Seit 1. März ist mit Vareniclin (CHAMPIX) ein neues Mittel zur
Nikotinentwöhnung im Handel. Der partielle Nikotin-Azetylcholin-Rezeptor-Agonist soll "die typischen Entzugserscheinungen mindern und als gleichzeitiger
Antagonist die Belohnungseffekte des Nikotins abschwächen".1 Bislang stehen zur Unterstützung eines Rauchstopps im Wesentlichen
zwei Therapieprinzipien zur Verfügung: Nikotinersatz, z.B. mittels Pflaster oder Kaugummi (NICOTINELL u.a.), erhöht in einem Cochrane-Review die
Chance, mindestens sechs Monate mit dem Rauchen aufzuhören, auf das 1,5- bis 2fache (17% versus 10% in den Kontrollgruppen; Odds Ratio [OR] für
verschiedene Formen des Nikotinersatzes gepoolt 1,77; 95% Konfidenzintervall [CI] 1,66-1,88).2 Als ähnlich wirksam hat sich in einer weiteren
Metaanalyse der Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion (ZYBAN; a-t 2002; 33: 47-8) erwiesen
(19% versus 10%; OR 1,94; 95% CI 1,72-2,19).3 Für alternative Behandlungsmethoden wie Akupunktur oder Hypnose fehlen hinreichende
Nutzenbelege.4
EIGENSCHAFTEN: Inhaliertes Nikotin aktiviert neuronale (4αβ2-nikotinerge Azetylcholin-Rezeptoren und stimuliert so das
zentralnervöse mesolimbische Dopaminsystem, das für die suchterzeugenden Effekte verantwortlich sein soll. Vareniclin bindet an diesen Rezeptor,
stimuliert ihn aber deutlich geringer.5,6 Die Bindung soll ausreichen, um Symptome des Rauchverlangens und des Entzugs zu lindern (agonistische
Wirkung), andererseits aber bei gleichzeitigem Nikotinkonsum die Bindung von Nikotin blockieren und dadurch den Rauchgenuss reduzieren (antagonistische
Wirkung).6 Darüber hinaus bindet Vareniclin in geringerem Ausmaß an andere Nikotinrezeptoren sowie an den Serotonin-Rezeptor-Subtyp 5-
HT3.5,6
WIRKSAMKEIT: Zwei identisch angelegte, mit maßgeblicher Beteiligung des Herstellers durchgeführte Phase-III-Studien sollen den Nutzen
von Vareniclin (1 mg zweimal täglich, auftitriert über sieben Tage) sowohl im Vergleich zu Plazebo als auch gegenüber Bupropion (300 mg
täglich nach Titration) belegen.7,8 Eingeschlossen sind 2.049 im Wesentlichen gesunde Personen zwischen 18 und 75 Jahren (im Mittel 42 bis 44
Jahre alt), die mindestens zehn Zigaretten täglich (im Mittel 22 Zigaretten/Tag) und seit durchschnittlich 24 bis 27 Jahren rauchen. Mehr als 85% der Teilnehmer
haben zuvor mindestens einmal ernsthaft versucht, mit dem Rauchen aufzuhören.9 Frühere Einnahme von Bupropion ist jedoch ein
Ausschlusskriterium.7,8 Während der zwölfwöchigen Behandlungsphase und der Nachbeobachtung über weitere 40 Wochen ist
regelmäßige psychologische Unterstützung vorgesehen. Primärer Endpunkt ist kontinuierliche Abstinenz während der letzten vier
Wochen der Medikamenteneinnahme (Woche 9 bis 12, Ergebnisse siehe Tabelle).7,8
Tabelle: Kontinuierliche Abstinenzraten unter Vareniclin, Bupropion und Plazebo |
|
|
Woche 9-12* |
Autor |
Varencilin |
Bupropion |
Plazebo |
Odds Ratio (95% CI**) |
|
(V) |
(B) |
(P) |
V vs. B |
V vs. P |
GONZALES7 |
44% |
30% |
18% |
1,93 (1,40-2,68) |
3,85 (2,70-5,50) |
