorliegen, sehen wir für das teure Ezetimib keine Indikation.

  (R = randomisierte Studie, M = Metaanalyse)
 1BERENSON, A.: New York Times vom 21. Nov. 2007
 2DINGELL, J.D., STUPAK, B. (US House of Representatives, Committee on Energy and Commerce): Schreiben an Merck und Schering Plough vom 11. Dez. 2007
 3BERENSON, A.: New York Times vom 15. Jan. 2008
 4Editorial: New York Times vom 16. Jan. 2008
 5Scrip 2008; Nr. 3328: 20
 6Scrip 2008; Nr. 3330: 13
 7Scrip 2008; Nr. 3332: 15
 8RICHWINE, L.: Reuters vom 11. Febr. 2008
 9Merck/Schering-Plough Pharmaceuticals Provides Results of the ENHANCE Trial, 14. Jan. 2008 http://www.merck.com/newsroom/press_releases/product/2008_0114.html
 10FDA: Medical Review VYTORIN (Ezetimibe + Simvastatin), Juli 2004
R11Committee of Principal Investigators: Br. Heart J. 1978; 40: 1069-118
M12BUCHER, H.C. et al.: Arterioscler. Thromb. Vasc. Biol. 1999; 19: 187-95
 133rd Report of the National Cholesterol Education Program (NCEP). Expert Panel on: Detection, Evaluation, and Treatment of High Blood Cholesterol in Adults (Adult Treatment Panel III) Final Report, September 2002
 14GRUNDY, S.M. et al.: J. Am. Coll. Cardiol. 2004; 44: 720-32
 15European Society of Cardiology et al.: Eur. J. Cardiovasc. Prev. Rehabil. 2007; 14 (Suppl. 2): E1-E40
R16CANNON, C.P. et al.: N. Engl. J. Med. 2004; 350: 1495-504
R17DE LEMOS, J.A. et al.: JAMA 2004; 292: 1307-16
R18LAROSA, J.C. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 352: 1425-35
R19PEDERSEN, T.J. et al.: JAMA 2005; 294: 2437-45
 20Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Nutzenbewertung der Statine unter besonderer Berücksichtigung von Atorvastatin, 15. Aug. 2005; zu finden über http://www.iqwig.de
R21HPS Collaborative Group: Lancet 2002; 360: 7-22
R22BARTER, P.J. et al.: N. Engl. J. Med. 2007; 357: 2109-22
 23GRILL, M.: Stern 5/2007
 24DONNER-BANZHOFF, N., SÖNNICHSEN, A.: BMJ 2008; 336: 288-9
* Hierzulande MSD und Essex Pharma
** ENHANCE = Effect of Combination Ezetimibe and High-Dose Simvastatin vs. Simvastatin Alone on the Atherosclerotic Process in Patients with Heterozygous Familial Hypercholesterolemia
*** HPS = Heart Protection Study,
IDEAL = Incremental Decrease in Endpoints Through Aggressive Lipid Lowering,
ILLUMINATE = Investigation of Lipid Level Management to Understand its Impact in Atherosclerotic Events,
PROVE IT = Pravastatin or Atorvastatin Evaluation and Infection Therapy,
TNT = Treating to New Targets
**** CAST = Cardiac Arrhythmia Suppression Trial

© 2008 arznei-telegramm, publiziert am 15. Februar 2008

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