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Suizidalität unter Gabapentin (NEURONTIN u.a.): Nach über einjähriger Einnahme des Antiepileptikums Gabapentin (NEURONTIN u.a.) wegen neuropathischer Schmerzen erlebt eine 63-Jährige mit Zustand nach Rückenmarksverletzung und Colitis ulcerosa sich ihr unvermittelt aufdrängende, als wesensfremd erlebte Suizidgedanken bis zu zweimal täglich über jeweils zehn Minuten. "Es kommt wie ein Anfall. Wie ein Magnet fühle ich mich dann angezogen." Gedanken an Selbstmord treten auch beim Autofahren auf, insbesondere auf einer dafür geeigneten Straße. Die Symptomatik beunruhigt sie zunehmend über die letzten zweieinhalb Jahre hinweg. Der behandelnde Arzt verneint den Verdacht der Patientin, dass Gabapentin dafür verantwortlich sein könnte, und erhöht im Verlauf die Dosis (NETZWERK-Bericht 13.369). Suizidalität wird in der deutschen Fachinformation nicht als Störwirkung aufgeführt. Emotionale Labilität, unter der in Antidepressiva-Studien auch Suizidalität fehlkodiert wurde, tritt unter dem Mittel jedoch häufig auf (Parke-Davis/Pfizer: Fachinformation NEURONTIN, Stand Aug. 2003). Laut amerikanischer Produktinformation (Stand Febr. 2005) sind unfallbedingte Verletzungen bei Gabapentin-Anwendern häufig (3,3% vs. 1,3% unter Plazebo). Depressionen nehmen bei Erwachsenen mit Epilepsie unter Verum zu (1,8% vs. 1,1%). Suizidalität, Agitation, Paranoia, Depersonalisation, Euphorie, Psychose und das Gefühl, high bzw. gedopt zu sein, werden als gelegentliche Störwirkungen (0,1% bis 1%) aufgeführt. Bei Kindern tritt Feindseligkeit/ aggressives Verhalten in bis zu 8% (vs. 2% unter Plazebo) und emotionale Labilität bei 6% auf (vs. 1,3 unter Plazebo). Diese Daten aus zulassungsrelevanten klinischen Studien mit Gabapentin betreffen Patienten mit Epilepsie oder neuropathischen Schmerzen. Als Folge gezielter Marketingstrategien von Pfizer/Warner Lambert wird das Mittel in den USA jedoch bei einer Vielzahl von Off-label-Indikationen wie bipolarer Störung angewendet, bei denen zum Teil ein hohes Suizidrisiko besteht und für die weder Wirksamkeit noch Sicherheit belegt sind. Um einen Prozess wegen der illegalen Vermarktung beizulegen, hat die Firma in einem Vergleich mit den Justizbehörden im vergangenen Jahr 430 Millionen Dollar bezahlt. Aufgrund einer zunehmenden Zahl von Postmarketing-Berichten über Suizid unter Gabapentin sowohl in zugelassenen als auch in nicht zugelassenen Indikationen fordert inzwischen eine Anwaltskanzlei, die Betroffene bzw. Hinterbliebene vertritt, in einer Petition an die amerikanische Arzneimittelbehörde FDA, dass diese eine Warnung veranlasst. Hinweise auf ein möglicherweise erhöhtes Suizidrisiko liegen aber auch für andere Antiepileptika wie das vor kurzem auch in Europa als Zusatztherapeutikum bei Erwachsenen mit partiellen Anfällen zugelassene Zonisamid (ZONEGRAN, in Deutschland nicht im Handel) vor. 2,2% der Anwender setzen Zonisamid wegen Depressionen ab oder werden deshalb hospitalisiert. 1,1% unternehmen einen Suizidversuch (US-amerikanische Produktinformation ZONEGRAN, Stand Aug. 2003). Inzwischen hat die FDA Pfizer und 13 weitere Hersteller von Antiepileptika aufgefordert, ähnlich wie bereits bei den Antidepressiva geschehen, die klinischen Studiendaten im Hinblick auf Suizidalität/Suizide zu analysieren (Scrip 2005; Nr. 3050: 13; ati d).

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Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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