JORENBY8 |
44% |
30% |
18% |
1,90 (1,38-2,62) |
3,85 (2,69-5,50) |
|
|
Woche 9-52 |
Autor |
Varencilin |
Bupropion |
Plazebo |
Odds Ratio (95% CI**) |
|
(V) |
(B) |
(P) |
V vs. B |
V vs. P |
GONZALES7 |
22% |
16% |
8% |
1,46 (0,99-2,17) |
3,09 (1,95-4,91) |
JORENBY8 |
23% |
15% |
10% |
1,77 (1,19-2,63) |
2,66 (1,72-4,11) |
|
* |
Primärer Endpunkt. Wegen der identischen Ergebnisse der beiden Studien kommt bei der US-amerikanischen
Arzneimittelbehörde FDA der Verdacht auf Betrug auf, der sich aber nicht bestätigt.3 |
** |
CI = Konfidenzintervall |
Klinisch relevanter ist der wichtigste sekundäre Endpunkt, die Rate der Personen, die von der 9. Woche bis zum Studienende nach 52 Wochen
kontinuierlich nicht rauchen: Dies erreichen 22%7 bzw. 23%8 unter Vareniclin im Vergleich zu 16%7 bzw. 15%8 unter Bupropion und
8%7 bzw. 10%8 unter Plazebo. Der Nachweis der Überlegenheit gegenüber Bupropion gelingt nur in einer der beiden Studien.8
Obwohl nach Einschätzung der FDA beide Untersuchungen im Hinblick auf den Vergleich mit Bupropion fair angelegt sind und das Konkurrenzprodukt nicht
benachteiligen, räumen die Autoren einer der beiden Veröffentlichungen7 ein, dass Bupropion in früheren Studien höhere langfristige
Abstinenzraten erreicht hat (z.B. 21% nach einem Jahr10).
Beide Studien stützen die Annahme, dass Vareniclin den Drang nach Nikotin reduziert. Sie sind nach Einschätzung der FDA aber nicht geeignet,
einen Einfluss auf Entzugssymptome oder das beim Rauchen empfundene Wohlgefühl nachzuweisen, da die verwendeten Skalen nicht hinreichend
validiert und die Effekte inkonsistent sind.9
Eine weitere Phase-III-Studie11 prüft den Nutzen einer verlängerten Einnahme von Vareniclin. Alle 1.927 Raucher erhalten das Mittel
zunächst zwölf Wochen lang offen, 1.210 Teilnehmer, die in der zwölften Woche abstinent sind, nehmen anschließend randomisiert weitere
zwölf Wochen Vareniclin oder Plazebo ein. Am Ende der Doppelblindphase (Woche 24, primärer Endpunkt) rauchen unter Vareniclin 71% weiterhin nicht,
unter Scheinmedikament 50%. Ein Jahr nach Studienbeginn sind noch 44% gegenüber 37% abstinent (p = 0,02).11
Unzureichend geprüft ist unseres Erachtens, ob die jetzt zugelassene Dosierung von zweimal täglich 1 mg Vareniclin überhaupt angemessen
ist: In einer Dosisfindungsstudie wirken sowohl zweimal täglich 0,5 mg als auch zweimal täglich 1 mg deutlich besser als Plazebo, unterscheiden sich
untereinander statistisch aber offensichtlich nicht. Unter der jetzt empfohlenen Dosis brechen aber mit 22% deutlich mehr Patienten die Einnahme wegen
Störwirkungen ab als in den anderen Gruppen.12 Diese und eine weitere nicht vollständig veröffentlichte Studie weisen nach Ansicht einer
FDA-Mitarbeiterin darauf hin, dass zweimal täglich 0,5 mg Vareniclin genauso gut wirken wie zweimal täglich 1 mg.9 Der Grund für die Wahl
der höheren Dosis für die Phase-III-Studien könnte in einer Pilotstudie13 liegen, in der sich andeutet, dass sich nur mit dieser Dosis
Überlegenheit gegenüber Bupropion belegen lässt.
