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Neu auf dem Markt

VERHÜTUNGSPFLASTER EVRA

Seit August ist mit EVRA erstmals ein Pflaster zur hormonellen Empfängnisverhütung auf dem Markt.* Neben Ethinylestradiol enthält es Norelgestromin, den wichtigsten aktiven Metaboliten von Norgestimat (in CILEST, PRAMINO). Dieser Abkömmling gleicht in vielen metabolischen und koagulatorischen Eigenschaften den Gestagenen Desogestrel (in MARVELON u.a.) und Gestoden (in FEMOVAN u.a.),1 für die ein erhöhtes Thromboembolierisiko in kombinierten oralen Kontrazeptiva bekannt ist. Aussagekräftige Daten, die eine zuverlässige Abschätzung dieser Gefährdung durch Norgestimat und Norelgestromin ermöglichen, fehlen bislang.

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Ein Gestoden-haltiges Pflaster der Firma Schering befindet sich noch in klinischer Erprobung.

EIGENSCHAFTEN: Ein 20 cm2 großes Pflaster enthält 0,6 mg Ethinylestradiol (EE)** und 6 mg Norelgestromin (NGMN) und gibt täglich 20 µg EE und 150 µg NGMN ab. Die dabei erzielten Serumkonzentrationen entsprechen denen bei Einnahme einer Pille mit 35 µg EE und 250 µg Norgestimat wie CILEST. Anwenderinnen tragen das Pflaster dreimal sieben Tage, gefolgt von einer siebentägigen Pause. Der Wechsel erfolgt immer am gleichen Wochentag zu beliebiger Uhrzeit.

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Ursprünglich zugelassen und in klinischen und pharmakokinetischen Studien geprüft wurde ein Pflaster mit 0,75 mg EE. Trotz Reduzierung des Depots um 20% sollen täglich unverändert 20 µg EE freigesetzt werden.

Das Pflaster ist auf unbehaarte und gesunde Hautareale an Bauch, Gesäß, Oberarm oder Oberkörper aufzukleben, nicht aber auf die Brust. In dem Bereich dürfen keine Cremes, Lotionen oder Puder angewendet werden. Hitze und Feuchtigkeit sollen dagegen weder die Haftung des Pflasters beeinträchtigen noch die Absorption der Inhaltsstoffe bedeutsam steigern.1,2 In einer Studie werden von der Bauchhaut 20% weniger Hormone aufgenommen als von den anderen Applikationsstellen. Die Serumkonzentration scheint aber im therapeutischen Bereich zu bleiben.3

Löst sich ein Pflaster ganz oder teilweise für weniger als 24 Stunden, bleibt der Empfängnisschutz erhalten. Gleiches gilt, wenn der Wechsel in der Zyklusmitte (8. und 15. Tag) bis zu 48 Stunden zu spät erfolgt. Wird EVRA dagegen länger als einen Tag nicht (korrekt) getragen, der Wechsel länger als zwei Tage vergessen oder beträgt das pflasterfreie Intervall mehr als sieben Tage, sind zusätzliche Verhütungsmethoden erforderlich.4

Nach Entfernen enthält das Pflaster noch etwa 0,4 mg (67%) EE und 5 mg NGMN. Vor allem das relativ stabile EE gefährdet die Umwelt, speziell die Gewässer. Daher soll jedes Pflaster nach Gebrauch in einem aus Papier, Kunststoff und Aluminium bestehenden Beutel "gemäß den nationalen Anforderungen"4 entsorgt werden (gemeint ist der Hausmüll, -Red.). Dies löst das Problem der EE-Belastung unseres Erachtens jedoch nur zum Teil und vergrößert zudem die Menge schwer abbaubarer Stoffe in Mülldeponien.

