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Multiples Myelom: Lebensverlängerung durch Bortezomib (VELCADE)? Trotz der Fortschritte in der Behandlung des multiplen Myeloms, insbesondere der lebensverlängernd wirkenden Hochdosis-Chemotherapie mit autologem Stammzellersatz bei jüngeren Patienten, ist die Erkrankung in der Regel nicht heilbar. Die mediane Lebenserwartung wird mit drei bis fünf Jahren angegeben. Seit Mitte 2004 ist als neues Wirkprinzip für Patienten mit fortschreitendem Myelom Bortezomib (VELCADE) zugelassen. Bortezomib hemmt einen Enzymkomplex (Proteasom), der für den intrazellulären Abbau von Eiweißen zuständig ist, und führt so unter anderem zum programmierten Zelltod. Es wurde ursprünglich allein aufgrund der in Phase-II-Studien erzielten Ansprechrate, einem Surrogatparameter, zugelassen. Seit kurzem liegt die zulassungsrelevante Phase-III-Studie (APEX) mit 669 an rezidivierendem Myelom erkrankten Patienten vor. Wegen signifikant längerer Zeit bis zur Progression unter Bortezomib im Vergleich mit hoch dosiertem Dexamethason (FORTECORTIN u.a.; im Median 189 vs. 106 Tage) wurde sie vorzeitig abgebrochen. Laut Abstract der Publikation soll Bortezomib zudem mit signifikant höherer 1-Jahres-Überlebensrate einhergehen (80% vs. 66%; p = 0,003). Auch der Hersteller wirbt inzwischen mit diesem "signifikanten Überlebensvorteil". Die tatsächlichen Studienergebnisse, die man sich teilweise aus dem Kleingedruckten, dem Diskussionsteil und einem nur online veröffentlichten Anhang zusammensuchen muss, reichen als Beleg für eine lebensverlängernde Wirksamkeit jedoch nicht aus. Es handelt sich dabei ohnehin nur um eine Hochrechnung: Zum Zeitpunkt der Auswertung hat die Studie eine mediane Dauer von acht Monaten, und weniger als 20% der Teilnehmer sind tatsächlich ein Jahr lang nachbeobachtet worden. Die Zahl der "verlorengegangenen" Patienten, von denen nicht bekannt ist, ob sie noch leben, ist zudem mit insgesamt 22% so hoch, dass eine valide Aussage über den Einfluss von Bortezomib auf die Sterblichkeit nicht möglich ist. Ähnliche Zweifel äußert auch ein begleitendes Editorial. Weitere Mängel: Trotz des offenen Designs wird die Ergebnisauswertung anscheinend nicht verblindet. Es fehlen zudem Hinweise auf Verblindung der Randomisierung. Ob die Kontrollgruppe optimal behandelt wurde, ist fraglich. Für Patienten mit einem ersten Rezidiv - 35% der Teilnehmer in der Kortikoidgruppe - ist Monotherapie mit Dexamethason zumindest nach britisch-skandinavischen Leitlinien nicht die erste Wahl. Fast alle Teilnehmer (99%) waren zudem mit Kortikosteroiden vorbehandelt. Darüber hinaus fällt auf, dass während der Induktionstherapie mit einem fünf- statt vierwöchigen Zyklus eine eher weniger intensive Dexamethasondosierung gewählt wird. Die Dauer der Induktionstherapie ist im Bortezomib-Arm zudem um ein Fünftel länger als in der Kontrollgruppe. Bortezomib ist toxischer als Dexamethason: Insbesondere Magen-Darmstörungen, periphere Neuropathie, Blutschäden mit Thrombo- und Neutropenie sowie Hautschäden nehmen zu, nach US- amerikanischer Produktinformation auch kardiale Störungen, darunter Herzinsuffizienz (RICHARDSON, P.G. et al.: N. Engl. J. Med. 2005; 352: 2487-98, DISPENZIERI, A.: N. Engl. J. Med. 2005; 352: 2546-8; ati d). Eine lebensverlängernde Wirksamkeit von Bortezomib bei multiplem Myelom ist mit diesen Daten nicht nachgewiesen. Die Toxizität des Mittels, mit der angesichts vielfältiger biologischer Wirkungen des von Bortezomib gehemmten Proteasoms zu rechnen ist, lässt sich bei den wenigen bislang behandelten Patienten nicht hinreichend überblicken. Sein therapeutischer Stellenwert im Vergleich mit herkömmlichen Regimen bedarf der Überprüfung in methodisch zuverlässigen Studien. Beim derzeitigen Kenntnisstand sehen wir für Bortezomib angesichts seines toxischen Potenzials bei fehlenden Belegen für einen klinischen Nutzen keine Indikation, -Red.

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