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Korrespondenz

LACTOBACILLUS GG BEI ATOPISCHER DERMATITIS?

Wie schätzen Sie die Vorbeugung und Behandlung einer atopischen Dermatitis mit Lactobacillus ein? Angeblich soll es eine vielversprechende "finnische Studie" geben...

Dr. A. RHEIN (KV Pfalz)
D- 67433 Neustadt
Interessenkonflikt: keiner

Die Veröffentlichung einer finnischen Studie1 zur Vorbeugung atopischer Erkrankungen mit Lactobacillus GG (LGG) in der renommierten Fachzeitschrift The Lancet hat das Probiotikum offenbar deutlich aufgewertet. "LGG ... - valide dokumentiert bei Neurodermitis",2 behauptet Infectopharm für sein gleichnamiges Nahrungsergänzungsmittel. In der zweijährigen Studie haben 159 Schwangere, deren ungeborene Kinder ein hohes Atopie-Risiko wegen einer positiven Familienanamnese aufweisen, im Zeitraum von vier Wochen vor bis sechs Monate nach der Entbindung täglich zwei Kapseln LGG oder Plazebo eingenommen. Alternativ erhielten die Säuglinge den aufgelösten Kapselinhalt. Nach zwei Jahren sind in der Probiotikum- Gruppe 23% der Kinder an atopischer Dermatitis erkrankt gegenüber 46% nach Plazebo.1 Wegen methodischer Mängel beurteilten wir den Nutzen jedoch als nicht belegt (a-t 2002; 33: 21). Inzwischen liegt eine Nachbeobachtung nach weiteren zwei Jahren vor, die jedoch nur noch auf den Daten von 107 (67%) Kindern beruht und deren Verblindung unseres Erachtens nicht gewährleistet ist. Das verringerte Risiko einer atopischen Dermatitis bleibt demnach bestehen (26% vs. 46%). Allerdings erkranken in der Gruppe, die das Probiotikum erhalten hat, numerisch mehr Kinder an allergischer Rhinitis (19% vs. 9%) und an Asthma (5,7% vs. 1,9%).3

In vier Studien wird der Nutzen überwiegend von Lactobacillus GG in der Behandlung der atopischen Dermatitis geprüft. Drei der Untersuchungen stammen ebenfalls von der finnischen Arbeitsgruppe und schließen Säuglinge mit leichtem bis mittelschwerem Krankheitsbild ein.4- 6 Die Kinder (pro Behandlungsgruppe 8 bis 16 Säuglinge) erhalten zwei4,5 bzw. sechs Monate6 lang hydrolysierte Diätmilch mit und ohne Zusatz von LGG. In einer weiteren dänischen Studie7 nehmen insgesamt 58 Ein- bis Dreizehnjährige mit mäßiger bis schwerer Erkrankung abwechselnd sechs Wochen lang zwei neuere Lactobacillus-Stämme oder Scheinmedikament ein (Cross-over-Design). Die Ergebnisse sind widersprüchlich. Wegen geringer Größe, kurzer Dauer und schwerer methodischer Mängel (z.B. Vergleichbarkeit der Behandlungsgruppen wegen unzureichender Angaben nicht nachvollziehbar, keine Intention-to-treat-Analyse bei Abbruchquoten bis 20%, keine Angaben über zusätzlich angewendete [Kortikoid-] Externa) bleiben die Untersuchungen ohne Aussagekraft.

Schadwirkungen werden in keiner der Studien erwähnt. In Einzelfällen kann Lactobacillus bei Immungeschwächten jedoch mit Septikämie oder Endokarditis einhergehen. Bei einer 74-Jährigen mit Bluthochdruck und Typ-2-Diabetes werden nach viermonatiger Einnahme eines LGG-haltigen Getränks aus einem Leberabszess Bakterien isoliert, die mit dem Probiotikum identisch sind.8 Tierexperimentell fällt bei neugeborenen Mäusen mit Immundefekt, deren Mütter mit LGG kolonisiert sind, eine deutliche Übersterblichkeit im Vergleich zu Abkömmlingen nichtbesiedelter Muttertiere auf.9

Für das Probiotikum Lactobacillus GG (LGG) ist ein Nutzen weder in der Vorbeugung noch in der Behandlung der atopischen Dermatitis belegt. Wir raten von der Anwendung des Nahrungsergänzungsmittels ab.

© 2004 arznei-telegramm

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