WIRKSAMKEIT: In drei offenen Studien, von denen eine5 unkontrolliert ist und nur zwei vollständig veröffentlicht sind,5,6 wenden insgesamt mehr als 3.300 Frauen maximal ein Jahr lang Pflaster an, die mit 0,75 mg EE 25% mehr Östrogen im Depot enthalten als das jetzt erhältliche EVRA. Die empfängnisverhütende Wirksamkeit entspricht der kombinierter oraler Kontrazeptiva.6,7 Nach einer zusammengefassten Auswertung werden unter EVRA 15 Frauen schwanger, das entspricht einem Pearl-Index*** von 0,88.7 Fünf (33%) der Schwangerschaften treten bei über 90 kg schweren Frauen auf, obwohl diese nur 3% der Studienpopulation ausmachen. Ab welchem Körpergewicht die kontrazeptive Wirksamkeit des Pflasters inakzeptabel wird, bleibt offen.1

***

Pearl-Index = Anzahl der Schwangerschaften pro 100 Frauenjahre.

5,5% der Pflaster müssen außer der Reihe ausgetauscht werden, weil sie sich (partiell) lösen oder versehentlich entfernt werden.1

STÖRWIRKUNGEN: 12% der Frauen scheiden wegen unerwünschter Effekte des Pflasters vorzeitig aus den Studien aus, am häufigsten wegen Lokalreaktionen (1,9%) und Beschwerden der Brust (1,9%) wie Schmerz oder Schwellung. Unter den peroralen Vergleichspräparaten ist die Abbrechquote niedriger (4,5% bzw. 5,6%).7 Insgesamt ist mit den typischen Störwirkungen kombinierter hormoneller Kontrazeptiva wie Kopfschmerz (21%) und Übelkeit (17%) zu rechnen.1 Brustbeschwerden (19%) und Dysmenorrhö (13%) kommen im direkten Vergleich häufiger vor als unter einem Dreiphasen-Präparat (6% bzw. 10%).6 17% beklagen Lokalreaktionen an der Applikationsstelle.1

Unklar bleibt, wie die Thrombogenität der Neuerung einzuschätzen ist: In den klinischen Studien erleiden zwei Frauen eine Lungenembolie, davon eine nach einer kosmetischen Operation, vor der das Pflaster nicht, wie vorgeschrieben, vier Wochen vorher abgesetzt wurde. Bei keiner lässt sich eine Venenthrombose feststellen. Beide Frauen haben zuvor die "Pille" eingenommen und tragen daher ein niedrigeres Risiko thromboembolischer Ereignisse als Neuanwenderinnen systemischer Kontrazeptiva.1 Der zuständige Gutachter der FDA gibt in seinem Review zu bedenken, dass das Thromboembolierisiko unter Norelgestromin möglicherweise noch höher sein könnte als unter Desogestrel und Gestoden, die ihrerseits bereits eine erhöhte Gefahr solcher Komplikationen gegenüber Gestagenen der so genannten zweiten Generation wie Levonorgestrel (in MICROGYNON u.a.) aufweisen.1

KOSTEN: Die dreimonatige Verhütung mit EVRA kostet in Deutschland 42 € und damit das Zweieinhalbfache einer preiswerten Levonorgestrel- haltigen "Pille" mit vergleichbarer Östrogenzufuhr (z.B. MICROGYNON: 17 €).



 Mit EVRA ist erstmals ein Pflaster zur kombinierten hormonalen Kontrazeption auf dem Markt. Schwangerschaften lassen sich damit vermutlich zuverlässig verhüten. Streng genommen ist das jetzt erhältliche Pflaster mit einem Depot von 0,6 mg Ethinylestradiol jedoch in klinischen Studien überhaupt nicht geprüft.

 Neben Ethinylestradiol enthält die Neuerung Norelgestromin, den aktiven Metaboliten von Norgestimat (in CILEST u.a.). Die Thrombogenität dieser beiden Gestagene lässt sich bislang nicht abschätzen. In klinischen Studien sind unter Norelgestromin aber bereits zwei Lungenembolien aufgetreten. Das Risiko thromboembolischer Ereignisse könnte unter EVRA daher noch höher sein als unter Desogestrel- oder Gestoden-haltigen Kontrazeptiva vom Typ LOVELLE bzw. FEMOVAN.

 Wegen möglicherweise erhöhter Thrombogenität und der überflüssigen Belastung der Umwelt mit Ethinylestradiol durch beträchtliche Restbestände im Pflaster raten wir von der Anwendung von EVRA ab.

© 2003 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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