STÖRWIRKUNGEN: In Phase-II- und III-Studien brechen 13% die Einnahme von Vareniclin wegen unerwünschter Effekte vorzeitig ab (Plazebo
9%), am häufigsten wegen Übelkeit (3% vs. 0,4% unter Plazebo und 1% unter Vareniclin-Dosierungen geringer als zweimal 1 mg/Tag).9
Übelkeit (30%) ist neben Schlafstörungen (32%) auch die am meisten genannte Störwirkung.5,9 Weitere häufige, zum Teil
dosisabhängige Störeffekte sind Kopfschmerzen (15%), Obstipation (8%), Bauchschmerz (7%), Mundtrockenheit (6%) und Erbrechen (5%), aber auch
Bluthochdruck, zentralnervöse Effekte wie Depression, Schwindel und Reizbarkeit sowie Rücken- und Muskelschmerzen.5 Die unter Vareniclin
im Vergleich zu Plazebo vermehrt beobachtete Appetitsteigerung, die mit Gewichtszunahme verbunden sein kann, könnte auch auf höheren
Abstinenzraten beruhen.9
Gleichzeitige Anwendung von Vareniclin mit Nikotinpflastern steigert in einer Interaktionsstudie die Rate von Störwirkungen wie Übelkeit und Kopfschmerz
sowie die Häufigkeit vorzeitiger Therapieabbrüche (36% vs. 6% unter Nikotinersatz allein).5
Ein FDA-Mitarbeiter äußert den Verdacht, dass Vareniclin bei kardial vorgeschädigten Patienten problematisch sein könnte: Auch unter
Berücksichtigung der unterschiedlichen Expositionsdauer kommen vor allem ischämische, aber auch arrhythmische Ereignisse numerisch häufiger
vor als unter Plazebo (18 [1,90/100 Anwender/Jahr] vs. 4 [1,63/100 Anwender/Jahr]).9
Abruptes Absetzen von Vareniclin ist bei bis zu 3% der Anwender mit Reizbarkeit, Depressionen und/oder Schlafstörungen verbunden.5,6 Offenbar
kann der Nikotinagonist selbst eine gewisse körperliche Abhängigkeit hervorrufen.5
Vorsicht: Laut Fachinformation sollen Personen, die Vareniclin einnehmen, wegen der Gefahr von Schwindel und Müdigkeit nicht Auto fahren oder
andere potenziell gefährliche Tätigkeiten ausüben.6
KOSTEN: Vareniclin (CHAMPIX, 101 €/4 Wochen für zweimal täglich 1 mg) verteuert die medikamentöse Unterstützung der
Nikotinentwöhnung gegenüber einem Nikotinpflaster mittlerer Stärke (NIKOFRENON u.a., 67 €/4 Wochen) um 50% und im Vergleich zu
Bupropion (ZYBAN, 76€/4 Wochen bei 300 mg/Tag) um 33%. Die Kosten für Arzneimittel zur Unterstützung der Nikotinentwöhnung werden
von den gesetzlichen Krankenkassen nicht übernommen.
Der partielle Nikotinrezeptoragonist Vareniclin (CHAMPIX) erhöht bei gesunden motivierten Rauchern die Chance, ein Jahr lang nicht zu rauchen,
gegenüber Plazebo auf das Zweieinhalbfache (22% bis 23% versus 8% bis 10%).
Das bedeutet andererseits, dass trotz umfangreicher psychologischer
Begleitmaßnahmen, die unter Alltagsbedingungen in der Regel nicht in diesem Ausmaß zu realisieren sind, drei von vier Anwendern weiter
rauchen.
Ob Vareniclin dem Noradrenalin-Dopamin-Wiederaufnahmehemmer Bupropion (ZYBAN)
langfristig tatsächlich überlegen ist, bleibt abzuwarten: In firmengesponserten Untersuchungen schneidet das Konkurrenzprodukt häufig schlechter
ab (a-t 2003; 34: 62-3). Vergleiche mit Nikotinersatztherapie liegen bislang nicht vor.
Der Vorteil einer verlängerten Einnahme von Vareniclin über 24 statt 12 Wochen
erscheint dürftig.
Vareniclin ist schlecht verträglich: 30% klagen über Übelkeit, ebenso viele
über Schlafstörungen.
Unseres Erachtens kommt der Nikotinagonist allenfalls als Mittel der letzten Reserve in
Betracht, wenn eine medikamentöse Unterstützung bei der Nikotinentwöhnung erforderlich ist und Nikotinersatztherapie fehlgeschlagen
hat.
|