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Im Blickpunkt

TUMORNEKROSEFAKTOR-ANTAGONISTEN BEI MORBUS BECHTEREW?

Die ankylosierende Spondylitis (Morbus BECHTEREW) ist eine chronisch entzündliche rheumatische Erkrankung vorwiegend des Achsenskeletts. Sie beginnt in der Regel im jungen Erwachsenenalter. Bei über 90% der Patienten lässt sich der HLA-Typ B27 nachweisen. Bewegungstherapie und symptomatische nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR) sind Therapie der Wahl. Unter den Basisantirheumatika hat bislang nur Sulfasalazin (AZULFIDINE u.a.) einen gewissen Nutzen bei Beteiligung peripherer Gelenke gezeigt.

Jetzt werden zwei randomisierte plazebokontrollierte Kurzzeitstudien mit den Tumornekrosefaktor-alpha-Antagonisten Infliximab (REMICADE) und Etanercept (ENBREL) vorgelegt.1,2 An der Infliximab-Studie1 nehmen 70 Patienten teil mit schwerer ankylosierender Spondylitis (Krankheitsaktivität über 4 nach BASDAI-Score*) und Schmerzen an der Wirbelsäule trotz NSAR von mehr als 4 auf einer visuellen Analogskala von 10 cm. Zu den Ausschlusskriterien gehören Basisantirheumatika, schwere Begleiterkrankungen sowie Tuberkulose in den zurückliegenden drei Jahren (vgl. a-t 2001; 32: 2-3). Die Patienten der Verumgruppe erhalten drei Infusionen in einer Dosierung von 5 mg/kg Körpergewicht im Abstand von zwei und vier Wochen. Primärer Endpunkt ist ein Rückgang der Krankheitsaktivität nach 12 Wochen um mindestens 50%. Dieses Therapieziel wird unter Infliximab bei 53% der Patienten erreicht und damit signifikant häufiger als unter Plazebo (9%). Der Effekt lässt sich nach zwei Wochen nachweisen und bleibt anschließend relativ konstant. 56% der Infliximab-Anwender können die Bedarfsmedikation mit NSAR um mindestens 50% senken im Vergleich zu 19% der Plazebogruppe. Leider geht die mittlere NSAR-Dosis aus den Daten nicht hervor. Bei 3 (8,5%) der 35 Patienten der Verumgruppe zwingen schwere unerwünschte Wirkungen - systemische Tuberkulose, allergische Granulomatose der Lunge und Leukopenie - zum Absetzen der Therapie. Zur Abschätzung des Langzeiteffekts soll die Studie über zwei Jahre weitergeführt werden.

An der viermonatigen Studie mit Etanercept (25 mg s.c. zweimal pro Woche) haben 40 Patienten mit mindestens mittelschwerer Krankheitsaktivität teilgenommen.2 Rezidivierende Infektionen und andere schwere Begleiterkrankungen gehören zu den Ausschlusskriterien. Im Unterschied zur Infliximab-Studie sind hier neben NSAR auch Basisantirheumatika wie Methotrexat (LANTAREL u.a.) erlaubt. Primärer Endpunkt ist eine mindestens 20%ige Besserung der Krankheitsaktivität in mindestens drei der fünf verwendeten Mess-Skalen. 80% der Patienten sprechen in diesem Sinne auf Etanercept an im Vergleich zu 30% unter Plazebo. Der Unterschied ist signifikant. Ein Teilnehmer der Verumgruppe erleidet nach 30 Tagen einen spontan sistierenden Tinnitus, nach einem weiteren Monat Muskelfaszikulationen im Gesicht und im Bereich des Oberschenkels, die ebenfalls wieder abklingen. Da Etanercept wie Infliximab im Verdacht steht, demyelinisierende Erkrankungen auslösen zu können, ist diese Beobachtung von besonderer Bedeutung. Nach vier Monaten werden bei je zwei Patienten in beiden Gruppen antinukleäre Antikörper nachgewiesen, Lupus-artige Beschwerden werden aber nicht beobachtet.

Die wichtige Frage, für welche Patienten die Nutzen-Risiko-Bilanz langfristig positiv ist, wird durch die Studien nicht beantwortet. Der größte Teil der Patienten mit ankylosierender Spondylitis ist mit Bewegungstherapie und symptomatischen NSAR gut versorgt. Eine immunmodulierende Basistherapie kommt also nur für eine ausgewählte Gruppe in Betracht, insbesondere da seit der breiteren Anwendung der Tumornekrosefaktor-alpha-Hemmstoffe nach Markteinführung schwere, zum Teil tödliche unerwünschte Wirkungen bekannt geworden sind. Hierzu gehören in erster Linie das Risiko schwerer Infektionen einschließlich Tuberkulose, darüber hinaus demyelinisierende Erkrankungen und aseptische Meningitis, systemischer Lupus erythematodes, schwere Blutschäden mit aplastischer Anämie oder Panzytopenie und Herzinsuffizienz (a-t 2002; 33: 24).

FAZIT: Die Tumornekrosefaktor-alpha-Hemmstoffe Etanercept (ENBREL) und Infliximab (REMICADE) dämpfen in Kurzzeitstudien die Krankheitsaktivität bei mittelschwerer bis schwerer ankylosierender Spondylitis. Da die Langzeitwirksamkeit nicht bekannt und Langzeitrisiken nicht überschaubar sind und eine Patientengruppe mit klarer positiver Nutzen-Risiko-Bilanz bislang nicht definierbar ist, halten wir die Verwendung von Infliximab und Etanercept bei Morbus BECHTEREW derzeit nur im Rahmen klinischer Studien für vertretbar. Beide Präparate sind für die Indikation nicht zugelassen.

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