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Therapiekritik

FLIEGENMADEN ZUR WUNDBEHANDLUNG?

Mit behördlicher Herstellungserlaubnis1 vom 17. Dezember 2002 wird in Deutschland ein ungewöhnliches Humanarzneimittel produziert: Maden der Fliegenart Lucilia sericata (BIOMONDE Fliegenmaden), die zur Behandlung von Wundheilungsstörungen bei Ulcus cruris, diabetischen Wunden und Dekubitus angeboten werden. Da die Larven nur auf individuelle Anforderung "hergestellt" werden, handelt es sich nicht um ein Fertigarzneimittel, für das ein behördlich überprüfter Wirksamkeits- und Unbedenklichkeitsnachweis erforderlich wäre.

Die Fliegenmaden sollen Nekrosen mit ihrem Sekret verflüssigen und als Nahrung aufsaugen, lokal antibiotisch wirken und die Wundgranulation fördern.2 Die Idee ist nicht neu: In den 30er Jahren des vergangenen Jahrhunderts, bevor Antibiotika verfügbar waren, wurden Fliegenlarven zur Behandlung eiternder Hautinfektionen verwendet.3

ANWENDUNG: Die laut Anbieter unter sterilen Bedingungen gezüchteten Maden werden nach maximal dreitägiger Lagerung bei 4 bis 8 Grad Celsius entweder als freilaufende Tiere oder in einer Gazetasche (Biobag) in die Wunde eingebracht. Circa zehn Maden pro Quadratzentimeter sollen ein bis vier Tage auf der Wunde verbleiben und eventuell mehrfach hintereinander durch neue ersetzt werden. Maden, die ihren Dienst getan haben, sollen wie infiziertes Verbandmaterial entsorgt werden.2

WIRKSAMKEIT: Wir finden nur eine vollständig veröffentlichte randomisierte kontrollierte Studie. Jeweils gerade einmal sechs Patienten, die an einem venösen Ulkus leiden, werden zur Nekrosenentfernung (Débridement) mit Hydrogel-Verbänden (INTRASITE Gel) oder Fliegenmaden behandelt. Nach einmaligem Einbringen der Maden sind alle Patienten nekrosenfrei, während das Débridement unter Hydrogel-Verbänden der in sich widersprüchlichen Ergebnisdarstellung zufolge entweder nur bei zwei oder vier der sechs Personen in maximal 30 Behandlungstagen gelingt.4 Beim Débridement handelt es sich lediglich um einen Surrogatparameter der Wundheilung, dessen tatsächliche Bedeutung nicht geklärt ist.5 Die Wundheilung selbst wird in der Studie nicht beurteilt. Vergleiche mit anderen Wundbehandlungsmethoden wie chirurgischer Nekrosenabtragung finden wir nicht. Aussagefähige Belege für eine antibiotische Wirksamkeit fehlen ebenso.

NEBENWIRKUNGEN: Schmerzen und Blutungen im Wundgebiet scheinen entgegen den Angaben des Anbieters2 häufig aufzutreten, in einer unkontrollierten Studie bei jeweils über 30% der Ulkus-Patienten (starke Schmerzen bei 9%) meist innerhalb von 2 bis 3 Tagen nach Auftragen der Maden.6 Häufig sind offenbar auch Fieber oder grippeähnliche Symptome (7% bzw. 9%).6 Regelmäßig kribbelt es auf der Wundoberfläche.2 Entweichende Maden gehören ebenfalls zu den unerwünschten Begleiterscheinungen. Angst- und Ekelgefühle sind beschrieben.7,8 Bei unter unsterilen Bedingungen gezüchteten Maden sind systemische Infektionen durch bakterielle oder Pilz-Kontamination vorgekommen.9

KOSTEN: Die einmalige Anwendung von 200 Fliegenmaden auf einem 20 cm2 großen Ulkus kostet 100 € (Freiläufer) beziehungsweise 150 € (Biobag). Zum Vergleich: Pro Woche sind für Hydrogel (INTRASITE; 15 g Gel pro Verband, vierfacher Wechsel) 40 € aufzuwenden. Kosten für Verbandmaterial und Arbeitszeit bleiben hierbei jeweils unberücksichtigt.

 Mit BIOMONDE Fliegenmaden wird eine alte Methode zur Behandlung von Hautulzera mit gestörter Wundheilung wiederbelebt.

 Valide Studien fehlen, die - jenseits des Surrogatparameters Débridement - einen klinischen Nutzen in Bezug auf die Wundheilung belegen.

 Die Maden kosten je Anwendung pro 20 cm2 Wundfläche 100 € bzw. 150 €.

 Beim gegenwärtigen Kenntnisstand können wir die Methode nicht empfehlen.

© 2003 arznei-telegramm

Autor: Redaktion arznei-telegramm - Wer wir sind und wie wir arbeiten

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