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                            a-t 1998; Nr. 5: 45-6nächster Artikel
Im Blickpunkt

PRIMÄRPROPHYLAXE DES BRUSTKREBSES MIT TAMOXIFEN

Im April wurde in den USA die BCPT-Studie (Breast Cancer Prevention Trial), die weltweit größte Untersuchung zur Vorbeugung von Brustkrebs mit Tamoxifen (NOLVADEX u.a.), 14 Monate vor dem geplanten Ende gestoppt. Mehr als 13.000 über 35-jährige Frauen mit erhöhtem Risiko (z.B. positive Familienanamnese, gutartige Brusterkrankung bzw. Alter über 60 Jahre) haben täglich 20 mg Tamoxifen oder Plazebo eingenommen. 85 Frauen (1,3%) aus der Verumgruppe sind bis zum vorzeitigen Stopp an einem invasiven Mammakarzinom erkrankt, in der Kontrollgruppe sind es 154 (2,3%; vgl. Tabelle).1,2 Die relative Risikominderung um 45% entspricht der Größenordnung, in der das Antiöstrogen nach Operation ein Karzinom in der anderen Brust verhindert.3 Deutlicher stellt sich das Ergebnis in Absolutangaben dar (vgl. Seite 49): Das Brustkrebsrisiko sinkt im Studienverlauf um 1%. 1,3% der Frauen entwickeln trotz Prophylaxe ein Karzinom und mehr als 97% wären auch ohne Tamoxifenanwendung nicht erkrankt.

Die vorzeitige Bekanntgabe der Zwischenergebnisse stößt auf Kritik.4-6 Ob sich zwei weitere Primärpräventionsstudien fortführen lassen, wenn künftig zu viele Frauen die Teilnahme verweigern, bleibt fraglich. Dabei lässt die amerikanische Untersuchung wichtige Fragen unbeantwortet:

  • Prognose: Unbekannt ist, ob Tamoxifen neben der Brustkrebshäufigkeit auch die vorzeitige Sterblichkeit senkt. Die trotz Prophylaxe auftretenden Karzinome unterscheiden sich möglicherweise von denen unbehandelter Frauen im Sinne einer Selektion tamoxifenresistenter Tumoren mit schlechterer Prognose. Nach vorbeugender Einnahme könnte das Antiöstrogen in der adjuvanten Therapie weniger Nutzen bringen.3
  • Dauer: Die optimale Dauer der Vorbeugung ist ebenfalls ungeklärt. In Therapiestudien bringt die Einnahme über fünf Jahre hinaus keinen weiteren Nutzen, hat sogar möglicherweise den gegenteiligen Effekt (a-t 1 [1996], 14).3 Die BCPT-Studie war nur auf fünf Jahre angelegt.1,2
  • Risikogruppen: Man weiß bisher nicht, ob tatsächlich alle Risikogruppen von Tamoxifen profitieren. So entwickeln Trägerinnen sogenannter BRCA*-Mutationen aus Hochrisikofamilien offenbar eher hormonunabhängige Tumoren, die auf die Prophylaxe weniger ansprechen dürften.3
  • Sicherheit: Schließlich fehlen Erkenntnisse zur Langzeitsicherheit. Die meisten Daten stammen aus Studien von zwei- bis fünfjähriger Dauer.3 Tamoxifen verdoppelt das Risiko eines Endometriumkarzinoms. In der amerikanischen Untersuchung betrifft dies 33 Frauen unter Verum im Vergleich zu 14 unter Plazebo. Jeder dritten Teilnehmerin war die Gebärmutter jedoch schon vor Aufnahme in die Studie entfernt worden7 - eine Maßnahme, die außerhalb der USA wohl kaum eine solche Akzeptanz finden dürfte. Darüber hinaus steigert Tamoxifen das Thromboserisiko. Während in der Kontrollgruppe 19 Frauen eine tiefe Venenthrombose entwickeln und 6 eine Lungenembolie, sind es unter dem Antiöstrogen 30 (Faktor 1,5) bzw. 17 (Faktor 2,8), von denen zwei Frauen sterben.1,7

Bei der derzeitigen Datenlage ist von einer Primärprävention des Mammakarzinoms mit Tamoxifen außerhalb klinischer Studien dringend abzuraten.3 Eine Zulassung für die Indikation hat das Mittel bisher in keinem Land.6

In den USA könnte sich für Zeneca, den Hersteller des Tamoxifen-Originals NOLVADEX, ein enormes Umsatzpotential eröffnen. Im Unterschied zu praktisch allen anderen größeren Märkten, in denen kein Patentschutz mehr besteht, läuft das Patent für den Wirkstoff dort erst im August 2002 aus. Die FDA will die Zulassung der Indikation Primärprävention des Brustkrebses jetzt vorrangig prüfen.6 Die Zahl der US- amerikanischen Frauen, die nach den Aufnahmekriterien der BCPT-Studie für eine Prophylaxe mit Tamoxifen in Frage kämen, wird auf 29 Mio. geschätzt.2 Nach Bekanntgabe der Studienergebnisse stieg der Aktienkurs des Konzerns um über 7%.2 Für die schätzungsweise knapp zehn Millionen betroffenen Frauen in Deutschland müssten jährlich bis zu fünf Milliarden DM aufgewendet werden. Das entspricht etwa 10% der derzeitigen Gesamtausgaben für Arzneimittel im ambulanten Bereich.

FAZIT: Die mit großem Medienecho vorzeitig publizierten Teilergebnisse der größten Studie zur Primärprävention des Brustkrebses mit Tamoxifen (NOLVADEX u.a.) bedeuten kein grünes Licht, gesunde Frauen außerhalb klinischer Studien mit dem Antiöstrogen zu behandeln. Beim derzeitigen Kenntnisstand lässt sich nicht beantworten, ob Tamoxifen neben der Brustkrebshäufigkeit auch die vorzeitige Sterblichkeit senkt, welche Frauen tatsächlich einen Nutzen haben, wie lange das Mittel eingenommen werden soll und ob die positive Beeinflussung der Brustkrebshäufigkeit die Risiken (Zunahme von Endometriumkarzinomen, tiefen Venenthrombosen, Lungenembolien) langfristig überwiegt.


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