Nach der Marktrücknahme des Cox-2-Hemmers Rofecoxib (VIOXX) wegen Herz- und Kreislaufschäden stellt sich die Frage, ob bei den
übrigen Cox-2-Hemmern ebenfalls ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko besteht und welche Antirheumatika bzw. Schmerzmittel empfehlenswert
sind.
In Deutschland sind derzeit vier Cox-2-Hemmer im Handel: Celecoxib (CELEBREX), Valdecoxib (BEXTRA) und Parecoxib (DYNASTAT) vom Pfizer-Konzern sowie neuerdings Etoricoxib
(ARCOXIA; a-t 2004; 35: 103-4) von MSD. Bei Parecoxib handelt es sich um ein nur parenteral angebotenes
Prodrug von Valdecoxib, das ausschließlich zur kurzfristigen Behandlung postoperativer Schmerzen dienen soll. Wegen der Gefahr des akuten
Nierenversagens sehen wir hier jedoch sowohl für herkömmliche nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) als auch für Cox-2-Hemmer eine strikte
Kontraindikation. In diesen Situationen sind Opioide angezeigt (a-t 2002; 33: 62-3).
Celecoxib, Etoricoxib und Valdecoxib sind hauptsächlich zur Behandlung degenerativer Gelenkerkrankungen und der rheumatoiden Arthritis zugelassen.
Aufgrund des Wirkmechanismus besteht der Verdacht, dass die Zunahme kardiovaskulärer Ereignisse Ausdruck eines Gruppeneffektes ist (vgl. a-t 1999; Nr. 12: 123-4). Die jetzt von MSD auf einem Kongress präsentierte zwölfmonatige EDGE**-
Studie mit mehr als 7.000 Patienten (MSD: "erfreuliche Daten"1) soll die Bedenken gegenüber Etoricoxib angeblich zerstreuen. Die
vorläufigen Ergebnisse2 sprechen unseres Erachtens jedoch eine andere Sprache: Kardiovaskuläre Komplikationen kommen unter täglich
90 mg Etoricoxib zwar nicht signifikant häufiger (p = 0,115), aber mit 0,4% vs. 0,2% doppelt so oft vor wie unter täglich 150 mg Diclofenac (VOLTAREN
u.a.). Wie in der VIGOR-Studie** unter Rofecoxib brechen unter Etoricoxib signifikant mehr Patienten die Studie wegen Hypertonie ab (2,3% vs. 0,7%; vgl. a-t 2001; 32: 87-8).
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EDGE = Etoricoxib Diclofenac Gastrointestinal Evaluation;
VIGOR = VIOXX Gastrointestinal Outcomes Research
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Die Firma Pfizer versucht aus Anlass des Absturzes von Rofecoxib, die Fachkreise mit einer breiten Werbekampagne von der angeblichen "kardialen
Sicherheit" von Celecoxib und Valdecoxib zu überzeugen. Hierzu erhalten Ärzte und Apotheker mit einem Werbeanschreiben3
unaufgefordert drei Studien. Dabei handelt es sich um zwei Fall-Kontroll-Studien zu Celecoxib und Rofecoxib,4,5 von denen nur eine vollständig
veröffentlicht und somit beurteilbar ist,4 sowie eine von Pfizer selbst mitfinanzierte Metaanalyse6 von kleinen, zum Teil unveröffentlichten
Phase-II- und -III-Studien mit Valdecoxib.
Nach der publizierten Fall-Kontroll-Studie, die auf US-amerikanischen Versicherungsdaten beruht, geht die Einnahme von Rofecoxib, nicht aber die von
Celecoxib bei mindestens 65-jährigen Patienten mit erhöhtem Herzinfarktrisiko einher.4 Entscheidende Schwäche der Arbeit ist,
dass einige der wichtigsten Risikofaktoren bzw. -Marker des Herzinfarkts - Raucherstatus, Gebrauch von Azetylsalizylsäure (ASPIRIN; ASS u.a.),
sozioökonomischer Status und Body mass index - nicht bekannt sind und somit bei der Risikobeurteilung nicht berücksichtigt werden können. Als
Beleg für die kardiovaskuläre Sicherheit von Celecoxib eignet sich diese Arbeit nicht.
In der größten randomisierten kontrollierten Langzeitstudie mit Celecoxib, der CLASS***-Studie, sieht ein Berater der US-amerikanischen
Arzneimittelbehörde FDA dagegen Hinweise auf eine prothrombotische Wirkung von Celecoxib. Bei Patienten ohne gleichzeitige ASS-Einnahme ist die Rate
von Herzinfarkten unter dem Cox-2-Hemmer höher als bei Einnahme von Diclofenac (VOLTAREN u.a.) oder Ibuprofen (BRUFEN u.a.; 0,2% versus
0,1%).7,8
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CLASS = Celecoxib Long-term Arthritis Safety Study
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Auch der Arzneimittelausschuss der EU (CPMP) stellt in einem 2004 abgeschlossenen Risikobewertungsverfahren fest, dass nach den Ergebnissen klinischer
Studien die Anwendung von Coxiben wie Rofecoxib oder Etoricoxib sowie "tendenziell Celecoxib" mit einem "erhöhten Risiko für das
Auftreten von Herzinfarkten verbunden sein kann".9,10 Nach der Marktrücknahme von Rofecoxib hat die europäische Behörde jetzt
eine erneute Überprüfung angekündigt.11
Nach der von Pfizer im Rahmen der Werbeaussendung verbreiteten Metaanalyse soll sich in Phase-II- und -III-Studien unter täglich 10 mg bis 20 mg
Valdecoxib bei Patienten mit Arthrose oder rheumatoider Arthritis kein Herz-Kreislauf-schädigendes Potenzial des Cox-2-Hemmers im Vergleich zu
Standard-NSAR oder Plazebo erkennen lassen.6 Metaanalysen sind anfällig für Verzerrungen. Eine Arbeit wie die vorgelegte, die vom Hersteller
bezahlt wird und in enger Kooperation mit ihm entsteht, ist von zweifelhaftem Aussagewert. Keine der eingeschlossenen Studien dauert länger als 6 Monate. In
der APPROVe****-Studie ist das erhöhte Risiko unter Rofecoxib jedoch erst nach 18 Monaten deutlich geworden (a-t
2004; 35: 116; s. Seite 130: Sept. 2004). Frühere Metaanalysen von Studien aus dem Rofecoxib-
Entwicklungsprogramm, die unter Beteiligung12 bzw. alleiniger Autorenschaft13 des Herstellers MSD entstanden, ließen - abgesehen von
einer Differenz zu Naproxen (PROXEN u.a.) - ebenfalls kein erhöhtes kardiovaskuläres Sicherheitsrisiko im Vergleich mit anderen NSAR oder Plazebo
erkennen. Diese Befunde sind inzwischen durch die APPROVe-Studie widerlegt.
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APPROVe = Adenomatous Polyp Prevention on VIOXX
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Das Review der FDA zu Valdecoxib berichtet über eine erhöhte Rate von Ödemen und Blutdruckanstiegen bei Tagesdosierungen oberhalb von 20
mg.14 In zwei Studien zur Analgesie im Rahmen von Bypass-Operationen nehmen unter Valdecoxib allein oder in Kombination mit Parecoxib
schwerwiegende kardiovaskuläre thromboembolische Komplikationen unter dem Cox-2-Hemmer zu.15 Nur eine der Studien ist vollständig
veröffentlicht.16 Wie bei der VIGOR-Studie17 werden die verschiedenen kardiovaskulären Komplikationen unter dem Coxib
getrennt aufgeführt, sodass sich kein signifikanter Unterschied ergibt. Herzinfarkte, Schlaganfälle und Todesfälle zusammen sind unter
Valdecoxib/Parecoxib nach Berechnungen eines Sicherheitsberaters der FDA jedoch signifikant und vierfach höher als in der
Kontrollgruppe.15
Ein klinisch relevanter Vorteil hinsichtlich gastrointestinaler Toxizität ist andererseits für keinen der erhältlichen Cox-2-Hemmer gesichert. Celecoxib ist
nach den vollständigen Daten der CLASS-Studie nicht Magen-Darm-verträglicher als die konventionellen Vergleichs-NSAR (a-t 2001; 32: 87-8). Zu den anderen verfügbaren Cox-2-Hemmern sind randomisierte Studien mit klinisch wichtigen
Endpunkten gar nicht veröffentlicht.
Aufgrund ihres Wirkmechanismus besteht der Verdacht, dass die Zunahme
kardiovaskulärer Komplikationen unter Cox-2-Hemmern Ausdruck eines Gruppeneffektes ist.
Mit den von den Herstellern MSD bzw. Pfizer vorgebrachten Daten lässt sich
die kardiovaskuläre Sicherheit von Etoricoxib (ARCOXIA), Celecoxib (CELEBREX), Valdecoxib (BEXTRA) oder Parecoxib (DYNASTAT) nicht belegen.
In Studien sind - auch laut US-amerikanischer und europäischer
Arzneimittelbehörde - Signale für eine schlechtere kardiovaskuläre Verträglichkeit von Celecoxib, Valdecoxib/Parecoxib und Etoricoxib
gegenüber herkömmlichen nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR) bzw. Plazebo erkennbar.
Für keinen der auf dem Markt verbliebenen Cox-2-Hemmer gibt es ausreichende
Belege für eine bessere gastrointestinale Verträglichkeit.
Wir raten aufgrund der Sicherheitsbedenken und fehlender Vorteile von Cox-2-
Hemmern ab und empfehlen die Verwendung etablierter NSAR wie Ibuprofen (BRUFEN u.a.) oder Diclofenac (VOLTAREN u.a.), so kurz und so niedrig dosiert
wie möglich. Bei Arthroseschmerzen soll vorrangig Parazetamol (BENURON u.a.) versucht werden. Parazetamol plus Kodein (in TALVOSILEN FORTE u.a.)
beziehungsweise andere Opioidanalgetika kommen aber auch bei Patienten mit rheumatoider Arthritis als Alternative zu NSAR in Betracht.
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